In der Fluoreszenzmikroskopie werden biologische Zellen mit Fluoreszenzfarbstoffen markiert und per Lichtschaltung in bestimmten Bereichen zum Leuchten gebracht. Allerdings ist dieses Leuchten für kleine, schnelle Objekte meist zu schwach oder erlischt nach einiger Zeit, was man Fluoreszenzbleichung nennt. Mit einem neuen, im Labor für Bio- und Nano-Photonik der Uni Freiburg von Alexander Rohrbach entwickelten Ansatz haben er und sein Team einen Weg gefunden, kleinste Objekte ohne Fluoreszenz äußerst scharf sichtbar zu machen. Hierbei können zelluläre Strukturen oder virenartige Partikel hundert- bis tausendmal länger, zehn- bis hundertmal schneller und mit nahezu doppelter Auflösung beobachtet werden als mit Fluoreszenzmikroskopie.
Die verwendete Technik heißt „Rotating Coherent Scattering“, kurz ROCS, und basiert auf einem blauen, schnell rotierenden Laserstrahl. „Wir nutzen hierbei mehrere bekannte physikalische Phänomene“, erklärt Rohrbach. „Erstens, dass kleine Objekte wie Moleküle, Viren oder Zellstrukturen blaues Licht am stärksten streuen.“ Zweitens wird bei ROCS ein blauer Laser sehr schräg auf die biologischen Objekte gerichtet, weil dies Kontrast und Auflösung deutlich erhöht. Drittens beleuchten die Wissenschaftler das Objekt nacheinander von allen Seiten mit dem schrägen Laserstrahl, weil nur eine Beleuchtungsrichtung alleine viele Artefakte erzeugen würde.
Die Wissenschaftler lassen den schrägen Laserstrahl hundertmal pro Sekunde um das Objekt rotieren und erzeugen so hundert Bilder pro Sekunde. „In zehn Minuten habe wir also bereits 60.000 Bilder von lebenden Zellen, welche sich viel dynamischer präsentieren als bisher angenommen“, sagt Rohrbach. Allerdings erfordern solche Dynamikanalysen von bereits nur einer Minute Bildmaterial enorme Rechenleistungen von Computern. Hierbei mussten verschiedene Computeralgorithmen und Analyseverfahren erst noch entwickelt werden, um die Daten richtig interpretieren zu können.
Zusammen mit seinem Team konnte Rohrbach die Leistungsfähigkeit des Mikroskops an verschiedenen Zellsystemen demonstrieren. „Es war nicht unser primäres Ziel, schöne Bilder oder Filme von der unerwartet hohen Dynamik von Zellen zu erzeugen – wir wollten neue biologische Erkenntnisse gewinnen”, betont der Forscher. So konnte das Team konnte mit der ROCS-Technik erstmalig beobachten, wie stimulierte Mastzellen in nur wenigen Millisekunden kleine Poren öffnen, um kugelartige Granulen mit hoher Kraft und Geschwindigkeit herauszuschießen. Die Granulen enthalten den Botenstoff Histamin, welcher später zu allergischen Reaktionen führen kann.
In einer anderen Experimentserie konnten die Forscher beobachten, wie sich winzige, virenartige Partikel in hohem Tempo um die zerklüftete Oberfläche von Fresszellen bewegen, um nach einigen Versuchen einen Anbindungspunkt an der Zelle zu finden. Diese Beobachtungen dienten als Vorversuche zu derzeit laufenden Studien zum Anbindungsverhalten des Coronavirus.
Außerdem wurde die ROCS-Technologie eingesetzt, um Narbenbildung bei Herzmuskelverletzungen zu untersuchen. Fibroblasten, Zellen des Narbengewebes, bilden hundert Nanometer dünne Röhrchen aus. Durch die neue Technik konnten die Forscher zeigen, dass diese Nano-Tubes auf winzigen Skalen thermisch vibrieren, diese Bewegung aber mit der Zeit nachlässt. Nach mathematischen Aktivitätsanalysen lässt sich hier eine mechanische Versteifung der Nano-Tubes vermuten.
In weiteren Experimenten konnten die Wissenschaftler schließlich über viele tausend Bilder hinweg beobachten, wie Filopodien von Fresszellen in einer komplexen Zitterbewegung ihre Umgebung nach Beute abtasten und sich ihr Zytoskelett in einem bisher nicht bekannten Tempo verändern kann.
ALU Freiburg / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
F. Jünger et al.: 100 Hz ROCS microscopy correlated with fluorescence reveals cellular dynamics on different spatiotemporal scales, Nat. Commun. 13, 1758 (2022); DOI: 10.1038/s41467-022-29091-0 - Labor für Bio- und Nano-Photonik (A. Rohrbach), Institut für Mikrosystemtechnik, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau