10.07.2015

Schallisolierung mithilfe von Quantenphysik

Gekoppelte Pendel verhalten sich wie topologische Isolatoren.

Doughnuts, Strom und Quantenphysik – was für Laien wie eine absurde Aneinanderreihung von Begriffen aussieht, ist für Sebastian Huber eine Art Beschreibung seines Arbeitsgebiets. Der Forscher beschäftigt sich an der ETH Zürich seit Jahren mit topologischen Isolatoren, also mit Materialien, deren Fähigkeit, elektrischen Strom zu leiten, einen topologischen Ursprung hat.

Abb.: Mechanisches Modell aus 270 Pendeln, die über Federn miteinander verbunden sind. Die Pendel verhalten sich in diesem Modell wie ein topologischer Isolator. (Bild: H. Hostettler, ETH Zürich)

Ein Doughnut lässt sich allein durch Ziehen, Dehnen und Verformen in eine Kaffeetasse verwandeln – ohne dass man ihn zerschneiden muss. Doughnut und Kaffeetasse sind in diesem Sinne topologisch gesehen identisch. Wendet man dieses Prinzip auf die quanten­mechanischen Wellenfunktionen von Elektronen in einem Festkörper an, so kommt man auf das Phänomen des topologischen Isolators. Huber und seinen Mitarbeitern ist es jetzt gelungen, diese abstrakten Ideen konkret zu machen und in Zusammenarbeit mit Kollegen aus ver­schiedenen bis hin zu möglichen Anwendungen im Ingenieursbereich zu kommen.

Am Anfang stand dabei für Huber eine simple Frage: Kann man das Prinzip eines topo­logischen Isolators auf mechanische Systeme übertragen? Eigentlich sind die Quantenphysik und die Mechanik zwei verschiedene Welten. In der Quantenwelt können Teilchen durch Barrieren tunneln und sich gegenseitig als Wellen auslöschen oder verstärken, wogegen es die alltägliche Mechanik eher mit fallenden Körpern oder der Statik von Brücken zu tun hat. Huber und seine Kollegen erkannten allerdings, dass man die mathematischen Formeln, welche die Quanteneigenschaften eines topo­logischen Isolators beschreiben, so umformen kann, dass sie aussehen wie die eines wohl­bekannten mechanischen Systems – nämlich einer Reihe von schwingenden Pendeln.

Insbesondere sagen die mechanischen Formeln genau wie ihr quanten­mechanisches Pendant Randzustände voraus. Bei diesen An­regungs­zu­ständen fließt entlang der Ränder des Materials elektrischer Strom – beziehungsweise eine mechanische Schwingung –, wogegen das Innere des Systems vollkommen unbeteiligt bleibt. „Theoretisch war das ein schönes Ergebnis“, sagt Huber, „doch am ehesten kann man die Leute natürlich überzeugen, wenn man das praktisch umsetzt.“

Gemeinsam mit ETH-Technikern bauten Huber und sein Student Roman Süsstrunk ein mechanisches Modell aus 270 in einem rechteckigen Gitter angeordneten Pendeln, die über kleine Federn miteinander verbunden sind. Zwei der Pendel lassen sich mechanisch anregen und die Federkopplungen versetzen dann nach und nach auch die anderen Pendel in Schwingungen. Bei einer bestimmten Anregungsfrequenz sahen die Physiker schließlich, was sie sich erhofft hatten: Die Pendel innerhalb des Rechtecks standen still, wogegen diejenigen am Rand rhythmisch schwangen und so eine Art Welle um das Rechteck herum floss. Die gekoppelten Pendel verhielten sich also tatsächlich wie ein topologischer Isolator.

Schon bald könnte sich das, was für Huber zunächst nur eine nette Spielerei war, als nützliches Werkzeug erweisen. Die mechanischen Randzustände der gekoppelten Pendel sind nämlich topologisch geschützt, also sehr robust – und bleiben auch dann bestehen, wenn man Unordnung in die Reihe der Pendel bringt oder sogar einen Teil des Rechtecks einfach entfernt. Solche Eigenschaften wären beispielsweise für die Schall- und Vibrationsisolierung interessant, etwa in der industriellen Produktion, wo Roboterarme exakt und zitterfrei Bauteile platzieren müssen. Zudem sind Materialien denkbar, die Schall nur in eine Richtung transportieren oder wie eine optische Linse bündeln.

Dazu freilich müssen die mechanischen Systeme zunächst einmal kompakter werden – Hubers Pendel sind immerhin einen halben Meter lang und wiegen je ein halbes Kilo. Die Ingenieure sind bereits dabei, ein Gerät zu bauen, das ohne die vielen Pendel auskommt und zudem nur wenige Zentimeter misst.

ETH / RK

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