Schmelzendes Grönlandeis stört Meeresströmung
Analyse von Sedimenten zeigt Veränderungen der Ozeanzirkulation vor 400.000 Jahren.
Aus aktuellen Beobachtungsdaten lassen sich deutlich Zeichen eines globalen Wandels ablesen. Das Jahr 2016 erreichte eine neue Rekordmarke bei den globalen Durchschnittstemperaturen, die Eisbedeckung der Arktis wird seit Jahren immer kleiner und das grönländische Inlandeis verliert ebenfalls an Volumen. Doch was bedeuten diese Entwicklungen für die Zukunft? Um diese Frage zu beantworten, vergleicht die Wissenschaft unter anderem die heutige Situation mit Epochen der Erdgeschichte, die ähnliche Entwicklungen durchgemacht haben. Eine davon ist ungefähr 400.000 Jahre her und heißt in der Fachsprache MIS11 (Marine Isotopic Stage 11). Zwischen zwei Eiszeiten erwärmte sich die Erde damals für rund 30.000 Jahre lang so stark, dass Grönland zu großen Teilen eisfrei war und der Meeresspiegel vermutlich um 6 bis 13 Meter höher lag als heute.
Abb.: Schmelzendes Eis vor Grönland: Ein Blick in die Klimageschichte kann Hinweise auf zukünftige Störungen der Meeresströmungen liefern. (Bild: R. Spielhagen)
Wissenschaftler des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel, des Niederländischen Meeresforschungsinstituts NIOZ (Koninklijk Nederlands Instituut voor Onderzoek der Zee) sowie des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar-und Meeresforschung AWI in Bremerhaven konnten jetzt anhand von Meeresboden-Proben zeigen, dass es während des MIS11, nach der Haupterwärmung, auf der Nordhalbkugel noch kältere Phasen von einigen hundert Jahren gab. „Diese Phasen der Abkühlung gingen einher mit deutlichen Veränderungen der Ozeanzirkulation“, erklärt Evgenia Kandiano.
Für die Studie haben die Forscher Sedimentkerne aus dem Meeresboden des Nordatlantiks untersucht. Neben Kalkschalen von Meeresorganismen enthalten sie auch bestimmte chemische Kettenverbindungen ehemaliger Algen, die im Laufe der Jahrhunderttausende aus verschiedenen Stockwerken des Ozeans auf den Meeresgrund gesunken sind. Diese Überreste erhalten Informationen über die Umweltzustände in früheren Zeiten. Aus den Schichten des Meeresbodens, die während MIS11 entstanden sind, hat das Team neun verschiedene Datenserien miteinander kombiniert und abgeglichen. Sie zeigten übereinstimmend die vorübergehende Abkühlung des Meerwassers, nachdem die Erderwärmung ihren Höhepunkt schon erreicht hatte. „Da die untersuchten Materialien aus verschiedenen Schichten des Meerwassers stammen, konnten wir sogar eine Entwicklung der Abkühlung abhängig von der Wassertiefe erkennen“, erklärt Kandiano.
Demnach kühlte das Meerwasser zunächst an der Oberfläche ab, später betraf der Prozess auch die mittleren und tiefen Wasserschichten. „Wir führen diesen Prozess darauf zurück, dass die schmelzenden Grönlandgletscher in der damaligen Warmzeit so viel kaltes Süßwasser in den Nordatlantik entlassen haben, dass sie das salzhaltigere und wärmere Wasser in größere Tiefen abgedrängt haben. Dadurch schwächte sich die oberflächennahe Wärmezufuhr über den Golfstrom erheblich ab“, erklärt Kandiano. Ein ähnliches Szenario könnte sich auch durch die gegenwärtige Erderwärmung ereignen. Beobachtungsdaten zeigen in einigen Bereichen des Nordatlantiks bereits einen Rückgang des Salzgehaltes durch die Zufuhr von Schmelzwasser.
Allerdings weisen die Messdaten noch nicht auf Abschwächung der Zirkulation hin. „Es sind nicht alle Fragen zu MIS11 geklärt, so dass eine direkte Übertragung auf heutige Zeiten schwierig ist. Aber wir können eine direkte Beeinflussung vom schmelzenden Grönlandeis auf die damalige Ozeanströmungen nachweisen“, sagt Kandiano. Die erhöhte Zufuhr von Süßwasser an der Meeresoberfläche in den kalten Regionen des Nordatlantiks führt zu einer verstärkten Verbreitung von Meereis im Winter. „Die jahreszeitliche Schwankung in der Ausdehnung des Meereises hat nicht nur einen Effekt auf den Ozean, sondern beeinflusst auch direkt das Wettergeschehen“, ergänzt AWI-Forscher Henning Bauch. „Somit beeinflusst der Mechanismus nicht nur die relativ langsamen Prozesse im Ozean, sondern hat über die schnell ablaufenden Prozesse in der Atmosphäre einen unmittelbaren überregionalen Einfluss auch auf viele andere Parameter unseres Klimasystems“, so Bauch weiter.
Geomar / JOL