19.12.2011

Schnelle Röntgenbilder von Bio-Kristallen

Protein-Nanokristalle haben einen eingebauten „Zeitschalter“ für Streubilder und „platzen“ erst nachdem sie abgelichtet wurden.

Ein internationales Forscherteam unter Leitung von Wissenschaftlern des Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) in Hamburg hat die bislang schnellsten Röntgenbilder von biologischen Eiweißkristallen geschossen. Mit einer Belichtungszeit von nur 30 Femtosekunden eröffnet die Arbeit neue Möglichkeiten für die Untersuchung molekularer Prozesse.

Abb.: Die molekulare Struktur der Proteine ergibt sich aus dem Beugungsmuster der Röntgenstrahlen, die im Proteinkristall gestreut werden. Größe und Farbe der Kugeln repräsentieren die Stärke der Streuung. Die Länge der Strahlen unter den Kugeln entsprechen der Dauer, für die die jeweiligen Beugungsmaxima sichtbar sind. (Bild: T. White, CFEL / Desy)


Aus der Röntgenuntersuchung von Proteinen lässt sich ihre Struktur entschlüsseln. Je kürzer die Belichtungszeit und je heller der Röntgenblitz, desto besser sind die Strukturinformationen, die sich daraus gewinnen lassen. Mit dem Freie-Elektronen-Laser Linac Coherent Light Source (LCLS) am Slac National Accelerator Laboratory in den USA haben die Forscher dazu die bislang intensivsten Röntgenpulse auf Proteinkristalle geschossen: Die winzigen Kristalle wurden mit 1017 Watt pro Quadratzentimeter bombardiert. Zum Vergleich: Das Sonnenlicht bringt es auf dem Erdboden im Mittel auf etwa 10-1 Watt pro Quadratzentimeter.

Die hohe Intensität kombiniert mit der kurzen Belichtungszeit bietet neue Chancen für Untersuchungen in der Biologie und anderen Bereichen. Die Kristallgröße ist von Bedeutung, weil sich beispielsweise viele biologische Substanzen nur schlecht kristallisieren lassen. Die Züchtung hochwertiger Proteinkristalle von ausreichender Größe ist meist ein langwieriger und oftmals vergeblicher Prozess.

Das noch junge Gebiet der Freie-Elektronen-Röntgenlaser (XFEL) verspricht Forschungsmöglichkeiten auf vielen Gebieten, so auch in der Biologie. Ultrakurze Röntgenpulse von bisher unerreichter Energie ermöglichen die Abbildung dreidimensionaler Strukturen ganzer Proteingruppen, die bisher nicht vermessen werden konnten.

Ein Universalwerkzeug der Strukturbiologen ist die Protein-Röntgenkristallographie. Von Proteinkristallen gestreute Röntgenstrahlen liefern dabei ein Streubild. Aus diesem Muster lässt sich die detaillierte Struktur des Proteins rekonstruieren, bis hinunter auf die Ebene einzelner Atome. Allerdings beschädigt die intensive Röntgenstrahlung schnell die Probe. Bei ihren Versuchen an der LCLS stellten die Forscher nun jedoch fest, dass die Röntgenpulse selbst dann noch exzellente Bilder lieferten, wenn sie sehr viel länger waren als die Lebenszeit der Kristalle in dem Strahl.

Röntgenlaser erzeugen so intensive Strahlungspulse, dass jede Probe in weniger als einer billionstel Sekunde explodiert. Für ein brauchbares Streubild sollte der Puls also kürzer sein als die Lebensdauer der Probe, lautet die naheliegende Annahme. „Alle Theorien legten eine Pulslänge von etwa 10 Femtosekunden nahe“, erläutert Henry Chapman, einer der leitenden Forscher. „Doch obwohl wir die Pulslänge auf mehr als 300 Femtosekunden erhöht und die Probe einer hundertmal höheren Strahlendosis als üblich ausgesetzt haben, erhielten wir dennoch hochwertige Beugungsmuster.“ Offensichtlich tragen jeweils vor allem die ersten 30 Femtosekunden zu dem Streubild bei. „Es war keineswegs klar, wie das möglich war“, sagt Chapman.

„Der Schlüssel zum Verständnis dieser unerwarteten Ergebnisse ist Kristallinität“, erklärt der Forscher. In einem Kristall wiederholt sich das grundlegende Strukturelement, die Elementarzelle, mehrere Male in verschiedenen Richtungen. Aufgrund dieser Struktur streuen Röntgenstrahlen, die einen Kristall durchdringen, nicht gleichmäßig in alle Richtungen, sondern bilden ein Beugungsmuster. Wenn die Probe explodiert und damit das regelmäßige Muster der Elementarzellen verlorengeht, entsteht auch kein Beugungsmuster mehr, wie Chapman erläutert. Der gemessene Röntgenpuls ist damit kürzer als der eingestrahlte – als würden die Nanokristalle per Zeitschalter das Beugungsbild ausschalten.

Warum wurde dieser Effekt dann nicht schon vorher beobachtet? An konventionellen Synchrotronquellen unterscheiden sich die Mechanismen der Strahlungsschäden deutlich von denen an den neuen Freie-Elektronen-Röntgenlasern. Bei einem Synchrotron passiert alles vergleichsweise langsam, und in dieser Zeit können chemische Schäden auftreten. Bei einem Röntgenlaser dagegen verwandelt sich die Probe innerhalb weniger Femtosekunden in ein Plasma. Das ist schneller als jegliche chemische Bindungsbruchmechanismen, die man aus Experimenten mit Synchrotronstrahlung kennt. Tatsächlich bleiben die Atome in der ersten Phase der Explosion durch ihre eigene Trägheit praktisch am Platz, so dass ein hochwertiges Beugungsmuster entsteht.

Die Forschungsergebnissen können die Strukturbestimmung von Proteinen vereinfachen. Das ist eine Schlüsseltechnik der Biologie und Medizin, denn die Kenntnis dieser Strukturen ist fundamental für das Verständnis der Funktionen und der Fehler des Lebens. So hilft die Strukturbestimmung etwa bei der Entwicklung neuer Medikamente. Bestimmte Eiweiße wie Membranproteine sind allerdings schwierig zu kristallisieren oder bilden zu kleine Kristalle, um sie in einem Synchrotron zu untersuchen. „Unsere superschnellen, ultra-intensiven Röntgenlaser-Experimente mit sehr kleinen Proteinkristallen zeigen, dass wir bald eine atomare Auflösung in Systemen erreichen werden, die bislang eine große Herausforderung sind“, prognostiziert Chapman.

Derzeit wird in Hamburg der Europäische Röntgenlaser European XFEL gebaut, der 2015 in Betrieb gehen soll. „Mit unserer Technik brauchen wir etwa eine Million Röntgenpulse, um eine Proteinstruktur aufzuklären“, berichtet Chapman. „Derzeit ist das eine Sache von Stunden. Am European XFEL wird es eine Frage von Minuten sein.“

Desy / PH

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