27.03.2017

Schneller auf Umwegen

Frei diffundierende Proteine schneller unterwegs als mit Motorproteinen, wenn diese in Stau geraten.

Zu Ferienbeginn kommt es zu langen Staus auf den Autobahnen, da die Fahrzeuge der Urlauber sich gegenseitig behindern. Ein ähnlicher Effekt kann auch beim Transport von Proteinen in Zellfortsätzen auftreten. Das zeigen Simulationen der Münchner Forscher Erwin Frey und Isabella Graf. Die Wissenschaftler haben ein theoretisches Modell entwickelt, das nahelegt, dass die Proteine schneller vorankommen, wenn sie sich abseits der Transport­bahnen einfach von der Diffusion treiben lassen – und erst kurz vor dem Ziel auf Transport­vehikel „umsteigen“.

Zellfortsätze sind fingerförmige Ausstülpungen von Zellen, die durch starre Bündel aus Aktin­filamenten in ihrem Inneren stabilisiert werden. Damit Proteine ihre Funktion – etwa bei der Zell­wanderung, der Wund­heilung und der Signal­übertragung – erfüllen können, müssen sie bis zur Spitze der Ausstülpung gelangen. Dies kann entweder passiv durch Diffusion im Zytoplasma geschehen, oder indem die Proteine mithilfe von Motor­proteinen, die sich wie auf Schienen entlang der Aktin­filamente bewegen, aktiv bis zur Spitze transportiert werden. „Naiv würde man davon ausgehen, dass der gerichtete Transport sehr viel schneller ans Ziel führt als die diffusive Bewegung“, sagt Graf. „Wir haben nun aber das Zusammenspiel zwischen gerichteter Bewegung und Diffusion in einem halb­geschlossenen System, wie es auch die Zell­fortsätze darstellen, mithilfe eines mathematischen Modells simuliert und dabei zu unserer Überraschung festgestellt, dass der diffusive Transport effizienter ist.“

Das Modell der Wissenschaftler legt nahe, dass der gerichtete, aktive Transport von Proteinen im Zellfortsatz erheblich behindert wird, weil sich die Motor­proteine gegenseitig räumlich behindern. Da sie sich weder durchdringen noch überholen können, entstehen Korrelationen und die Motoren können sich nicht mehr unabhängig voneinander bewegen. Dadurch kommt es zu einem „biologischen Stau“ auf den Aktin­filamenten, der – ebenso wie der reale Stau auf der Autobahn – das Fortkommen deutlich bremst.

Das von den Wissenschaftlern entwickelte mathematische Modell berücksichtigt diese gegenseitigen Behinderungen sowie die Dichte der Motor­proteine und kann den Transport­strom auf dem Aktin­filament akkurat vorhersagen. Aus ihren Simulationen schließen die Wissenschaftler, dass Proteine durch diffusive Bewegungen an die Spitze des Zell­fortsatzes gelangen – kurz vor dem Ziel aber möglicherweise noch auf die Motoren umsteigen.

„An der Spitze des Fortsatzes hat der Stau, wenn er nicht zu lang wird, potenziell auch einen positiven Effekt“, sagt Graf. „Wenn die Proteine nur langsam vorwärts kommen, halten sie sich dadurch länger in diesem Bereich auf und haben mehr Zeit, ihre Aufgaben zu erfüllen.“ Darüber hinaus deutet das Modell darauf hin, dass es biologisch sinnvoll sein könnte, dass sich die Motoren an der Spitze leichter von den Aktin­filamenten lösen als weiter hinten, denn dies könnte verhindern, dass sich zu lange Staus auf den Filamenten bilden, und gleichzeitig ermöglichen, dass sich sie Proteine bevorzugt an der Spitze aufhalten.

LMU / DE

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