Schneller Blick in Pulver und Geröll
Kernspinverfahren liefert exakte Bilder aus dem Inneren von granularen Medien.
Auch in unserer hochtechnologisierten, modernen Welt ist es nicht möglich vorherzusehen, wann etwa Felsstürze oder Erdbeben eintreten und wie sie im Detail ablaufen. Das liegt unter anderem daran, dass Wissenschaftler das Verhalten von Geröll und Sand, noch dazu im Zusammenspiel mit Wasser oder Gasen, trotz langjähriger Forschung noch immer nur ansatzweise verstanden haben. Forscher der ETH Zürich um Christoph Müller und Klaas Prüssmann haben nun gemeinsam mit Kollegen der Universität Osaka in Japan eine neue Untersuchungsmethode entwickelt, die in Zukunft die Erforschung solcher Phänomene erheblich erleichtern könnte. Viele Naturereignisse und Naturkatastrophen könnten so besser verstanden und vorhergesagt werden.
Abb.: Aufsteigende Blasen in gasdurchströmten granularen Medien lassen sich mit Magnetresonanztomographie sichtbar machen. Dabei können die Geschwindigkeiten der einzelnen Partikel (Pfeile) gemessen werden. (Bild: A. Penn / ETHZ)
Granulare Systeme spielen nicht nur in der Natur eine zentrale Rolle. Auch in praktischen Anwendungen sind sie wichtig, etwa in der Chemieindustrie, wo drei Viertel der Ausgangsstoffe in dieser Form vorliegen. Dort kämpft man häufig mit dem Problem, dass die Produktionsabläufe unterbrochen werden, zum Beispiel durch unvorhergesehene und unzureichend verstandene Stauung oder Entmischung der verwendeten granularen Materialien. „Selbst eine kleine Effizienzsteigerung der Produktionsprozesse durch verbessertes Wissen würde dort zu einer enormen Energieersparnis führen“, erklärt Doktorand Alexander Penn. Will man aber beispielsweise erforschen, was passiert, wenn man verschiedene Partikel mischt oder in Wirbelbettreaktoren mit Gasen reagieren lässt, so steht man vor einem großen Problem. Granulare Systeme sind nämlich undurchsichtig, so dass es sehr schwierig ist, etwas über die genaue räumliche Verteilung der Partikel und ihre Bewegungen zu erfahren.
Um dieses Hindernis zu überwinden, haben die Wissenschaftler eine Technik, die heute vor allem in der Medizin verwendet wird, wieder in die physikalische Forschung zurückgeholt: die Magnetresonanztomographie (MRT). Dabei werden mit Hilfe von Radiowellen und starken Magnetfeldern zunächst die magnetischen Momente bestimmter Atomkerne eines Gewebes oder Materials räumlich ausgerichtet. Anschließend verlieren die Atomkerne diese Ausrichtung wieder, wobei sie ihrerseits Radiowellen aussenden, die dann gemessen werden können. Aus den Messergebnissen lässt sich schließlich ein dreidimensionales Bild der Positionen der Atomkerne im Material erstellen.
Die Forscher haben in ihren Experimenten ein kommerzielles MRT-Gerät um mehrere Radioantennen erweitert und die Messdaten mit Hilfe spezieller Software analysiert. Damit gelang es ihnen, Schnappschüsse aus dem Inneren bewegter granularer Systeme zehntausend Mal schneller zu machen, als das bisher möglich war. Sie entwickelten dazu spezielle Partikel, welche aus einem Millimeter großen, mit Agar ummantelten Öltropfen bestanden und ein besonders starkes Magnetresonanz-Signal erzeugte. Damit untersuchten sie unter anderem das Verhalten von granularen Systemen, die von einem Gas durchströmt werden. Durch das strömende Gas nimmt das sonst feste granulare Medium den Charakter einer Flüssigkeit an. Gasblasen können in diesem fluidisierten granularen System aufsteigen, sich teilen oder miteinander verschmelzen. Bisher konnte man solche Blasen nicht in Echtzeit studieren.
Mit der neuen Untersuchungstechnik können jetzt Bilder aus dem Inneren von granularer Materie mit einer zeitlichen Auflösung von weniger als einer hundertstel Sekunde gemacht werden. Zudem ist es durch eine geschickte Analyse der Magnetresonanz-Signale möglich, die Geschwindigkeiten der Partikel zu messen und damit zusätzliche Informationen über die Dynamik dieser komplexen Systeme zu erhalten. Mögliche Anwendungen der Erkenntnisse, die mit der neuen Technik gewonnen werden können, sind vielfältig. Die Forscher planen unter anderem, bestehende theoretische Modelle für granulare Systeme genau zu überprüfen und gegebenenfalls zu verbessern.
Dazu gehören etwa die spontane Entmischung von granularen Mischungen mit Partikeln unterschiedlicher Größe, die in industriellen Anwendungen zu Problemen führen kann, sowie die plötzliche Stauung von fließenden Systemen. Die Blasenbildung in durchströmten granularen Systemen wiederum ist wichtig für Verfahren, in denen ein Gas chemisch möglichst stark mit den Bestandteilen der Partikel reagieren soll. Solche Verfahren kommen zum Beispiel bei der Abscheidung von Kohlendioxid zum Einsatz, mit der in Zukunft dem Klimawandel entgegengewirkt werden soll. Auch hier könnte ein besseres Verständnis der physikalischen Abläufe zu höherer Effizienz und zu bedeutender Energieersparnis führen
ETHZ / JOL