07.06.2023

Schonendes Röntgenverfahren

Neue Methode basiert auf Compton-Streuung und reduziert Strahlenschäden bei empfindlichen biologischen Proben deutlich.

Ein Pollen mit darin enthaltenem Nanoschaum oder die faszinierenden geometrischen Strukturen im Inneren einer Kieselalge: Mit einer innovativen Technik ist es einem Team um die DESY-Forscherin Saša Bajt und den DESY-Forscher Henry Chapman an DESYs brillanter Röntgenstrahlungsquelle c III gelungen, winzige biologische Proben zu durchleuchten, ohne sie zu beschädigen. Das neuartige Verfahren liefert hoch­auflösende Röntgen­bilder von getrocknetem biologischem Material, das zuvor weder eingefroren noch beschichtet oder anderweitig verändert werden muss.

 

Abb.: Von links nach rechts: Ein Pollen­korn, eine Kiesel­alge und ein...
Abb.: Von links nach rechts: Ein Pollen­korn, eine Kiesel­alge und ein Cyano­bakterium, alle abgebildet mit Compton-Röntgen­streuungs­mikroskopie an DESYs Röntgen­licht­quelle Petra III. (Bild: DESY / CFEL)

Biologische Materialien reagieren sehr empfindlich auf Röntgen­strahlung. Schon vergleichsweise geringe Dosen können sie schädigen und damit die Bestimmung ihrer Struktur verfälschen. Die neue Methode nutzt hochenergetische Röntgenstrahlung, die durch innovative Spezial­linsen stark fokussiert wird. Dadurch kommt die Technik mit weniger als einem Prozent der üblicherweise schädlichen Röntgendosis aus. Sie liefert dennoch Bilder mit einer Auflösung im Nanometerbereich. Die Methode eignet sich damit besonders für Röntgen­licht­quellen der nächsten Generation wie das geplante ultimative Röntgen­mikroskop Petra IV bei DESY.

Röntgenlicht interagiert auf unterschiedliche Weise mit biologischem Material, vor allem abhängig von der Energie und Intensität des Lichts. Röntgen­strahlung niedrigerer Energie wird vor allem von den Atomen in der Probe absorbiert, deren Elektronen dadurch aus der Atomhülle herausgeschleudert werden. Bei höheren Röntgen­energien dominiert ein Prozess, der als elastische Streuung bezeichnet wird. Dabei prallen die Röntgen­photonen wie Billardkugeln an der Materie ab, ohne ihre Energie abzugeben. Techniken wie die Kristallographie oder die Ptychographie basieren auf diesem Phänomen. Dennoch kann es auch dabei zu einer Absorption der energiereichen Photonen und damit zu Strahlen­schäden an der Probe kommen.

Die neue Methode setzt auf einen dritten Prozess: die Compton-Streuung, bei der die Röntgenphotonen an den Elektronen gestreut werden und nur einen winzigen Teil ihrer Energie im Zielmaterial zurücklassen. Die Compton-Streuung wurde als Methode für die Röntgen­mikroskopie bislang weitgehend ignoriert, da sie noch höhere Röntgenenergien erfordert, für die es keine geeigneten hochauflösenden Optiken gab. „Wir haben die Compton-Streuung verwendet und herausgefunden, dass die in der Probe deponierte Energie pro Menge an nachgewiesenen Photonen geringer ist als bei den anderen Methoden", sagt Chapman, Leitender Wissenschaftler bei DESY, Professor an der Universität Hamburg und Erfinder verschiedener Röntgentechniken.

Der Vorteil der geringen Röntgendosis in der Probe ist zugleich allerdings eine Herausforderung für die Herstellung geeigneter Linsen: Hochenergetische Röntgenstrahlung durchdringt fast alle Materialien und wird kaum gebrochen oder gebeugt, wie es für die Fokussierung von Strahlung jedoch erforderlich ist. Bajt hat dazu eine neue, innovative Art von Röntgenlinsen entwickelt, die Mehrschicht-Laue-Linsen (MLL). Diese neuen Optiken bestehen aus über 7300 nanometer­dünnen Schichten, die abwechselnd aus Silizium­karbid und Wolfram­karbid gefertigt sind. Mit ihnen konnte das Team ein holografisches optisches Element konstruieren, mit dem sich die Röntgen­strahlung effizient fokussieren ließ.

Mit diesem Linsensystem konnte das Team an der Messstation P07 bei Petra III eine Vielzahl biologischer Materialien abbilden, indem es die Compton-Streudaten erfasste, während die Probe durch den fokussierten Strahl lief. Diese Art der Raster­mikroskopie erfordert eine sehr helle Röntgenquelle – je heller, desto besser. Die Fokussierung der Strahlung auf einen Punkt bestimmt die Auflösung der Bilds. DESYs hochbrillante Synchrotron­strahlungs­quelle Petra III ist bei hohen Röntgenenergien hell genug, um Bilder auf diese Weise in einer annehmbaren Zeit aufzunehmen. Ihr volles Potenzial kann die Technik am geplanten Röntgenmikroskop Petra IV entfalten.

Um die Methode zu testen, verwendete das Team eine Blaualge (Cyano­bakterium), eine Kieselalge und sogar ein Pollenkorn, das direkt vor dem Labor gesammelt wurde – „eine sehr lokale Probe“, wie Bajt betont. Die Untersuchung erreichte bei allen Proben eine Auflösung von siebzig Nanometern. Im Vergleich zur Untersuchung einer ähnlichen Pollenprobe mit der konventionellen Methode der kohärenten Röntgenstreuung erreichte die Compton-Röntgen­mikroskopie eine ähnliche Auflösung bei einer 2000 Mal geringeren Röntgendosis. „Als wir die Proben nach dem Experiment erneut mit einem Lichtmikroskop untersuchten, konnten wir keine Spuren der Strahlung feststellen“, berichtet Bajt, die Gruppenleiterin am Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) bei DESY ist.

„Diese Ergebnisse könnten sogar noch besser sein“, erläutert Chapman. „Im Idealfall würde man für ein solches Experiment einen kugelförmigen Detektor verwenden, weil die gestreute Röntgenstrahlung aus der Probe in alle Richtungen fliegt. In dieser Hinsicht ist es ein bisschen wie bei einem Kollisions­experiment in der Teilchen­physik, bei dem man Daten in allen Richtungen sammeln muss.“ Außerdem wiesen die Messdaten darauf hin, dass bei einer höheren Helligkeit wie etwa von Petra IV die Auflösung noch steigen kann. So könnten etwa in den noch relativ struktur­losen Aufnahmen der Cyano­bakterien einzelne Organellen und dreidimensionale Strukturen sichtbar werden, bis zu einer Auflösung von zehn Nanometern, ohne eine problematische Schädigung.

„Die einzige Einschränkung bei den Untersuchungen war nicht die Art der Technik, sondern die Helligkeit der Quelle“, erläutert Bajt. Mit einer helleren Quelle könnte die Methode dann für die Abbildung ganzer, nicht präparierter Zellen und Gewebe verwendet werden oder für die Verfolgung von Nanopartikeln innerhalb einer Zelle, etwa zur direkten Beobachtung einer Medikamenten­abgabe.

Durch die Eigenschaften der Compton-Streuung eignet sich die Methode darüber hinaus auch für nicht-biologische Proben, etwa für die Untersuchung des Auf- und Entladens von Batterien. „In der Literatur gibt es bisher nichts Vergleichbares“, sagt Bajt. „Es gibt also noch viel zu erforschen.“ An der Arbeit waren Forscher von DESY, CFEL, dem Exzellenz­cluster CUI: Advanced Imaging of Matter an der Universität Hamburg sowie der Universität Lund in Schweden beteiligt.

DESY  /DE

 

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