01.10.2015

Schraubzwinge fürs Vakuum

Supraleitendes Transmon ermöglicht Beeinflussung quantenfeldtheoretischer Vakuumfluktuationen.

Schon die alte Naturphilosophie kannte das Diktum vom „horror vacui“, demzufolge die Natur vor der absoluten Leere zurückscheut. Die moderne Quanten­feld­theorie scheint diese alte Einsicht zu bestätigen, denn nach ihr bestehen auch im völlig materie- und feldfreien Raum immer noch Quanten­fluktuationen, die sogar messbare Effekte nach sich ziehen. Die virtuellen Teilchen, die diese Vakuum­fluktuationen verursachen, spielen zudem für die Abstrahlungs­bedingungen eine wichtige Rolle: Die virtuellen Photonen, an die etwa ein angeregtes Elektron in einem Atom koppeln kann, liefern ein Reservoir an Zuständen, über die das Elektron seine Energie abgeben und in den Grundzustand zurückfallen kann. Damit ist die spektrale Dichte der Vakuum­fluktuationen ein entscheidender Parameter für die Lebensdauer eines angeregten Zustands. Überdies wecken solche Effekte Hoffnungen, durch Feintuning der Vakuum­fluktuationen bestimmte Quanten­eigen­schaften nach Maß einstellen zu können – etwa für Anwendungen im Quanten­computing.

Abb.: Künstliches Atom vor einem Spiegel, realisiert als Quantenbit in einem tiefgekühlten Schwingkreis. (Bild: I.-C. Hoi et al. / NPG)

Eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern um Per Delsing von der Chalmers University of Technology im schwedischen Göteborg hat nun ein altes Lehrbuch-Experiment in eine moderne Variante übersetzt. Das Gedanken­experiment ist denkbar einfach: Ein Atom befindet sich vor einem Spiegel. Der Spiegel sorgt für Rand­bedingungen bei den Vakuum­fluktuationen und den ein- und auslaufenden Feldern, so dass das Atom messbar vom Quanten­vakuum beeinflusst wird.

Virtuelle Teilchen selbst sind aus prinzipiellen Gründen nicht direkt messbar. Ihr Einfluss macht sich aber etwa im Casimir-Effekt bemerkbar. Bei diesem liegen sich zwei leitende Platten in kurzem Abstand gegenüber. Zwischen den Platten können sich nur bestimmte Moden des quanten­feld­theoretischen Vakuums ausbilden, die den Rand­bedingungen genügen. Außerhalb der Platten jedoch ist das Spektrum der Zustände kontinuierlich. Der Überschuss an Moden außerhalb der Platten sorgt nun für einen äußeren Druck auf die Platten, so dass diese sich anziehen. Durch geschicktes Design der Platten lässt sich dieser Effekt auch umkehren und eine abstoßende Kraft realisieren. Bewegt man die Platten schnell genug, lassen sich damit über den dynamischen Casimir-Effekt sogar reelle Photonen erzeugen.

Ähnlich wie beim Casimir-Effekt spielen die möglichen Moden der Vakuum­fluktuationen auch beim „Atom vor dem Spiegel“ eine Rolle. Solche Experimente wurden bereits durchgeführt. Sie besitzen allerdings einen Nachteil: Sowohl die Strahlungseigenschaften als auch die Bewegung des Atoms sind nur schwer zu kontrollieren, was die Präzision bei solchen Experimenten einschränkt. Delsing und seine Kollegen entwickelten deshalb ein „künstliches Atom“, um das Gedanken­experiment in größeren und besser kontrollier­baren Dimensionen umsetzen zu können.

Hierzu wählten sie einen Mikrowellen­leiter, in das ein Transmon integriert war. Das ist eine supra­leitende Struktur, die derzeit vor allem für die Verwendung als Quantenbit erforscht wird. Die Forscher brachten den Mikro­wellen­leiter mit litho­graphischen Verfahren auf einem Aluminium­substrat auf. Dann kühlten sie die Apparatur bis knapp über den absoluten Nullpunkt auf fünfzig Milli­kelvin. Diese tiefen Temperaturen waren notwendig, um thermische Störungen auszuschließen, die die Messungen der filigranen Effekte der Vakuum­fluktuationen unter­minieren könnten. In dieses System aus künst­lichem Atom und Spiegel speisten die Forscher Mikrowellen­strahlung mit einer Frequenz von etwa fünf Gigahertz ein und maßen die Anregungs­zustände des Transmons.

Dabei zeigte sich ein Verhalten, wie es die Theorie gefordert hatte: Die inverse Lebens­dauer der Anregungs­zustände war proportional zur spektralen Dichte der Vakuum­fluktuationen. Damit ließ sich sowohl die Spektral­dichte bestimmen als auch der Anregungs­zustand manipulieren. Je nachdem, welche Größe die Moden der Vakuum­fluktuationen am Ort des Transmons annahmen, konnten die Forscher dessen Lebens­dauer entsprechend variieren. Mit ihrem Aufbau konnten sie die Lebens­dauer der Transmon-Zustände um einen Faktor von 9,8 verlängern. „Mit einem neuen Experiment sollte es auch möglich sein, das Gegenteil zu erreichen, also die Lebens­dauer des Atoms zu verkürzen, indem wir es in einen anderen Abstand vom Spiegel bringen“, sagt Delsing.

Eine andere interessante Möglichkeit besteht darin, das Quantenbit praktisch vor äußeren Feldern zu tarnen. So ist im Minimum einer bestimmten Quanten­mode einerseits die spektrale Dichte sehr gering und damit die Lebens­dauer eines Zustands besonders hoch. Andererseits ist dort auch die Kopplung extrem gering und damit gleichfalls die Nachweis­möglichkeit. Solche Manipulationen der Vakuum­fluktuationen eröffnen natürlich insbesondere für das Quanten­computing und die Nano­system­forschung interessante neue Ansätze.

Dirk Eidemüller

RK

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