Schraubzwinge fürs Vakuum
Supraleitendes Transmon ermöglicht Beeinflussung quantenfeldtheoretischer Vakuumfluktuationen.
Schon die alte Naturphilosophie kannte das Diktum vom „horror vacui“, demzufolge die Natur vor der absoluten Leere zurückscheut. Die moderne Quantenfeldtheorie scheint diese alte Einsicht zu bestätigen, denn nach ihr bestehen auch im völlig materie- und feldfreien Raum immer noch Quantenfluktuationen, die sogar messbare Effekte nach sich ziehen. Die virtuellen Teilchen, die diese Vakuumfluktuationen verursachen, spielen zudem für die Abstrahlungsbedingungen eine wichtige Rolle: Die virtuellen Photonen, an die etwa ein angeregtes Elektron in einem Atom koppeln kann, liefern ein Reservoir an Zuständen, über die das Elektron seine Energie abgeben und in den Grundzustand zurückfallen kann. Damit ist die spektrale Dichte der Vakuumfluktuationen ein entscheidender Parameter für die Lebensdauer eines angeregten Zustands. Überdies wecken solche Effekte Hoffnungen, durch Feintuning der Vakuumfluktuationen bestimmte Quanteneigenschaften nach Maß einstellen zu können – etwa für Anwendungen im Quantencomputing.
Abb.: Künstliches Atom vor einem Spiegel, realisiert als Quantenbit in einem tiefgekühlten Schwingkreis. (Bild: I.-C. Hoi et al. / NPG)
Eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern um Per Delsing von der Chalmers University of Technology im schwedischen Göteborg hat nun ein altes Lehrbuch-Experiment in eine moderne Variante übersetzt. Das Gedankenexperiment ist denkbar einfach: Ein Atom befindet sich vor einem Spiegel. Der Spiegel sorgt für Randbedingungen bei den Vakuumfluktuationen und den ein- und auslaufenden Feldern, so dass das Atom messbar vom Quantenvakuum beeinflusst wird.
Virtuelle Teilchen selbst sind aus prinzipiellen Gründen nicht direkt messbar. Ihr Einfluss macht sich aber etwa im Casimir-Effekt bemerkbar. Bei diesem liegen sich zwei leitende Platten in kurzem Abstand gegenüber. Zwischen den Platten können sich nur bestimmte Moden des quantenfeldtheoretischen Vakuums ausbilden, die den Randbedingungen genügen. Außerhalb der Platten jedoch ist das Spektrum der Zustände kontinuierlich. Der Überschuss an Moden außerhalb der Platten sorgt nun für einen äußeren Druck auf die Platten, so dass diese sich anziehen. Durch geschicktes Design der Platten lässt sich dieser Effekt auch umkehren und eine abstoßende Kraft realisieren. Bewegt man die Platten schnell genug, lassen sich damit über den dynamischen Casimir-Effekt sogar reelle Photonen erzeugen.
Ähnlich wie beim Casimir-Effekt spielen die möglichen Moden der Vakuumfluktuationen auch beim „Atom vor dem Spiegel“ eine Rolle. Solche Experimente wurden bereits durchgeführt. Sie besitzen allerdings einen Nachteil: Sowohl die Strahlungseigenschaften als auch die Bewegung des Atoms sind nur schwer zu kontrollieren, was die Präzision bei solchen Experimenten einschränkt. Delsing und seine Kollegen entwickelten deshalb ein „künstliches Atom“, um das Gedankenexperiment in größeren und besser kontrollierbaren Dimensionen umsetzen zu können.
Hierzu wählten sie einen Mikrowellenleiter, in das ein Transmon integriert war. Das ist eine supraleitende Struktur, die derzeit vor allem für die Verwendung als Quantenbit erforscht wird. Die Forscher brachten den Mikrowellenleiter mit lithographischen Verfahren auf einem Aluminiumsubstrat auf. Dann kühlten sie die Apparatur bis knapp über den absoluten Nullpunkt auf fünfzig Millikelvin. Diese tiefen Temperaturen waren notwendig, um thermische Störungen auszuschließen, die die Messungen der filigranen Effekte der Vakuumfluktuationen unterminieren könnten. In dieses System aus künstlichem Atom und Spiegel speisten die Forscher Mikrowellenstrahlung mit einer Frequenz von etwa fünf Gigahertz ein und maßen die Anregungszustände des Transmons.
Dabei zeigte sich ein Verhalten, wie es die Theorie gefordert hatte: Die inverse Lebensdauer der Anregungszustände war proportional zur spektralen Dichte der Vakuumfluktuationen. Damit ließ sich sowohl die Spektraldichte bestimmen als auch der Anregungszustand manipulieren. Je nachdem, welche Größe die Moden der Vakuumfluktuationen am Ort des Transmons annahmen, konnten die Forscher dessen Lebensdauer entsprechend variieren. Mit ihrem Aufbau konnten sie die Lebensdauer der Transmon-Zustände um einen Faktor von 9,8 verlängern. „Mit einem neuen Experiment sollte es auch möglich sein, das Gegenteil zu erreichen, also die Lebensdauer des Atoms zu verkürzen, indem wir es in einen anderen Abstand vom Spiegel bringen“, sagt Delsing.
Eine andere interessante Möglichkeit besteht darin, das Quantenbit praktisch vor äußeren Feldern zu tarnen. So ist im Minimum einer bestimmten Quantenmode einerseits die spektrale Dichte sehr gering und damit die Lebensdauer eines Zustands besonders hoch. Andererseits ist dort auch die Kopplung extrem gering und damit gleichfalls die Nachweismöglichkeit. Solche Manipulationen der Vakuumfluktuationen eröffnen natürlich insbesondere für das Quantencomputing und die Nanosystemforschung interessante neue Ansätze.
Dirk Eidemüller
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