08.11.2022

Schwarzes Loch in der Nachbarschaft

Gaia BH1 ist weniger als 1600 Lichtjahre entfernt und umkreist einen sonnenähnlichen Stern.

Mit Daten des Esa-Astrometrie­satelliten Gaia haben Astronomen um Kareem El-Badry vom Max-Planck-Institut für Astronomie das erdnächste bekannte schwarze Loch gefunden – weniger als 1600 Lichtjahre von uns entfernt. Es umkreist einen Stern, der unserer Sonne ähnelt. Winzige Positions­verschiebungen jenes Sterns verrieten die Anwesenheit des Begleitobjekts. Mit derselben Methode sollten sich noch zahlreiche weitere schwarze Löcher entdecken lassen. Die Eigenschaften des Doppel­sternsystems sind freilich unerwartet und weisen auf eine Lücke im Verständnis der Astronomen hin, wie solche Systeme überhaupt entstehen. 

Abb.: Simulation der Nahansicht des schwarzen Lochs Gaia BH1. (Bild: T....
Abb.: Simulation der Nahansicht des schwarzen Lochs Gaia BH1. (Bild: T. Müller, MPIA)

In der Milchstraße gibt es schätzungsweise hundert Millionen stellare schwarze Löcher. Aufgrund der grundlegenden Schwierigkeiten bei der Beobachtung schwarzer Objekte konnte allerdings nur ein geringer Teil davon bislang nachgewiesen werden. Einige wurden von Gravitations­wellendetektoren aufgespürt, die fast hundert Verschmelzungen stellarer schwarzer Löcher gemessen haben, Angaben über die Massen jener Objekte inklusive. Hinzu kommen einige Dutzend durch Teleskop­beobachtungen nachgewiesene stellare schwarze Löcher. Die meisten davon umkreisen einen Begleitstern, der nahe genug ist, dass die Schwerkraft des schwarzen Lochs Wasserstoffgas aus dem Begleitstern in eine Akkretionsscheibe ziehen kann, die das schwarze Loch umgibt. Das Gas wird dabei heiß genug, um beträchtliche Mengen an Röntgenstrahlung zu emittieren. Es gibt zwanzig bekannte Röntgen­doppelsterne dieser Art und weitere fünfzig Kandidaten.

Es gab mehrere Versuche, zusätzlich auch „stille“ schwarze Löcher in Doppelsternsystemen zu finden, also schwarze Löcher ohne solche hellen Akkretions­scheiben. Das Mittel der Wahl waren dabei Sternspektren. Solche Spektren enthalten Informationen über die Bewegung eines Sterns relativ zu uns. Doch liefern sie nur einen Teil der Informationen über die Sternbewegung und damit über die Umlaufbahn und die Masse des Begleiters. Die fehlende Information ist dabei eine entscheidende Unsicher­heits-Quelle – und genau dort verspricht die Gaia-Mission der Esa Abhilfe. Bereits seit einigen Jahren hegen Astronomen und Astronominnen die Hoffnung, dass die Astrometrie-Mission Gaia einen neuen Weg zur Entdeckung und Charakterisierung von schwarzen Löchern in Doppelstern­systemen eröffnen könnte: indem sie Informationen liefert, die die anhand der Spektren von Sternen gewonnenen Daten ergänzen. Gaia ist für hochpräzise Messungen von Stern­positionen ausgelegt. Dazu gehört auch die Fähigkeit, die Bewegung eines sichtbaren Sterns am Himmel zu dokumentieren, und daraus wiederum lässt sich auf die Anwesenheit eines unsichtbaren Begleiters schließen.

Binärsysteme bei denen einer der Partner ein schwarzes Loch ist, sind allerdings im Vergleich zur Gesamtanzahl von Doppel- oder Mehrfach­systemen sehr selten. Daher ist die Reichweite von Gaia für die Suche ebenso wichtig wie die Genauigkeit: Hochwertige Daten für mehr als hunderttausend Doppel­sternsysteme bieten eine gute Chance, das schwarze Loch unter den vielen normalen Doppelsternsystemen. Als Mitte Juni 2022 der Gaia-Datensatz 3 (Gaia DR3) veröffentlicht wurde, der erstmals die Bahndaten der mit Gaia entdeckten Doppelstern­systeme enthält, machten sich Kareem El-Badry, MPIA-Direktor Hans-Walter Rix und seine Kollegen direkt daran, die Daten nach möglichen Kandidaten zu durchsuchen. Wo zwei Objekte einander als Doppel­sternsystem umkreisen, beschreibt jedes davon in der Regel eine kleine Ellipse am Himmel. Gaia DR3 enthält Daten für 168.065 solcher winzigen Ellipsen oder Teile davon.

Anhand von Auswahlkriterien, die besonders geeignet waren, Systeme zu finden, in dem sich ein leuchtender Stern sowie ein massereicher unsichtbarer Begleiter umkreisen, konnten die Forscher sechs vielver­sprechende Kandidaten ausfindig machen. Alle sechs Kandidaten waren es wert, genauer betrachtet zu werden: mit Hilfe der Radialgeschwindigkeits­messungen, die aus dem Spektrum des Sterns abgeleitet wurden und die Aufschluss geben über die Bewegung des Sterns. Eine Reihe von Angaben zu Radial­geschwindigkeiten erhielten die Forschenden bereits in Form von in astro­nomischen Archiven vorhandenen Spektraldaten. Und weil Radialgeschwindigkeiten und Himmels­positions-Verschiebungen sozusagen zwei Seiten derselben Medaille sind, konnten sie die mit Hilfe von Gaia rekonstruierten Sternumlauf­bahnen mit Hilfe der Radial­geschwindigkeits-Werte bereits auf die Probe stellen. Drei Kandidaten, bei denen die verfügbaren Radial­geschwindigkeitsdaten der Gaia-Rekonstruktion der Doppelsterne widersprachen, waren damit aus dem Rennen.

Ein weiterer Kandidat fiel heraus, weil die beste rekonstruierte Umlaufbahn nur sehr schlecht zu den Gaia-Daten passte – und einer Umlaufzeit entsprochen hätte, die so lang ist, dass Gaia sie gar nicht erst hätte messen können sollen. Ein fünfter Kandidat ist derzeit noch im Rennen, aber wartet auf ergänzende Spektral­messungen. Bei dem verbleibenden Kandidaten­objekt, Gaia DR3 4373465352415301632, das die Forscher „Gaia BH1“ tauften, passte dagegen alles zusammen: Alle verfügbaren Daten waren wechselseitig stimmig. Um zusätzliche Gewissheit zu erlangen, führten die Astronomen weitere gezielte Beobachtungen von Gaia BH1 durch: mit dem 6,5-Meter-Magellan-Clay-Teleskop, dem 8,1-Meter-Gemini-Nord-Teleskop, dem 10-Meter-Keck-I-Teleskop und – für den Löwenanteil der neuen Datenpunkte – mit dem 2,2-Meter-ESO/MPG-Teleskop, welches das MPIA am La Silla-Observatorium der ESO betreibt.

Alles spricht dafür: Gaia BH1 ist ein System mit einem unsichtbaren Objekt mit einer Masse von rund zehn Sonnenmassen, welches einen sonnen­ähnlichen Stern mit einer Umlaufzeit von 185,6 Tagen umkreist. Der Abstand zwischen Stern und Begleiter entspricht in etwa dem durch­schnittlichen Abstand zwischen Erde und Sonne. Würde es sich bei dem Zehn-Sonnenmassen-Objekt um einen anderen Stern handeln, wäre dieser zwangsläufig viel heller als sein Begleiter. Stattdessen zeigen weder die Gaia-Daten noch Folge­beobachtungen Licht eines solchen zweiten Sterns. Damit ist Gaia BH1 ein hervor­ragender Kandidat für ein schwarzes Loch – und zwar mit einer Entfernung von rund 1560 Lichtjahren von der Erde für das bei weitem erdnächste schwarze Loch, das Astronomen und Astro­nominnen bisher gefunden haben.

Gaia BH1 ist ein spektakulärer, aber gleichzeitig ein rätselhafter Fund. Es ist alles andere als einfach zu erklären, wie ein solches System überhaupt entstehen konnte. Der Vorgängerstern, der später zum schwarzen Loch wurde, müsste eine Masse von mindestens zwanzig Sonnenmassen gehabt haben. Daraus folgt zwingend, dass seine Lebensdauer sehr kurz gewesen sein muss, in der Größen­ordnung von wenigen Millionen Jahren. Wären beide Sterne gleichzeitig entstanden, hätte sich dieser massereiche Stern in einen Überriesen verwandelt, der sich aufbläht und sich bis weit über die gemeinsame Umlaufbahn der Sterne hinaus in den Weltraum erstreckt, bevor der andere Stern überhaupt die Zeit gehabt hätte, ein richtiger („Hauptreihen“-)Stern mit Wasserstoff-Kernfusion im Kern zu werden.

Es ist überhaupt nicht klar, wie der massereiche Stern diese Episode in einer Weise überlebt haben könnte, dass er am Ende trotzdem noch so normal aussieht, wie es die Beobachtungen des Systems zeigen. Alle theoretischen Modelle, die ein Überleben zulassen, sagen voraus, dass der massereiche Stern auf einer viel engeren Umlaufbahn hätte landen müssen, als dies tatsächlich beobachtet wird. Damit bleiben noch eher ungewöhnliche Entstehungs­szenarien übrig. Die beiden ursprüng­lichen Sterne könnten sich beispielsweise als Teil eines Sternhaufens gebildet haben. Zu Beginn wären sie in diesem Szenario wesentlich weiter voneinander entfernt gewesen, so dass die Überriesenphase des massereichen Sterns die Entwicklung des zweiten Sterns nicht gestört hätte. Enge Begegnungen des Systems mit weiteren Sternen des Haufens könnten die Umlaufbahn dann später auf ihre heutige, viel kleinere Größe verändert haben.

Alternativ ist möglich, dass das System gar nicht aus zwei, sondern aus drei Komponenten besteht: Zwei massereiche Sterne anstelle von einem, die eng umeinander umlaufen, und zusätzlich noch der Stern mit einer einzigen Sonnenmasse, der das massereiche Paar in einem größeren Abstand umkreist. Die beiden massereichen Sterne könnten sich in solch einer Situation gegenseitig daran hindern, zu Überriesen zu werden. Das Zehn-Sonnen­massen-Objekt wäre dann nicht ein einzelnes schwarzes Loch, sondern ein Paar sich eng umkreisender schwarzer Löcher. Da die Gravitation eines solchen doppelten schwarzen Lochs etwas anders auf den masse­ärmeren Stern wirken würde als bei einem einzelnen schwarzen Loch, könnten zukünftige genauere Beobachtungen diese Möglichkeit bestätigen oder ausschließen.

MPIA / JOL

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