02.05.2008

Schwarzes Loch mit Gravitationsantrieb

Erstmals haben Forscher ein supermassives schwarzes Loch beobachtet, das - durch Gravitationswellen angetrieben - seine Muttergalaxie verlässt.



Erstmals haben Forscher ein supermassives schwarzes Loch beobachtet, das – durch Gravitationswellen angetrieben – seine Muttergalaxie verlässt.

Es klingt ein wenig wie Sciencefiction: Zwei schwarze Löcher im Herzen einer Galaxie verschmelzen miteinander und erzeugen Gravitationswellen, die das so entstandene superschwere schwarze Loch aus der Galaxie herauskatapultieren. Vor ein paar Jahren haben Theoretiker ein solch spektakuläres Szenario am Computer simuliert. Jetzt hat ein Team um Stefanie Komossa vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) eine derartige „Gravitationsrakete“ tatsächlich aufgespürt – mit weitreichenden Folgen für unser Verständnis der Galaxienentstehung und -entwicklung im frühen Universum.

Der Fund der Max-Planck-Wissenschaftler belegt erstmals eines dieser extremen Ereignisse, die bisher nur in Supercomputern simuliert wurden. Danach, so die Theorie, breiten sich beim Verschmelzen zweier schwarzer Löcher enorme Gravitationswellen mit Lichtgeschwindigkeit aus. Da die Wellen bevorzugt in eine Richtung ausgesandt werden, erhält das schwarze Loch selbst einen Rückstoß. Das ähnelt dem Vorgang beim Abschießen eines Gewehrs oder beim Start einer Rakete. Dadurch verharrt das schwarze Loch nicht länger im Kern des Milchstraßensystems, sondern beginnt zu wandern. Erreicht es eine bestimmte Geschwindigkeit, verlässt es schließlich seine Muttergalaxie.

Abb.: Geschoss aus dem Kern: Erstmals haben Forscher ein supermassives schwarzes Loch beobachtet, das – durch Gravitationswellen angetrieben – seine Muttergalaxie verlässt. Die Illustration zeigt dieses Szenario. (Bild: MPE/HST-Archiv)

Den Astrophysikern fiel das schwarze Loch im Sloan-Himmelsatlas durch seine sehr hohe Geschwindigkeit auf: Das Gas um das schwarze Loch zeigte im Spektrum stark verschobene Linien. Daraus schlossen die Forscher, dass sich das kosmische Schwergewicht – es enthält einige 100 Millionen Sonnenmassen - mit einem Tempo von knapp 3000 Kilometern pro Sekunde bewegt. Zum Vergleich: Würde man in München mit dieser Geschwindigkeit starten, hätte man innerhalb von weniger als einer Sekunde Afrika erreicht. Die ungeheure Stärke dieses Rückstoßes katapultierte das schwarze Loch aus seiner Muttergalaxie heraus.

Neben den Spektrallinien von Gas, das an das schwarze Loch gebunden ist, fielen auch ungewöhnlich schmale Linien aus der Galaxie selbst auf – sie stammen von Materie, die dort zurückgelassen wurde: Dieses Gas ist nicht an das schwarze Loch gekoppelt, wird aber von dessen Akkretionsscheibe beleuchtet, also von dem Strudel um diese Gravitationsfalle.

Wird ein schwarzes Loch aus dem Kern einer Galaxie gestoßen, nimmt es die direkt umgebende Materie bis auf einen geringen Rest mit und findet damit noch für viele Millionen Jahre „Nahrung“. Es saugt weiterhin Gas aus der Scheibe auf, und dieses Gas leuchtet im Röntgenlicht. Tatsächlich hat das Team um Stefanie Komossa auch den Röntgenschein um das zehn Milliarden Lichtjahre entfernte schwarze Loch entdeckt: Die Himmelsregion wurde zufällig durch den Satelliten ROSAT erfasst; ganz am Rand des Gesichtsfelds lag eine Röntgenquelle, deren Position mit jener der fernen Galaxie übereinstimmt.

Gekräuselte Raumzeit
Astrophysiker interessieren sich stark für Gravitationswellen und ihre Effekte. Denn diese von Albert Einstein vorausgesagten Wellen zählen zu den energiereichsten Prozessen im Universum. Sie kräuseln die Struktur der Raumzeit wie ein in den See geworfener Stein die Wasseroberfläche. Im Jahr 2006 verschmolzen die Forscher erstmals in Computersimulationen schwarze Löcher und berechneten die dabei entstehenden Gravitationswellen-Signale.

Ein Jahr später gelang ein weiterer Durchbruch: Supercomputer wiesen die ungeheure Stärke des Rückstoßes beim Verschmelzen zweier schwarzer Löcher nach. Die Ergebnisse des Teams um Komossa bedeuten nun einen weiteren Meilenstein der Gravitationswellen-Forschung, da sie den bisher nur simulierten „Raketeneffekt der Gravitation“ durch reale Beobachtungen bestätigen.

Zudem beweist die jüngste Entdeckung indirekt, dass schwarze Löcher tatsächlich miteinander verschmelzen. Auch für diesen theoretisch postulierten Prozess gab es bisher keine eindeutigen Belege. Aus der Beobachtung folgt außerdem, dass es Galaxien ohne schwarze Löcher in den Kernen geben muss – und auf der anderen Seite intergalaktische schwarze Löcher existieren, die auf alle Ewigkeit im Raum zwischen den Galaxien treiben.

Das wirft neue Fragen für die Forschung auf: Bildeten und formierten sich Galaxien und schwarze Löcher in der Frühphase des Universums gemeinsam? Oder gab es eine Population von Galaxien, die ihrer schwarzen Löcher im Kern beraubt wurden? Wie entwickelten sich diese Galaxien dann weiter?

In engem Wechselspiel zwischen Theorie und Beobachtung wollen die Astrophysiker jetzt diese Fragen klären. Unter anderem sollen verschiedene Detektoren auf dem Erdboden und im Weltraum, darunter das derzeit im Bau befindliche Weltraum-Interferometer LISA, in naher Zukunft auf die Fährte der Gravitationswellen angesetzt werden. Für diese weitergehenden Untersuchungen sind die Erkenntnisse des Max-Planck-Teams wichtig.

Quelle: MPG [MC/HOR]

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