Schwarzkörperstrahlung zieht Atome an
Präzisionsmessungen mit einem Atominterferometer weisen winzigen Effekt nach.
Durch Atominterferometrie lassen sich die auf ein Atom wirkenden Kräfte nachweisen, selbst wenn sie extrem schwach sind. Letzten Sommer hatten Forscher um Holger Müller von der University of California in Berkeley mit einem Atominterferometer die Gravitationskraft untersucht, die ein zentimetergroßer Hohlzylinder auf einzeln durch ihn fallende Atome ausübt. Jetzt haben sie den Hohlzylinder erhitzt, sodass er von merklicher Schwarzkörper- oder Hohlraumstrahlung erfüllt war, und deren anziehende Wirkung auf die Atome nachgewiesen.
Abb.: Das Atominterferometer (li.): Drei Laserpulse spalten ein frei fallendes atomares Wellenpaket in zwei Teilwellen auf, führen diese wieder zusammen und lassen sie interferieren. Der Energiedichtegradient der Hohlraumstrahlung eines heißen Hohlzylinders (re.) zieht die Atome messbar an. (Bild: P. Haslinger et al. / NPG)
In dem dazu benutzten Atominterferometer wurden die Materiewellen von frei fallenden Cäsiumatomen in zwei Teilwellen aufgespalten, die sich unabhängig voneinander entwickelten. Nach kurzer Zeit wurden die beiden Teilwellen umgelenkt und wieder zusammengeführt, sodass sie miteinander interferierten. Aus dem Interferenzsignal ließ sich die Beschleunigung ermitteln, die die Atome auf ihrem Flug erfahren hatten. Mit den Atomen passierte dabei im Detail Folgendes: Die auf 300 Nanokelvin lasergekühlten Atome flogen senkrecht nach oben und fielen schließlich durch die Wirkung der Schwerkraft wieder hinab. Am Umkehrpunkt ihrer Flugbahn waren sie etwa 3,7 Millimeter tief in den Hohlraum eines zentimetergroßen Hohlzylinders aus Wolfram eingedrungen.
Der Hohlzylinder hatte einen fünf Millimeter breiten Schlitz an der Seite. Durch ihn konnte der Hohlzylinder von innen mit einem Infrarotlaser auf eine Temperatur von 460 Kelvin erhitzt werden. Im Laufe von sechs Stunden kühlte der Hohlzylinder langsam ab, sodass das Interferometerexperiment bei unterschiedlichen Temperaturen durchgeführt werden konnte, die mit einem IR-Sensor gemessen wurden. Zudem erlaubte es der Schlitz, den Hohlzylinder aus dem Experiment zu entfernen, ohne dieses zu stören. So war eine Vergleichsmessung möglich, anhand der sich ermitteln ließ, welche der auf ein Atom wirkenden Kräfte vom Hohlzylinder und von der in ihm vorhandenen Hohlraumstrahlung verursacht wurden.
Längs ihrer senkrechten Flugbahn waren die Atome zwei einander entgegen gerichteten gepulsten Laserstrahlen ausgesetzt, die den inneren Zustand und den Impuls der Atome veränderten. Der erste Laserpuls teilte das atomare Wellenpaket in zwei gleichgewichtige Teile, die sich in ihrem Hyperfeinzustand und ihrem Impuls unterschieden. Dieser Puls spielte die Rolle des ersten Strahlteilers in einem Interferometer. Nach 65 Millisekunden folgte ein zweiter Laserpuls, der die inneren Zustände und Impulse der beiden Teilwellen vertauschte. Er wirkte wie die Umlenkspiegel eines Interferometers.
Nach weiteren 65 Millisekunden brachte ein dritter Laserpuls die beiden Teilwellen in denselben inneren und Impulszustand, sodass sie interferieren konnten. Dies war der zweite Strahlteiler des Interferometers, der zwei verschiedene Ausgänge hatte. Wie sich die Atome nach dem Durchlaufen des Interferometers auf diese beiden Ausgänge verteilten, ergab das Interferenzsignal. Aus ihm ließ sich die Beschleunigung ermitteln, die die Atome bei ihrem freien Fall erfahren hatten.
Die dominierende Erdbeschleunigung konnten die Forscher eliminieren, indem sie das Experiment einmal mit Hohlzylinder und einmal ohne ihn durchführten und die Differenz der Beschleunigungen ermittelten. Nachdem sie die Schwerkraftwirkung des Hohlzylinders, die etwa 66 nm/s2 betrug, berücksichtigt hatten, blieb in erster Linie die Wirkung der Hohlraumstrahlung auf die Atome übrig.
Abb.: Je heißer der Hohlzylinder ist, desto stärker zieht er die Atome an: Die gemessene Temperaturabhängigkeit der Beschleunigung (Punkte) und die theoretische Vorhersage unter Einschluss der vom Zylinder verursachten Schwerebeschleunigung stimmen hervorragend überein. (Bild: P. Haslinger et al. / NPG)
Durch den Stark-Effekt verstimmte das elektrische Wechselfeld der Hohlraumstrahlung die Energieniveaus der Atome. Aufgrund des Intensitätsgradienten der Hohlraumstrahlung wurden die polarisierbaren Atome daraufhin in das Strahlungsfeld hineingezogen. Verglichen mit dieser anziehenden Wirkung der Hohlraumstrahlung war ihr abstoßend wirkender Strahlungsdruck vernachlässigbar. Und auch der Casimir-Effekt spielte im aktuellen Experiment keine merkliche Rolle.
Nach dem Stefan-Boltzmann-Gesetz hängt die Energiedichte der Hohlraumstrahlung ρ von der Temperatur T ab wie: ρ(T) = const. T4. Berücksichtigt man die tatsächliche räumliche Temperaturverteilung im Hohlzylinder und die Umgebungstemperatur T0, so erhält man eine anziehende Beschleunigung, die im Wesentlichen wie T4 anwächst. Der genaue berechnete Verlauf der Beschleunigung mit T stimmte hervorragend mit der gemessenen Temperaturabhängigkeit überein.
Die Forscher weisen darauf hin, dass für ein Cäsiumatom in einem Temperaturgradienten von 0,1 Kelvin pro Meter bei einer Basistemperatur von 300 Kelvin Beschleunigungen von 10-11 m/s2 auftreten. Dies erscheint zwar gering, ist aber bei Präzisionsmessungen auf der Erde oder im Weltraum durchaus nicht vernachlässigbar. Zudem sind sie zuversichtlich, dass man mit erhitzten Testmassen ein Interferometerexperiment kalibrieren kann, mit dem sich der Gravitations-Aharonov-Bohm-Effekts nachweisen ließe: die kräftefreie Gravitationsrotverschiebung.
Rainer Scharf
Weitere Infos
Weitere Beiträge
JOL