Schwebende Plasmakristalle
Neues Plasmaexperiment auf der ISS untersucht Anordnung der Partikel in einer kristallinen Struktur.
Bei Plasmaexperimenten in der Schwerlosigkeit steht die Dynamik von Vielteilchensystemen im Fokus. Auf der Internationalen Raumstation ISS wird dazu auch seit zwei Jahren die Apparatur PK-4 (Plasmakristallexperiment 4) betrieben. Als kürzlich, Anfang Oktober 2016, eine Experimentmission mit PK-4 auf der ISS durchgeführt wurde, saß auch Markus Thoma vom I. Physikalischen Institut der Justus-
Abb.: Markus Thoma („horizontal“) mit Christopher Dietz (vorn) und dahinter Christian Schinz beim Experimentieren in der Schwerelosigkeit. (Bild: K. Stang / DLR)
Drei Tage lang steuerten Spezialisten der französischen Raumfahrtagentur CNES zusammen mit Wissenschaftlern die Experimente vom Kontrollraum aus. Auch der russische Kosmonaut Anatoli Ivanishin, mit dem das Bodenpersonal in Verbindung stand, beteiligte sich aktiv an den Experimenten. Die aufgezeichneten Daten werden voraussichtlich Ende Oktober 2016 mit einer russischen Sojuskapsel zur Erde transportiert und anschließend den Wissenschaftlern in Gießen und in anderen internationalen Forschungseinrichtungen zur Auswertung zur Verfügung stehen.
Ein Ingenieursmodell von PK-4, das bau- und funktionsgleich zum Flugmodell auf der ISS ist, befindet sich seit Mitte 2015 am I. Physikalischen Institut der JLU. Forscher nutzen sie zur Vorbereitung von Experimenten auf der ISS und zur Durchführung von Parabelflugexperimenten. In der Arbeitsgruppe von Thoma werden bereits seit 2013 plasmaphysikalische Forschungen durchgeführt. Zuvor war der Gießener Physiker von 2002 bis 2013 am Max-Planck-
PK-4 ist in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der European Space Agency (ESA), der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos, dem Joint Institute for High Temperatures in Moskau und der Industriefirma OHB entstanden und seit 2014 auf der ISS in Betrieb. Zur Entwicklung der Experimenteinheit PK-4 haben die Wissenschaftler von 2003 bis 2012 in neun Parabelflugkampagnen Tests in der Schwerelosigkeit vorgenommen. Am MPE war dazu eine langjährige Expertise vorhanden, da man dort bereits seit rund zwanzig Jahren Versuche in Parabelflügen sowie auf der Raumstation ISS durchführt.
Zusätzlich zu der Experimentmission auf der ISS, die jetzt von Toulouse aus gesteuert wurde, hatte Thoma im September 2016 mit der Apparatur PK-4 zusammen mit einem Team aus sechs Wissenschaftlern und Ingenieuren der JLU an einer Parabelflugkampagne in Bordeaux teilgenommen. Dabei wurden in einem Airbus A310 – dem ehemaligen, für Parabelflugzwecke umgebauten Regierungsflugzeug „Konrad Adenauer“ – spezielle Manöver geflogen, so dass im Inneren für jeweils zwanzig Sekunden Schwerelosigkeit herrschte. An vier Flugtagen wurden pro Flug 31 Parabeln absolviert, nachdem die Versuchsapparaturen in der Woche vorher ins Flugzeug eingebaut wurden.
In den Parabelflügen simulierten die Forscher unter anderem elektrorheologische Flüssigkeiten mit Hilfe eines komplexen Plasmas. Diese speziellen Flüssigkeiten, die ebenfalls kleine Partikel enthalten, verändern beim Anlegen von elektrischen Feldern ihre Eigenschaften deutlich. Feststellbar ist zum Beispiel eine sprunghafte Vergrößerung der Viskosität. Sie finden in Schockabsorbern und Bremssystemen wichtige Anwendungen. Die Bilddaten der Experimente, die nach Aussagen von Thoma erfreulicherweise alle sehr erfolgreich verlaufen seien, werden in Kürze in seiner Arbeitsgruppe ausgewertet. Sie sollen einen zentralen Beitrag zu zwei Dissertationen an der JLU darstellen.
In solchen Plasma-Systemen können interessante neuartige Phänomene auftreten, wie beispielsweise die Anordnung der Partikel in einer kristallinen Struktur, dem Plasmakristall. Im Labor müssen die geladenen Partikel durch elektrische Felder in der Schwebe gehalten werden, damit man sie beobachten kann. Diese Felder beeinflussen aber die Wechselwirkung zwischen den Teilchen. Für viele Fragestellungen sei es daher notwendig, komplexe Plasmen in der Schwerelosigkeit zu untersuchen, erklärt Thoma.
JLU / DE