12.05.2005

Schwebende Tropfen

Tropfen - z. B. die eines Kaffeefilters - gleiten häufig erst einige Sekunden auf dem Flüssigkeitsspiegel herum, bevor sie eintauchen. Warum eigentlich?




Tropfen - z. B. die eines Kaffeefilters - gleiten häufig erst einige Sekunden auf dem Flüssigkeitsspiegel herum, bevor sie eintauchen. Warum eigentlich?

Ein Wassertropfen überlebt es normalerweise nicht, wenn er einer Wasseroberfläche zu nahe kommt. Aufgrund der van der Waals-Kraft ziehen sich die beiden Flüssigkeitsoberflächen an. Ist erst einmal der Kontakt hergestellt, dann führt die Oberflächenspannung dazu, dass Tropfen und Wasseroberfläche verschmelzen. Doch wie lässt sich dann folgendes Schauspiel erklären, das man bei der Zubereitung des Morgenkaffees beobachten kann? Tropfen, die vom Kaffeefilter herab in die halbvolle Kanne fallen, gleiten auf dem Flüssigkeitsspiegel herum, verschmelzen zu größeren Tropfen und – verschwinden erst nach einigen Sekunden.

Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts haben Osbourne Reynolds und Lord Rayleigh das seltsame Phänomen der gleitenden Tropfen untersucht, jedoch ohne eine schlüssige Erklärung zu finden. Später zeigte es sich, dass bei Verwendung von viskoseren Flüssigkeiten, wie etwa Silikonöl, die Tropfen länger auf der Flüssigkeitsoberfläche herumgleiten. Die Lebensdauer von millimetergroßen Öltröpfchen lässt sich sogar auf mehrere Minuten ausdehnen, wenn man den mit Öl gefüllten Behälter einige zehn- bis hundertmal in der Sekunde auf und ab bewegt. Dabei hopsen und gleiten die Tropfen auf einem dünnen Luftfilm, der sie davor bewahrt, von der Flüssigkeitsoberfläche aufgesogen zu werden, wie jetzt Forscher um Yves Couder von der Université Paris herausgefunden haben.

Die zwei Abbildungen zeigen einen auf einer Flüssigkeitsoberfläche hüpfenden Tropfen mit 2 mm Radius. Die Pfeile geben die Bewegungsrichtung an. (Quelle: Couder et al. )

Für ihre Experimente benutzten die Forscher einen 5×5×3 cm 3 großen Behälter, der mit Silikonöl gefüllt war. Diese Ölwanne konnte mit variabler Schwingungsfrequenz und Amplitude auf und ab bewegt werden. Die Schwingungsamplitude wurde jeweils so gewählt, dass keine Faraday-Instabilität auftrat, dass sich also auf der Flüssigkeitsoberfläche kein Muster aus stehenden Oberflächenwellen ausbildete. Öltröpfchen, die bei ruhendem Behälter auf der Flüssigkeitsoberfläche deponiert wurden, verschwanden innerhalb von Zehntelsekunden. Wurde der Behälter auf und ab bewegt, so konnten millimetergroße Tröpfchen nahezu beliebig lange auf der Oberfläche herumhopsen – in einem Fall drei Tage lang!

Größere Tröpfchen von etwa 3 mm Durchmesser hopsten nicht mehr auf der Öloberfläche herum, sondern blieben auf der Oberfläche sitzen und oszillierten nur ein wenig. Diese Tröpfchen konnten einige Minuten lang überleben. Mit einer Injektionsnadel haben die Forschen zu solchen Tröpfchen Öl hinzugefügt und sie auf einen Durchmesser von mehreren Zentimetern gemästet. Die Tropfen hatten dann eine flache Oberseite und waren vollständig in das Ölbad eingesunken. Sie blieben etwa eine halbe Stunde bestehen – und zwar auch dann, wenn die Ölwanne in Ruhe war und keine Schwingungen ausführte.

Ob es sich um hopsende oder oszillierende Tröpfchen handelte oder um die zentimetergroßen Tropfen – sie alle verdankten ihr Überleben einer mikrometerdünnen Luftschicht, die sie von der Öloberfläche trennte. Für solch dünne Schichten macht sich die Viskosität der Luft bemerkbar. Sie hemmt das Entweichen der Luft aus dem Spalt zwischen Tropfen und Öloberfläche. Erst wenn die Dicke der Luftschicht auf 200 nm abgenommen hat, gewinnt die van der Waals-Kraft die Oberhand, die Luftschicht reißt und der Tropfen wird vom Ölbad aufgesogen.

Damit ein Öltröpfchen auf der Öloberfläche hopsen konnte, mussten nach den Berechnungen der Forscher mehrere Bedingungen erfüllt sein. Das Öl musste so viskos sein, dass es beim Aufprall des Tröpfchens nicht von der beiseite gedrängten Luft mitgerissen wurde. Die dünne Luftschicht, die das Tröpfchen beim Aufprall von der Öloberfläche trennte, musste dem auftretenden Druck standhalten können. Und schließlich musste auch schnell genug wieder Luft in den Spalt einströmen können, wenn der Tropfen von der Oberfläche hochsprang. Um die letzten beiden Bedingungen zu erfüllen, musste der schwingende Ölbehälter eine Mindestbeschleunigung erfahren, die quadratisch von der Schwingungsfrequenz abhing. Und tatsächlich: Es traten keine hopsenden Tropfen auf, wenn die Beschleunigung des Behälters diese Mindestbeschleunigung unterschritt oder wenn das Öl nicht zähflüssig genug war.

Bei den hopsenden Tröpfchen wird die trennende Luftschicht immer wieder erneuert. Deshalb haben sie im Prinzip eine beliebig lange Lebensdauer. Bei den ruhenden Tropfen schrumpft die Dicke der trennenden Luftschicht zunächst in Sekundenbruchteilen auf etwa einen Mikrometer. Die Tropfen haben dann eine große Mulde in die Öloberfläche gerückt und ihr Gewicht verteilt sich auf eine große Fläche. Die Dicke der Luftschicht nimmt dann nur noch sehr langsam ab, wie die Forscher anhand von Interferenzringen beobachten konnten, die bei Beleuchtung der Tropfen sichtbar wurden. Nach den Berechnungen der Forscher sollte die Dicke der Luftschicht mit der Zeit t wie t -1/2 schrumpfen – in guter Übereinstimmung mit dem tatsächlich gemessenen Verhalten. Dabei ist es unerheblich, ob die Ölwanne vibriert oder nicht. Es bleiben zwar noch einige Fragen offen. Aber wenn man will, kann man ja die gleitenden Tropfen bei einer Tasse Kaffee selbst weiter untersuchen.

Rainer Scharf

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