Schwindender Sauerstoff in Europas Atmosphäre
Geladene Teilchen verursachen den Verlust von Sauerstoff auf dem Jupitermond.
Unter der Eisdecke des Monds befindet sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ein riesiger Ozean aus Salzwasser. Aus Messungen eines nahen Mondvorbeiflugs der Nasa-Mission Juno konnte nun abgeleitet werde, dass Produktion und Verlust von Sauerstoff und Wasserstoff aus der Atmosphäre von Europa deutlich geringer sind als bisher angenommen. Es steht damit weniger Sauerstoff zur Verfügung, der möglicherweise in den Ozean gelangen könnte. Joachim Saur vom Institut für Geophysik und Meteorologie der Universität zu Köln war an den Forschungen beteiligt. Saur lieferte Berechnungen der Strömungen um den Mond und trug zur Schätzung der Verlustrate bei.
Mit einem Äquatordurchmesser von 3100 Kilometern ist Europa der viertgrößte von Jupiters 95 bekannten Monden und der kleinste der vier Galileischen Monde. Die Forschung geht davon aus, dass unter seiner Eiskruste ein riesiger Ozean aus Salzwasser verborgen liegt. Unklar ist bislang, ob unter der Oberfläche lebensfreundliche Bedingungen herrschen. Die Ergebnisse wurden durch die Messung der Wasserstoffausgasung auf der Mondoberfläche mithilfe von Daten des JADE-Instruments (Jovian Auroral Distributions Experiment) der Raumsonde Juno gewonnen.
Bislang war die Zusammensetzung der Atmosphäre von Europa noch nie direkt gemessen worden. Die Messungen bestätigen, dass die Atmosphäre hauptsächlich aus Sauerstoff und Wasserstoff besteht. Die Forschenden schätzen die Menge des produzierten Sauerstoffs auf etwa zwölf Kilogramm pro Sekunde. Frühere Schätzungen reichten bis über 1000 Kilogramm pro Sekunde. Die Forschenden ziehen in Betracht, dass ein Teil des auf diese Weise produzierten Sauerstoffs in den unterirdischen Ozean des Mondes gelangen und dort zu einer möglichen Quelle für Stoffwechselenergie werden könnte.
Europa befindet sich auf seiner Umlaufbahn in der Mitte des Strahlungsgürtels des Gasriesen. Geladene oder ionisierte Teilchen vom Jupiter bombardieren die eisige Oberfläche und spalten Wassermoleküle in zwei Hälften. Dadurch entsteht der Sauerstoff, der in den Ozean des Mondes gelangen könnte. Das ständige Bombardement ist zwar für die Entstehung von Sauerstoff aus Wassermolekülen verantwortlich, trägt aber gleichzeitig zu dessen Verlust bei, indem es das Wasser erodiert. „Europa ist wie eine Eiskugel, die langsam ihr Wasser in einem fließenden Strom verliert. Die ionisierten Teilchen fließen dann durch das außergewöhnliche Magnetfeld des Jupiters um den Planeten herum“, sagt James Szalay von der Princeton University. „Wenn diese ionisierten Teilchen auf Europa treffen, spalten sie das Wassereis auf der Oberfläche Molekül für Molekül auf und erzeugen so Wasserstoff und Sauerstoff. In gewisser Weise wird die gesamte Eishülle durch geladene Teilchen, die auf sie einschlagen, kontinuierlich abgetragen.“
Als Juno am 29. September 2022 in einer Entfernung von 354 Kilometern an Europa vorbeiflog, identifizierte und maß das JADE-Instrument Wasserstoff- und Sauerstoffionen, die durch den Beschuss mit geladenen Teilchen entstanden waren und dann vom Magnetfeld des Jupiters eingefangen wurden. „Schon die Galileo-Mission der Nasa öffnete uns die Augen für die komplexen und dynamischen Wechselwirkungen zwischen Europa und seiner Umgebung. Juno hat uns die Möglichkeit gegeben, die Zusammensetzung geladener Teilchen aus der Atmosphäre Europas direkt zu messen, und wir konnten es kaum erwarten, einen weiteren Blick hinter den Vorhang dieser spannenden Wasserwelt zu werfen“, so Szalay. „Wir ahnten noch nicht, dass die Beobachtungen uns einen so genauen Einblick in die Menge des Sauerstoffs geben würden, der in Europas eisiger Oberfläche produziert wird.“
Juno ist mit elf hochmodernen wissenschaftlichen Instrumenten zur Untersuchung des Jupitersystems ausgestattet, darunter neun Sensoren für geladene Teilchen und elektromagnetische Wellen zur Untersuchung der Magnetosphäre des Jupiters. „Unsere Fähigkeit, während unserer ausgedehnten Mission nahe an den Galileischen Mond zu fliegen hat es uns ermöglicht, ein breites Spektrum an Untersuchungen durchzuführen – auch zur möglichen Bewohnbarkeit von Europa“, sagt Scott Bolton, leitender Wissenschaftler der Juno-Mission vom Southwest Research Institute in San Antonio (USA). „Diese Untersuchungen dauern an. Weitere Vorbeiflüge und die erste Erkundung des nahen Rings und der polaren Atmosphäre des Jupiters stehen noch bevor.“
Die Sauerstoffproduktion ist eine von mehreren Fragen, die eine weitere Nasa-Mission, Europa Clipper, bei ihrer Ankunft am Jupiter im Jahr 2030 untersuchen wird. Die Mission verfügt über neun hochentwickelte Instrumente um festzustellen, ob auf Europa Bedingungen herrschen könnten, die Leben ermöglichen. An Europa Clipper und der Mission „Jupiter Icy Moons Explorer“ der Europäischen Weltraumagentur ist Joachim Saur ebenfalls beteiligt. „Beide Missionen werden unser Verständnis der Ozeane auf solchen Monden auf ein völlig neues Niveau heben. Sie sind speziell auf die Erforschung der Ozeane ausgerichtet, während Juno in erster Linie das Innere und die Polarlichter des Jupiters erforschen soll und leider nur einmal an Europa vorbeigeflogen ist“, sagt der Geophysiker.
U. Köln / JOL