02.08.2018

Semimetall mit großem anomalem Nernst-Effekt

Weyl-Semimetall zeigt außergewöhnliches topologisches Verhalten.

Topo­logische Materia­lien versprechen eine ganze Reihe interes­santer Eigen­schaften. Nach theo­retischen Berechnungen sollte es eine Vielzahl solcher Stoffe geben, dabei ist erst ein Bruchteil von ihnen bekannt. Einen Kandidaten mit viel­seitigen Eigen­schaften hat nun ein inter­nationales Forscherteam um Satoru Nakatsuji von der Univer­sität Tokyo untersucht. Wie sich heraus­stellte, zeigte die Heusler-Legierung Co2MnGa nicht nur einen erstaunlich großen Nernst-Effekt. Seine elek­tronische Struktur entspricht auch der eines magne­tischen Weyl-Semi­metalls. Bei diesen kristallinen Materialien treten in der elek­tronischen Struktur eines Festkörpers Weyl-Quasi­teilchen auf, die nach Lösungen der Dirac­gleichung benannt sind, die Hermann Weyl gefunden hatte.

Abb.: Ferromagnetische Semimetalle zeigen überraschende Eigenschaften, etwa einen riesigen anomalen Nernst-Effekt. (Bild: S. Nakatsujii, U. Tokyo)

Die Heusler-Legierung Co2MnGa zeigt Ferro­magnetismus, obwohl ihre Legierungs­elemente diese Eigen­schaft nicht selbst aufweisen. Co2MnGa besitzt vier kubisch-flächen­zentrierte Kristall­gitter, die sich gegenseitig durch­dringen. Dabei zeigt dieses Semimetall neben seinem Ferro­magnetismus auch eine hohe Curie-Temperatur von 694 Kelvin. Von beson­derem Interesse für die Forscher war die Bestimmung des anomalen Nernst-Effekts. Da der Nernst-Effekt Temperatur­gradienten, Stromfluss und Magnet­felder miteinander verbindet, könnte man mit solchen Materialien thermo­elektrische Kompo­nenten rea­lisieren. Bislang war der Effekt zu klein, um für Anwen­dungen von Bedeutung zu sein. Weyl-Semi­metalle wie Co2MnGa könnten sich aber als wichtiger Schritt hin zu Anwen­dungen erweisen. Die Forscher bestimmten das Nernst-Signal zu 6 μVK−1 bei Raum­temperatur und nochmals höher zu 8 μVK−1 bei einer Temperatur von 400 Kelvin.

„Einen so großen Nernst-Effekt wie bei Co2MnGa hat man seit der Entdeckung des Effekts Anfang des 20. Jahr­hunderts noch niemals nachge­wiesen“, sagt Satoru Nakatsuj von der Universität Tokyo. Diese Messung liegt rund eine Größen­ordnung über den bisher bekannten Werten. Für zukünftige Anwen­dungen ist es natürlich wichtig, dass der­artige Effekte bei Raumtemperatur und darüber auftreten, und nicht nur etwa bei besonders tiefen oder hohen Tempera­turen.

Ein solch starker Nernst-Effekt verdankt sich der unge­wöhlichen elek­tronischen Struktur im Material, bei der sich der Übergang zwischen einem Weyl-Semi­metall vom Typ 1 und Typ 2 sowie topo­logische Eigen­schaften bemerkbar machen, die von der Krümmung der Berry-Phase abhängen. Bei anderen Materialien hat sich etwa eine solche Berry-Krümmung in einem großen anomalen Hall-Effekt nieder­geschlagen, nicht jedoch in einem starken anomalen Nernst-Effekt. Auch der Hall-Wider­stand von Co2MnGa erwies sich aber dement­sprechend als hoch und erreichte 15 μ Ω cm bei Raumtemperatur. Ebenso war die Hall-Leitfähigkeit sehr gut.

Den Kristall stellten die Forscher mit Hilfe von Lichtbogen­schmelzen her. Co2MnGa ist sehr beständig gegenüber Oxidation und erwies sich an Luft als stabil. Der Nernst-Effekt führte zu einem trans­versalen elek­trischen Feld, das durch einen senkrechten Temperatur­gradienten und ein Magnetfeld hervor­gerufen wird. Damit ist das Material nicht nur für die Grundlagen­forschung zu Topologie und Spintronik interes­sant, sondern öffnet auch die Tür für die Energie­gewinnung über thermo­elektrische Kompo­nenten.

Um für konkrete Anwen­dungen wirklich bedeutsam zu werden, müsste der beobachtete Nernst-Effekt aber nochmals deutlich gesteigert werden. Die Wissen­schaftler rechnen damit, dass sich ungefähr bei einer Zunahme um eine weitere Größen­ordnung Anwen­dungen rechnen sollten. Um das zu erreichen, wird noch einiges an Feintuning an den gewünsch­ten Material­eigenschaften notwendig sein. Wenn das aber erreicht ist, sollten sich die positiven Eigen­schaften von Weyl-Magneten bemerkbar machen: Solche Metalle lassen sich in Form dünner Filme auftragen, die man auf Wärme­quellen aufbringt. Auf diese Weise könnte man eine Reihe unter­schiedlicher Module entwerfen, die thermo­elektrisch Strom erzeugen.

Auf dem Weg hin zu den gewünschten Materialien ist aber nicht nur Experimen­tierkunst, sondern auch die Theorie gefragt. Die Eigen­schaften von Weyl-Magneten lassen sich mittler­weile immer besser über „first principle“-Berechnungen bestimmen. Ob sich mit diesen Materialien dann eher Anwen­dungen auf kleiner Ebene – etwa „on-a-chip“ – oder auch größer­skalige thermo­elektrische Anwendungen in indus­triellem Umfeld realisieren lassen, ist derzeit nicht vorher­zusehen und wird von weiteren Material­eigenschaften, wie etwa Preis, Schmelzpunkt, Betriebs­festigkeit und anderen, abhängen. Da die grund­legenden Ursachen für den großen anomalen Nernst-Effekt bei Co2MnGa aber bekannt sind, wollen die Forscher nun gezielt weitere Materialien dieses Typs suchen. Dazu könnte ein breites Spektrum von Stoffen zählen: Die Forscher gehen davon aus, dass sowohl inter­metallische Verbin­dungen als auch magne­tische Materialien aus Oxiden die gewünschten Eigen­schaften zeigen sollten.

Dirk Eidemüller

JOL

Sonderhefte

Physics' Best und Best of
Sonderausgaben

Physics' Best und Best of

Die Sonder­ausgaben präsentieren kompakt und übersichtlich neue Produkt­informationen und ihre Anwendungen und bieten für Nutzer wie Unternehmen ein zusätzliches Forum.

Weiterbildung

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie
TUM INSTITUTE FOR LIFELONG LEARNING

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie

Vom eintägigen Überblickskurs bis hin zum Deep Dive in die Technologie: für Fach- & Führungskräfte unterschiedlichster Branchen.

Meist gelesen

Themen