11.07.2017

Siliziumkugeln als neuer Kalibrierstandard für das Kilogramm

Extrem dünne Oxidschicht mit homogener Dicke sorgt für geringe Mess­un­sicher­heit.

Das Ur-Kilogramm, auf das alle Waagen kalibriert sind, verliert an Gewicht. Inter­natio­nale Bemü­hungen streben an, die Basis­ein­heit der Masse neu zu defi­nieren und künftig auf Natur­konstanten zu beziehen. Um das zu reali­sieren, führt ein Team der Physi­kalisch-Tech­nischen Bundes­anstalt Experi­mente mit Kugeln aus iso­topen­ange­reichertem Silizium durch, die als neuer Kali­brier­standard ver­wendet werden könnten. Dabei bestimmen die Experten die Avogadro-Konstante, die die Anzahl der Atome in einem Mol angibt. „Wir errechnen die Anzahl der Atome in einer Kugel und erhalten über mathe­ma­tische Glei­chungen die Zahl der Atome pro Mol. Ver­ein­facht gesagt finden wir heraus, was ein Silizium-Atom wiegt und können im Umkehr­schluss berechnen, wieviel Silizium-Atome für ein Kilo­gramm erfor­der­lich sind“, erläu­tert Ingo Busch von der PTB.

Abb.: Die zu beschichtende Silizium­kugel muss wie ein rohes Ei be­han­delt werden. Rechts im Bild: eine der Drei­punkt­auf­lagen. (Bild: Fh.-IST)

Beim Herstellen der Kugeln bildet sich eine natürliche Oxid­schicht aus Silizium­dioxid. Diese hat eben­falls Ein­fluss auf Masse und Volumen der Silizium­kugeln. Das Problem: Die native Schicht wächst langsam und zum Teil ungleich­mäßig. Dadurch lässt sich das tat­säch­liche Gewicht sowohl der Oxid­schicht als auch der Kugel sehr schwer messen. Gefragt ist daher eine alter­native, homo­gene Beschich­tung, um Mess­unsicher­heiten zu ver­ringern und Volumen und Masse der Kugel präzise bestimmen zu können.

Forschern des Fraunhofer-Instituts für Schicht- und Ober­flächen­technik ist es gelungen, eine Silizium­kugel mit einer solchen alter­nativen SiO2-Ober­fläche zu beschich­ten, deren Beschaf­fen­heit höchsten Anfor­de­rungen genügt. „Mit unserem Ver­fahren können wir eine SiO2-Schicht mit defi­nierter Rauheit und ein­stell­barer Schicht­dicke auf die Kugel auf­bringen. Die Schicht ist darüber hinaus stöchio­metrisch. Das bedeutet, dass das Ver­hält­nis der ein­zelnen Atome unter­ein­ander bezie­hungs­weise das Ver­hält­nis zwischen Silizium und Sauer­stoff konstant ist“, sagt Tobias Grau­mann vom Fraun­hofer-IST.

Als Beschichtungsverfahren wählten die Forscher die Atom­lagen­abschei­dung ALD, Atomic Layer Depo­sition. Der Vorteil der Methode: Eine repro­duzier­bare, extrem dünne Oxid­schicht mit homo­gener Dicke kann auf der Kugel aufge­bracht werden. Poten­zielle Verun­reini­gungen wie Kohlen­stoff oder Stick­stoff liegen unter­halb der Nach­weis­grenze. Die Rauheit der Schichten bleibt unter einem Nano­meter. „Die Rauheit der Kugel wird durch die Beschich­tung nicht nennens­wert erhöht. Das ist ein Faktor, damit die Mess­unsicher­heit zehn Mikro­gramm nicht über­schreitet. Ein Finger­abdruck wiegt bereits mehr“, sagt Grau­mann. Auch der Zeit­faktor spielt eine wichtige Rolle. Der Ferti­gungs­prozess der Kugeln lässt sich durch den Auftrag der alter­nativen SiO2-Ober­fläche beschleu­nigen, da das Wachs­tum der nativen Oxid­schicht mehrere Monate dauert.

Die am Fraunhofer-IST installierte ALD-Beschichtungs­anlage wurde eigens für das Projekt auf­wändig ange­passt und vor­be­reitet, so dass alle Arbeiten zur Beschich­tung in Rein­raum­atmo­sphäre statt­finden konnten. Der Fokus der jahre­langen Forschungs­arbeiten lag unter anderem auf der Halte­rung der Silizium­kugel im Reaktor. Da die Kugel voll­flächig beschichtet werden muss, haben sich die Forscher für eine Drei­punkt­auf­lage ent­schieden. „Hier machen wir uns die Wirkungs­weise der ALD zunutze: Die gas­förmigen Chemi­kalien diffun­dieren idealer­weise zwischen Kugel und den drei Kontakt­flächen der Halte­rung, die somit eben­falls beschichtet werden“, so Grau­mann.

Die Beschichtungen der Siliziumkugel sind beendet, aktuell finden die Mes­sun­gen an der PTB statt. Die Ergeb­nisse sollen diesen Sommer vor­liegen und auf der Konfe­renz für Maß und Gewicht im Herbst 2018 vorge­stellt werden. Spätes­tens dann soll das Ur-Kilo­gramm als Standard abge­löst werden. Auf dem metro­lo­gischen Treffen wird über die Neu­defi­ni­tion des Kilo­gramms ent­schieden. Die Forscher vom Fraun­hofer-IST und der PTB hoffen, dass sich die Silizium­kugeln als neuer Kali­brier­standard durch­setzen werden. Metro­logie­insti­tute und Kali­bier­labo­ra­torien sollen künftig die Mög­lich­keit erhalten, Kopien der Kugeln zu erwerben. Die PTB will drei preis­lich und quali­tativ unter­schied­liche Vari­anten anbieten.

Die am Fraunhofer IST entwickelten SiO2-Schichten lassen sich nicht nur auf Kugel­systeme, sondern auf belie­big komplex struk­tu­rierte Ober­flächen auf­bringen. Die Einsatz­bereiche sind viel­fältig und reichen von optischen Anwen­dungen über den Halb­leiter- und Elek­tronik­bereich bis hin zur Photo­voltaik.

FG / RK

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