06.07.2020

Simulierter Verschleiß

Computersimulationen zeigen Verschleiß und Reibung realer Werkstoffe auf atomarer Ebene.

Verschleiß und Reibung sind ganz entscheidende Themen für viele Industriebereiche: Was passiert, wenn eine Oberfläche über eine andere gleitet? Mit welchen Material­veränderungen muss man dabei rechnen? Was bedeutet das für die Haltbarkeit und Sicherheit von Maschinen? Was dabei auf atomarer Ebene passiert, lässt sich nicht direkt beobachten. Nun steht dafür allerdings ein neues zusätzliches wissen­schaftliches Werkzeug zur Verfügung: Aufwändige Computer­simulationen werden nun erstmals so leistungsfähig, dass man Verschleiß und Reibung realer Werkstoffe auf atomarer Skala simulieren kann.

Abb.: Ein kleines Stück Metall wird von oben belastet, die einzelnen Körnchen...
Abb.: Ein kleines Stück Metall wird von oben belastet, die einzelnen Körnchen des Metalls werden auf atomarer Skala berechnet. (Bild: TU Wien)

Dass diese neue Forschungs­richtung nun verlässliche Ergebnisse liefert, beweist das Tribologie-Team an der TU Wien, geleitet von Carsten Gachot. Das Verhalten von Oberflächen aus Kupfer und Nickel konnte mit großen Hochleistungs­rechnern simuliert werden. Die Ergebnisse stimmen verblüffend genau mit Bildern aus dem Elektronen­mikroskop überein – liefern aber noch wertvolle Zusatz­information. Mit bloßem Auge sieht es nicht besonders spektakulär aus, wenn zwei Oberflächen aneinander gleiten. Doch auf mikroskopischer Ebene laufen dabei hoch­komplizierte Vorgänge ab: „Metalle, wie man sie in der Technik verwendet, haben eine spezielle Mikro­struktur“, erklärt Stefan Eder. „Sie bestehen aus kleinen Körnchen, mit einem Durchmesser in der Größenordnung von Mikrometern oder noch kleiner.“

Wenn nun ein Metall unter großer Scher­belastung über das andere gleitet, dann geraten die Körnchen der beiden Materialien aneinander: Die Körnchen können dabei gedreht, verformt oder verschoben werden, sie können in kleinere Körnchen zerteilt werden oder durch erhöhte Temperatur oder mechanische Einwirkung wachsen. All diese Prozesse, die auf mikro­skopischer Skala ablaufen, bestimmen letztlich das Verhalten des Materials auf großer Skala – und damit entscheiden sie auch über die Lebensdauer einer Maschine, wie viel Energie in einem Motor durch Reibung verloren­geht oder wie gut eine Bremse funktioniert, in der eine möglichst hohe Reibkraft erwünscht ist. 

„Das Ergebnis dieser mikro­skopischen Prozesse kann man danach unter dem Elektronen­mikroskop untersuchen“, sagt Eder. „Man erkennt, wie sich die Kornstruktur der Oberfläche verändert hat. Allerdings war es bisher nicht möglich, den Ablauf dieser Prozesse zu studieren und genau zu erklären, wodurch welche Effekte zu welchem Zeitpunkt verursacht werden.“ Diese Lücke schließen nun große Molekular­dynamik-Simu­lationen, die das Tribo­logie-Team in Zusammenarbeit mit dem Exzellenz­zentrum für Tribologie (AC²T) in Wiener Neustadt und dem Imperial College in London& entwickelt: Atom für Atom werden die Oberflächen am Computer simuliert. Je größer das simulierte Material­stück und je länger der simulierte Zeit­abschnitt, umso mehr Computer­leistung wird benötigt. „Wir simulieren Abschnitte mit einer Seitenlänge von bis zu 85 Nanometern, über einige Nano­sekunden hinweg“, sagt Eder. 

Das Team untersuchte den Verschleiß einer Legierung aus Kupfer und Nickel bei unter­schiedlichen Mischungs­verhältnissen der beiden Metalle und unter­schiedlichen mechanischen Belastungen. „Unsere Computer­simulationen ergaben genau die Vielfalt an Prozessen, an Korn­veränderungen und Verschleiß-Effekten, wie man sie aus Experimenten grund­sätzlich bereits kennt“, sagt Eder. „Wir können damit Bilder produzieren, die genau den Aufnahmen aus dem Elektronen­mikroskop entsprechen. Allerdings hat unsere Methode einen entschei­denden Vorteil: Wir können den Prozess danach am Computer im Detail analysieren. Wir wissen, welches Atom zu welchem Zeitpunkt seinen Platz gewechselt hat, und was mit welchem Körnchen in welcher Phase des Prozesses genau passiert ist.“

In der Industrie stoßen die neuen Methoden bereits auf großes Interesse. „Schon seit Jahren wird darüber diskutiert, dass die Tribologie von verläss­lichen Computer­simulationen profi­tieren könnte. Nun haben wir ein Stadium erreicht, in dem die Qualität der Simulationen und die verfügbare Rechen­leistung so groß sind, dass wir dadurch spannende Fragen beant­worten könnten, die auf andere Weise gar nicht zugänglich wären“, sagt Carsten Gachot. So möchte man in Zukunft auch indus­trielle Prozesse auf atomarer Ebene analysieren, verstehen und verbessern.

TU Wien / JOL

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