So weit das Auge trägt
Welche Sichtweiten lassen sich bei gutem oder schlechtem Wetter erzielen? Die neue „Physik in unserer Zeit“ erklärt die zugrundeliegenden Phänomene.
Michael Vollmer
Kann man Helgoland vom 50 km entfernten deutschen Festland aus sehen, die Berge der Hohen Tatra in der Slowakei aus über 200 km Entfernung von Südostpolen oder gar den Mont Blanc vom über 500 km entfernten Köln? Die Antworten hängen von der Erdgeometrie, Lichtbrechung und Streuung in der Atmosphäre und nicht zuletzt von der Wahrnehmungspsychologie ab.
Die Entfernung beobachtbarer Objekte in der Atmosphäre reicht von wenigen Metern in dichtem Nebel und Sand- oder Schneestürmen bis hin zu vielen Kilometern in klarer Luft. Standardbeispiele für Extreme sind einerseits der berühmt-berüchtigte Londoner Nebel von 1952 mit Sichtweiten teils unter einem Meter, andererseits die Fernsicht der Alpen von München aus Entfernungen von über 90 Kilometern bei Fönbedingungen.
Kleine Sichtweiten sind gefährlich zum einen im Verkehr wegen Unfallgefahren, zum anderen durch die für Atemwege häufig ungünstige Zusammensetzung der Atmosphäre. Dagegen gehen große Sichtweiten einher mit klarer Atmosphäre, guten Wetterbedingungen und phänomenalen Fernsichten. Im Jahr 1948 wurde eine fotographisch nicht dokumentierte Beobachtung des Mont Blanc aus einem in 4 km Höhe befindlichen Flugzeug in der Nähe von Köln beschrieben. Kann dies stimmen? Ebenso steht die Frage im Raum: Ist die Hohe Tatra von Polen aus sichtbar, oder kann man Alpengipfel von den Pyrenäen aus sehen? Wie weit können erdgestützte Beobachter, wie weit solche in Flugzeugen auf der Erde sehen?
Für eine theoretische Abschätzung maximaler Sichtweite wird im Allgemeinen zunächst der mögliche Weg sich ungeschwächt ausbreitenden Lichts zwischen Objekt und Beobachterin diskutiert. Für sich geradlinig ausbreitendes Licht führt dies zur geometrisch bedingten Sichtweite. Eine nichtgeradlinige Ausbreitung durch Refraktion in realen Atmosphären kann diese enorm vergrößern. Selbst wenn es allerdings prinzipiell mögliche Lichtwege zwischen einem Objekt und einer Beobachterin gibt, wird das Licht entlang des Sehstrahls durch Streuung und/oder Absorption derart vor der Detektion mit dem Auge verändert, dass Sichtweiten eine große Bandbreite aufweisen, je nach Zusammensetzung und Beleuchtung der Atmosphäre. Nach der Wahrnehmungspsychologie spielt dabei insbesondere der wahrnehmbare Kontrast eine zentrale Rolle.
Diese und weitere Punkte sind Thema der Titelgeschichte in der aktuellen „Physik in unserer Zeit“. Die Kriterien für extreme Fernsicht sind auch für das Fotografieren über große Distanzen von besonderem Interesse.