12.06.2014

Soloauftritt für das Top-Quark

Seltene Ereignisse werfen neues Licht auf das Standardmodell der Teilchenphysik.

Das Top-Quark ragt aus dem Teilchenzoo heraus: Die Masse dieses schwersten aller Elementarteilchen ist vierzigmal so groß wie die seines Partnerteilchens, des Bottom-Quarks. Damit ist das Top etwa so schwer wie das W-, das Z- und das Higgs-Boson und könnte eine Rolle bei der elektroschwachen Symmetriebrechung spielen, durch die die Teilchen ihre Masse bekommen. Jetzt liegt die Analyse extrem seltener Prozesse am Fermilab und am CERN vor, bei denen einzelne Top-Quarks entstanden waren.

Abb.: Die dominanten Feynman-Diagramme für die s- (links) und t-Kanäle (rechts) für die Einzel-Top-Erzeugung von Top-Quarks am Tevatron (Bild: T. Aaltonen et al.)

Obwohl das Tevatron am Fermilab schon seit Herbst 2011 Geschichte ist und der Large Hadron Collider am CERN gegenwärtig aufgerüstet wird, enthalten die mit diesen Beschleunigern gewonnenen Daten noch so manche Schätze, die neue Einblicke eröffnen. Zwei solcher Schätze haben jetzt die CDF- und die D0-Kollaboration am Tevatron bzw. die CMS-Kollaboration am LHC gehoben – mit enormem rechnerischen Aufwand.

Während im Tevatron Protonen und Antiprotonen mit einer Gesamt­energie von 1,96 TeV kollidierten, stießen im LHC Protonen frontal mit einer Energie von 8 TeV zusammen. In dem Durch­einander von neutralen und geladenen Teilchen, das bei solch einer Kollision entsteht, suchten die Forscher nach Hinweisen auf Top-Quarks, die umgehend in ein Bottom-Quark und ein W-Boson zerfallen. Aus dem W-Boson entstehen ein Elektron und ein Neutrino, das Bottom-Quark verrät sich bei seinem Zerfall durch einen Teilchenjet.

Meist entsteht das Top-Quark durch starke Wechsel­wirkung gemeinsam mit seinem Antiteilchen, dem Antitop. Seltener können Top-Quarks auch einzeln durch schwache Wechsel­wirkung entstehen. Solche Prozesse waren erstmals 2009 von der CDF- und der D0-Kollaboration beobachtet worden. Dabei hatte ein Bottom-Quark mit einem leichteren Quark ein W-Boson ausgetauscht, woraufhin aus ihnen ein Top und ein anderes Quark wurden. Der Wirkungs­querschnitt für diesen t-Kanal lag bei 2,3 Picobarn. Damit war die Erzeugung eines einzelnen Top ein sehr seltenes Ereignis. Beim Tevatron mussten durchschnittlich 1010 Proton-Antiprotron-Kollisonen stattfinden, ehe ein Top entstand.

Doch es gibt auch noch weitere, durch die schwache Wechsel­wirkung vermittelte Prozesse, bei denen einzelne Top-Quarks entstehen können. Beim s-Kanal, den die Forscher am Tevatron unter die Lupe genommen haben, kollidieren ein Quark und ein Antiquark, werden zu einem W-Boson, aus dem ein Antibottom- und ein Top-Quark hervorgehen. Da am LHC nur Protonen kollidieren, die keine Antiquarks enthalten, hat man sich hier auf einen anderen Entstehungs­prozess für das Top konzentriert: den tW-Kanal, für den die hohe Energie des LHC von Vorteil ist. Dabei kollidiert ein Bottom mit einem Gluon und verwandelt sich unter Abgabe eines W-Bosons in ein Top.

Sowohl die Tevatron- als auch die LHC-Forscher mussten ihre jeweiligen Einzel-Top-Prozesse wie die Nadel im Heuhaufen suchen, da ungleich viel mehr Tops durch starke Wechsel­wirkung oder über den t-Kanal entstanden. Beide Teams berechneten für die jeweiligen Zerfälle mit Hilfe des Standard­modells subtile Signaturen, die es erst in ihrer Gesamtheit ermöglichten, die s-Kanal-Tops bzw. tW-Kanal-Tops von den auf andere Weise entstandenen Top-Quarks zu unterscheiden. Bei dem eingesetzten Analyse­verfahren spricht man von Boosted Decision Trees, BDT.

Mit Hilfe der aufwendigen BDT-Analyse konnten beide Tevatron-Kollabora­tionen mit einer Sicherheit von fünf Standard­abweichungen s-Kanal-Tops nachweisen. Der entsprechende Wirkungs­querschnitt beträgt demnach (1,29 +0,26 –0,24) pb, was gut mit der theoretischen Vorhersage (1,05 ± 0,06) pb des Standard­modells übereinstimmt. Die CMS-Kollaboration am LHC hat die W-Kanal-Tops mit sechs Standard­abweichungen Sicherheit nachgewiesen und einen Wirkungs­querschnitt von (23,4 ± 5,4) pb gemessen, ebenfalls in guter Übereinstimmung mit der Vorhersage der Theorie.

Der Wirkungsquerschnitt für die Erzeugung einzelner Tops gestattet Rückschlüsse auf die Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrix, die die Mischung der verschiedenen Quarksorten oder Flavours aufgrund der elektro­schwachen Wechsel­wirkung beschreibt. So erhielt die CMS-Kollaboration für das Matrixelement |Vtb|, das die Stärke der Kopplung zwischen W-Boson, Top- und Bottom-Quark angibt, eine untere Schranke. Demnach gilt mit 95 % Sicherheit: |Vtb| > 0,78. Unter der Annahme, dass es nur drei Quark-Familien gibt, erhält man hingegen |Vtb| > 0,99. Ab 2015 soll der aufgerüstete LHC mit einer Energie von 13 TeV dabei helfen, anhand der Soloauftritte des Top-Quarks den Wert für Vtb zu verbessern und damit der Frage nachzugehen, ob es Hinweise auf eine vierte Quark-Familie gibt.

Rainer Scharf

OD

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