Spin-Bahn-Kopplung für ungeladene Bosonen
Neutrale Atome im Laserlicht verhalten sich elektronenähnlicher denn je.
Neutrale Atome im Laserlicht verhalten sich elektronenähnlicher denn je.
An ultrakalten atomaren Gasen kann man viele Facetten des Quantenverhaltens von elektronischen Vielteilchensystemen unter nahezu idealen Bedingungen studieren. Beispiele sind der Übergang vom Isolator zur Supraflüssigkeit oder die Wirkung eines Magnetfeldes auf ein Elektronengas. Jetzt wurde erstmals die Spin-Bahn-Kopplung von Elektronen in einem elektrischen Feld mit neutralen bosonischen Atomen simuliert.
Bewegt sich ein Elektron im elektrischen Feld eines Atomkerns oder eines Kristalls, so nimmt es ein Magnetfeld wahr, das auf den Elektronenspin wirkt. Diese Spin-Bahn-Kopplung verursacht im Atom die Feinstruktur des Spektrums. Im Kristall eröffnet sie die Möglichkeit, den Spin elektrisch zu beeinflussen, was man z. B. in der Spintronik nutzen will. Darüber hinaus liegt die Spin-Bahn-Kopplung den sogenannten topologischen Isolatoren zugrunde, deren besonders robuste Quantenzustände man für das Quantencomputing nutzen könnte.
Will man die Spin-Bahn-Kopplung der Elektronen mit ultrakalten atomaren Gasen simulieren, so steht man vor einem Problem: Normalerweise koppelt weder der Spin der Elektronen noch der des Atomkerns an die Schwerpunktbewegung des Atoms. Doch kürzlich haben Xiong-Jun Liu und seine Kollegen von der Texas A&M University eine Lösung vorgeschlagen, auf die jetzt Ian Spielman und seine Mitarbeiter am NIST in Gaithersburg im Experiment zurückgegriffen haben.
Die NIST-Forscher haben ein Bose-Einstein-Kondensat aus Rubidium-87-Atomen hergestellt und mit zwei sich kreuzenden Raman-Laserstrahlen beleuchtet. Die Laser waren so abgestimmt, dass sie die beiden atomaren Zustände |F=1, mF=0> und |F=1, mF=–1> miteinander koppelten, die die Rolle von Spinzuständen |↑> bzw. |↓> spielten. Zugleich übertrugen die Laser auf die Atome einen Impuls, der vom Spinzustand abhing. Dadurch entstanden zwei verschiedene kohärente Überlagerungen der beiden Spinzustände, die mit der Schwerpunktbewegung der Atome korreliert waren. Es kam zu einer Spin-Bahn-Kopplung.
Während die Stärke der Spin-Bahn-Kopplung für Elektronen normalerweise festliegt, ließ sie sich für die Rubidiumatome mit Hilfe der Laserintensität variieren. Waren die Laser abgeschaltet, so trat keine Kopplung auf. Das führte dazu, dass sich die Atome mit entgegengesetztem Spin nur schwach abstießen und sich im Kondensat durchmischten. Wurden die Laser angeschaltet und ihre Lichtintensität langsam erhöht, so nahm die Stärke der Spin-Bahn-Kopplung zu. Atome mit entgegengesetztem Spin stießen sich daraufhin immer stärker ab, bis es schließlich bei einer kritischen Kopplungsstärke zur Entmischung der beiden Spinpopulationen kam. Dabei handelte es sich um einen Quantenphasenübergang, der (nahe) bei T=0 stattfand und durch Quantenfluktuationen hervorgerufen wurde.
Abb.: Bei einer kritischen Stärke der Spin-Bahn-Kopplung entmischen sich die beiden atomaren Spinpopulationen. (Bild: Y.-J. Lin et al., Nature)
Die Forscher weisen daraufhin, dass ihr Verfahren auch auf ultrakalte Gase aus fermionischen Atomen wie Kalium-40 anwendbar sein sollte. Dadurch ließen sich neue, exotische Vielteilchenquantenzustände herstellen und untersuchen. So könnte man z. B. supraflüssige atomare Kondensate erzeugen, deren Cooper-Paare keine Kugelsymmetrie haben. Ein weiteres Beispiel ist die mögliche Realisierung von Majorana-Fermionen, die ihre eigenen Antiteilchen sind.
RAINER SCHARF
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