28.09.2022

Spinselektive Katalysatoren

Chirale Oxid-Katalysatoren sollen die Effizienz chemischer Reaktionen wie der photokatalytischen Wasserspaltung erhöhen.

Die Kontrolle des Spins von Elektronen eröffnet künftige Anwendungs­szenarien in der spinbasierten Elektronik (Spintronik), beispielsweise zur Informationsverarbeitung. Außerdem bietet sie neue Möglichkeiten, die Selektivität und Effizienz von chemischen Reaktionen zu kontrollieren. Erste Erfolge präsentierten Forscher kürzlich am Beispiel der photo­katalytischen Wasserspaltung zur Erzeugung von grünem Wasserstoff und Sauerstoff. Ein Gemeinschafts­projekt von Arbeitsgruppen am Center for Soft Nanoscience der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster und am chemischen Institut der Universität Pittsburgh soll nun die zielgerichtete Entwicklung spinselektiver Katalysator­materialien vorantreiben. Hierzu setzen die Forscher die katalytische Aktivität verschiedener anorganischer, spin­polarisierender Materialien mit direkten Messungen der Spin­selektivität in Bezug. Im Zentrum stehen dabei Oxidmaterialien, welche eine Händigkeit in ihrer Struktur aufweisen, also chirale Materialien. Daneben wollen die Wissenschaftler den Ursprung der Spin-Polarisation in diesen chiralen Materialien erkunden.

 

Abb.: Paul Möllers bereitet die korrekte Positionierung einer Probe in der...
Abb.: Paul Möllers bereitet die korrekte Positionierung einer Probe in der Vakuum­kammer vor, an die das Spin­polarimeter angeschlossen ist. (Bild: WWU / T. Reiker)

Das deutsch-amerikanische Forscherteam untersuchte erstmals chirale Oxid-Katalysatoren, hier bestehend aus dünnen chiralen Kupferoxid­schichten auf einem dünnen Goldfilm. Die Messdaten zeigen, dass die Spin-Polarisation der Elektronen davon abhängt, aus welcher dieser Schichten die Elektronen stammen. Das Team macht dafür zwei Effekte verantwortlich: den „Chirality-induced spin selectivity“- (CISS-) Effekt sowie eine magnetische Ordnung in den chiralen Schichten. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, künftig spinselektive katalytische Oxidmaterialien passgenau herstellen zu können und damit die Effizienz von chemischen Reaktionen zu verbessern.

Warum der Elektronenspin relevant ist, zeigt dieses Beispiel: In Brennstoffzellen reagieren Wasserstoff und Sauerstoff unter Bildung von Wasser miteinander, wobei elektrische Energie frei wird. Der Wasserstoff kann zuvor durch den umgekehrten Prozess, die Spaltung von Wasser­molekülen in Wasserstoff und Sauerstoff, erzeugt worden sein. Die hierzu erforderliche Energie kann durch elektrischen Strom aus regenerativen Energiequellen oder direkt durch das Sonnenlicht bereitgestellt werden, sodass Wasserstoff perspektivisch als Energieträger in einem CO2-neutral ausgelegten Energiekreislauf dienen könnte. Einer großflächigen Kommerzialisierung dieses Konzepts, zum Beispiel in Elektroautos mit Brennstoff­zellen, steht unter anderem die geringe Effizienz entgegen: Für die Aufspaltung der Wasser­moleküle muss viel Energie aufgewendet werden, sodass es derzeit günstiger ist, diese direkt zum Laden einer Autobatterie zu nutzen.

Die geringe Effizienz der Wasserspaltung ist eine Folge der hohen Überspannung, die für die Entwicklung von Sauerstoff an der Anode der Elektrolyse­zelle erforderlich ist, sowie der Erzeugung unerwünschter Neben­produkte wie Wasserstoff­peroxid und elektronisch angeregtem Sauerstoff. Aufgrund ihrer hohen Reaktivität können diese Nebenprodukte zudem das Elektrodenmaterial angreifen. Beide Nebenprodukte treten im Singulett-Zustand auf, in dem die Spins der an den Molekül­bindungen beteiligten Elektronen antiparallel zueinander ausgerichtet sind. Dies ist bei dem erwünschten Produkt der Reaktion, Sauerstoff im elektronischen Grund­zustand, nicht der Fall, da es einen Triplettzustand mit parallel ausgerichteten Spins bildet.

Ein neuer Ansatz besteht deshalb darin, die Spins der auf den Katalysator­oberflächen adsorbierten Radikale, aus denen die Neben­produkte gebildet werden, parallel auszurichten. Eine solche parallele Ausrichtung der Elektronen­spins kann durch die Verwendung eines chiralen Materials erreicht werden. In diesem Fall kann der Elektronentransfer durch die Elektroden als Folge des CISS-Effekts oder durch die strukturelle Veränderung des Oxids spinselektiv sein, wobei in der Folge die Bildung von Molekülen im unerwünschten Singulett-Zustand unterdrückt und die Wasserstoff­ausbeute erhöht wird.

Während Forscher die spinselektive Katalyse erfolgreich demonstrierten, ist der Ursprung des CISS-Effekts nach wie vor nicht vollständig verstanden. Die spin­selektive Transmission von Elektronen durch helikale und somit auch chirale Moleküle ist nachgewiesen. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass die spin­selektive Elektronentransmission auch in anorganischen, nicht­molekularen chiralen Materialien auftritt. Anorganische spinfilternde Oberflächen sind chemisch stabiler als chirale Molekül­schichten und ermöglichen im Kontext der spinselektiven Katalyse größere Strom­dichten.

In der nun veröffentlichten Studie untersuchte Erstautor Paul Möllers, Physik­doktorand an der WWU, chirale Kupfer­oxidfilme von wenigen zehn Nanometern Dicke, die zuvor von den Forschern aus Pittsburgh in chiraler Form elektrochemisch auf ähnlich dünne Gold­substrate aufgetragen worden waren. Mithilfe von UV-Laserpulsen wurden Photo­elektronen aus den Proben angeregt und deren mittlere Spin­polarisation gemessen – in einem auf Mott-Streuung basierendem Spinpolarimeter. Je nachdem, ob die Proben von der oxidbedeckten Vorder­seite oder von der Rückseite beleuchtet wurden, wurden dabei Elektronen unterschiedlicher Energien herausgelöst, die zu unterschiedlichen Anteilen aus dem Goldsubstrat oder aus den Oxidfilmen selbst stammten. Durch Korrelation der Energie­verteilung mit den gemessenen Werten der Spin­polarisation zeigten die Münsteraner, dass die Elektronen aus beiden Schichten unterschiedlich polarisiert sind.

Die aus dem Goldsubstrat stammenden Elektronen werden durch den CISS-Effekt beim Durchlaufen der chiralen Schicht bezüglich ihres Spins gefiltert. Die Elektronen aus dem chiralen Kupferoxid weisen eine entgegen­gesetzte Spin-Polarisation auf, und bei Filmen einer Dicke über 40 Nanometern überwiegen diese Kupfer­oxid­elektronen. Zusätzliche, in der Arbeitsgruppe von Heiko Wende vom Fachbereich Physik der Universität Duisburg-Essen durchgeführte Messungen legen nahe, dass dies eine magnetische Ordnung in den chiralen Schichten widerspiegelt, die in nicht chiralen Oxid­filmen gleicher Zusammen­setzung nicht zu beobachten ist.

Um dieser Hypothese weiter nachzugehen, wird nun zunächst der experimentelle Aufbau in Münster um die Möglichkeit erweitert, die Spin­polarisation der Elektronen direkt in Abhängigkeit von deren Energie zu messen. Weitere an die nun veröffentlichte Studie anschließende Messungen an chiralen Kupfer- und Kobaltoxid­filmen werden so die eindeutige Unterscheidung beider Polarisations­mechanismen erlauben und damit das zielgerichtete Design chiraler anorganischer spinselektiver Katalysator­materialien ermöglichen.

WWU / DE

 

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