12.07.2022

Spintronik: Germanium-Tellurid zeigt ungewöhnliches Verhalten

Relaxation nach thermischer Anregung verläuft anders als bei herkömmlichen Halbmetallen.

Aufgrund seines gigantischen Rashba-Effekts gilt Germanium­tellurid als guter Kandidat für den Einsatz in spintro­nischen Bauelementen. Nun hat ein Team am HZB ein weiteres faszi­nie­rendes Phänomen in GeTe entdeckt. Dafür unter­suchten die Forscher die elektro­nische Reaktion auf thermische Anregung der Proben. Über­raschen­der­weise verlief die anschließende Relaxation ganz anders als bei herkömm­lichen Halbmetallen. Durch die gezielte Steuerung von Details der elektro­nischen Struktur könnten in dieser Material­klasse neue Funktio­na­li­täten erschlossen werden.

Abb.: Links: Elek­tro­nische Struk­tur von GeTe, auf­ge­nom­men an...
Abb.: Links: Elek­tro­nische Struk­tur von GeTe, auf­ge­nom­men an BESSY-II, zeigt die Band­dis­per­sio­nen von Bulk- (BS) und Ober­flächen-Rashba-Zu­ständen (SS1, SS2) im Gleich­ge­wicht. Mitte: Ver­grö­ße­rung des Be­reichs der Rashba-Zu­stände, ge­mes­sen mit 6 eV-Pho­to­nen des fs-Lasers. Rechts: Ent­spre­chen­de Dis­per­si­o­nen au­ßer­halb des Gleich­ge­wichts nach An­re­gung durch den Wärme­puls. (Bild: O. J. Clark et al. / HZB)

In den letzten Jahrzehnten hat die Komplexität der auf Silizium basierenden Technologien exponen­tiell zugenommen. Mit zunehmender Miniatu­ri­sierung werden unerwünschte Quanten­effekte und Wärme­verluste zu einem immer größeren Hindernis. Weitere Fortschritte erfordern neue Materialien, die Quanten­effekte nutzen, anstatt sie zu vermeiden. Spintronische Bauelemente, die die Spins der Elektronen und nicht deren Ladung nutzen, versprechen energie­effi­zientere Bauelemente mit deutlich verbesserten Schaltzeiten und völlig neuen Funktionen.

Kandidaten für spintronische Bauelemente sind Halbleiter­materialien, bei denen die Spins mit der Orbital­bewegung der Elektronen gekoppelt sind. Dieser Rashba-Effekt tritt in einer Reihe von nicht­magnetischen Halbleitern und halb­metal­lischen Verbindungen auf und ermöglicht es unter anderem, die Spins im Material durch ein elektrisches Feld zu manipulieren. Germanium­tellurid zeigt einen der größten Rashba-Effekte auf, die in Halbleitern beobachtet wurden.

Bislang wurde GeTe jedoch nur im thermischen Gleichgewicht untersucht. Jetzt hat ein Team um Jaime-Sánchez-Barriga vom HZB an BESSY II erstmals gezielt auf einen Nicht-Gleich­gewichts­zustand in GeTe-Proben zugegriffen und detail­liert untersucht, wie sich das Gleichgewicht in dem Material binnen Billionstel­sekunden wieder­her­stellt. Dabei stießen die Physiker auf ein neues und unerwartetes Phänomen.

Zunächst wurde die Probe mit einem Infrarotpuls angeregt und dann mit hoher Zeitauf­lösung mittels winkel­auf­ge­löster Photo­emissions­spektro­skopie gemessen. „Zum ersten Mal konnten wir alle Phasen der Anregung, Therma­li­sierung und Relaxation auf ultrakurzen Zeitskalen beobachten und charak­te­ri­sieren", sagt Sánchez-Barriga. Das wichtigste Ergebnis: Die Daten zeigen, dass das thermische Gleich­gewicht zwischen dem Elektronen­system und dem Kristall­gitter auf höchst unkonven­tionelle und kontra­intuitive Weise wieder­her­gestellt wird.

In einfachen metallischen Systemen wird das thermische Gleichgewicht in erster Linie durch die Wechsel­wirkung zwischen Elektronen unter­ein­ander und zwischen Elektronen und Phononen hergestellt. Dieser Prozess verlangsamt sich mit sinkenden Temperaturen immer mehr. Bei Germanium­tellurid beobachteten die Physiker jedoch ein entgegen­gesetztes Verhalten: Je niedriger die Gitter­temperatur der Probe ist, desto schneller stellt sich das thermische Gleichgewicht nach der Anregung mit dem Wärmeimpuls ein. „Das war sehr überraschend“, so Sánchez-Barriga.

Mit theoretischen Berechnungen im Rahmen des Boltzmann-Ansatzes konnten die Forscher die zugrunde liegenden mikro­sko­pischen Prozesse interpretieren und drei verschiedene Thermali­sie­rungs­prozesse unter­scheiden: Wechsel­wirkungen zwischen Elektronen innerhalb desselben Bandes, in verschiedenen Bändern und Elektronen mit Phononen.

Es scheint, dass die Wechsel­wirkung zwischen Elektronen die Dynamik dominiert und mit abnehmender Gitter­temperatur deutlich schneller wird. „Das kann durch den Einfluss der Rashba-Aufspaltung auf die Stärke der funda­mentalen elektro­nischen Wechsel­wirkungen erklärt werden. Dieses Verhalten ist auf alle Rashba-Halbleiter anwendbar“, sagt Sánchez-Barriga. „Die vorliegenden Ergebnisse sind wichtig für zukünftige Anwendungen von Rashba-Halbleitern und deren Anregungen in der ultra­schnellen Spintronik.“

HZB / RK

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