Spiralarme nicht nur in Galaxien
Aufnahmen des ALMA-Observatoriums ermöglichen ein besseres Verständnis der Planetenentstehung.
Eine internationale Gruppe von Astronomen hat das erste Bild einer Spiralstruktur in einer protoplanetaren Scheibe aufgenommen, das Wärmestrahlung des in der Scheibe enthaltenen Staubs zeigt. Solche Scheiben sind die Geburtsstätten neuer PlanetenSysteme und Strukturen darin dürften eine wichtige Rolle für die Entstehung von Planeten um junge Sterne spielen. Die Forscher vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie MPIfR nutzten das internationale Observatorium ALMA, um die Scheibe rund um den jungen Stern Elias 2-27 im Sternbild Ophiuchus zu beobachten.
Abb.: Infrarotbild des Rho-Ophiuchi-Sternentstehungsgebiets (links). Das rechte Bild zeigt thermische Staubstrahlung von der protoplanetaren Scheibe, die den jungen Stern Elias 2-27 umgibt. (Bild: NASA / ALMA)
Planeten entstehen im Inneren von Scheiben aus Gas und Staub rund um neugeborene Sterne. Diese Grundidee hat eine lange Geschichte, aber die Astronomen sind erst seit kurzem in der Lage, derartige Scheiben direkt zu beobachten. Ein frühes Beispiel ist die Entdeckung der Silhouetten solcher Scheiben in den 1990er Jahren mit dem Weltraumteleskop Hubble. Bilder von Unterstrukturen solcher Scheiben sind den Astronomen erst sehr viel später gelungen. Lücken in protoplanetaren Scheiben konnten erst im Jahre 2014 mit ALMA nachgewiesen werden.
Die neuen Beobachtungen sind von besonderem Interesse für alle, die sich mit der Entstehung von Planeten beschäftigen. Ohne solche Unterstrukturen könnten Planeten möglicherweise gar nicht erst entstehen. Der Grund dafür ist wie folgt: Ist die Materie in einer Scheibe weitgehend gleichmäßig verteilt, können Planeten nur Schritt für Schritt entstehen. Staubteilchen in der Scheibe kollidieren und haften aneinander, und im Laufe der Zeit entstehen so immer größere Objekte.
Problematisch wird es, sobald die Objekte größer als einige Meter werden. Dann erfahren sie auf ihrer Bahn um den Stern so viel Reibung durch das umgebende Gas, dass diese Objekte auf Zeitskalen von tausend Jahren oder weniger nach innen wandern und in den Zentralstern fallen. Das ist viel kürzer als die Zeit, die solche Objekte benötigen würden, um durch aufeinanderfolgende Stöße bis zur Größe von Planeten anzuwachsen und bei solcher Größe dann gegen die Gasreibung vergleichsweise unempfindlich zu sein. Wie also können sich überhaupt größere Objekte bilden? Ohne eine gute Antwort auf diese Frage können wir die Entstehung unseres Sonnensystem und anderer Planetensysteme nicht verstehen.
Es gibt verschiedene Lösungsansätze für Mechanismen, die urtümlichen Felsbrocken helfen können, zu wachsen und schließlich die Größe zu erreichen, wo sie sich mithilfe der Schwerkraft zu ausgewachsenen Planeten zusammenfügen. „Die Spiralstruktur, die wir in Elias 2-27 beobachtet haben, ist der erste direkte Hinweis auf spiralförmige Dichtewellen in einer protoplanetaren Scheibe“, sagt Laura Pérez vom MPIfR. „Sie zeigt, dass sich innerhalb der Scheibe Instabilitäten bilden können, die zu Teilgebieten deutlich größerer Dichte führen und damit zur Bildung weiterer Planeten.“ Solche Instabilitäten treten nicht nur auf den Größenskalen der Planetenentstehung auf: Das wohl bekannteste Beispiel sind Dichtewellen in Spiralgalaxien, die für die markanten Spiralarme solcher Galaxien verantwortlich sind.
In Regionen erhöhter Dichte, wie sie entlang der jetzt beobachteten Dichtewellen auftreten, könnte die Planetenentstehung dagegen ungleich rascher fortschreiten, sowohl aufgrund der erhöhten Schwereanziehung in dem betreffenden Gebiet als auch aufgrund der höheren Wahrscheinlichkeit von Zusammenstößen. Das könnte die Antwort auf die Frage sein, wie in einer Scheibe Objekte mit Durchmessern größer als einige Meter entstehen können. Planeten, die bereits in der Scheibe entstanden sind, können aber auch ihrerseits spiralförmige Dichtewellen auslösen, während sie um den Zentralstern umlaufen. Diese zwei Rollen auseinanderzuhalten, verlangt nach einem tieferen Verständnis, zu dem Beobachtungen wie das jetzt veröffentlichte ALMA-Bild beitragen können. Thomas Henning, Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie MPIA, sagt: „Nachdem wir über Jahre nur die integrierte Wärmestrahlung von Scheiben um junge Sterne messen konnten, sehen wir sie jetzt in ihrer ganzen Schönheit und Vielfalt, inzwischen auch mit einer Spiralstruktur. Dies hilft uns, die Entstehung von Planeten besser zu verstehen.“
„In den letzten Jahrzehnten haben Astronomen eine beachtliche Vielfalt an Exoplaneten gefunden. Erklären können wir diese Vielfalt nur, wenn wir die frühen Phasen der Planetenentstehung verstehen - und dazu leisten die beeindruckend detaillierten ALMA-Bilder einen wichtigen Beitrag“, ergänzt Hendrik Linz, ebenfalls vom MPIA. Ein konkretes Beispiel: Die beiden weit ausladenden Spiralarme um Elias 2-27 erstrecken sich bis in eine Entfernung von mehr als zehn Milliarden Kilometern von dem jungen Stern, weiter in den Weltraum hinaus als der Kuipergürtel in unserem eigenen Sonnensystems. „Das Vorhandensein von spiralartigen Dichtewellen bei derart extremen Entfernungen vom Stern könnte die Existenz von Exoplaneten erklären, die ihre Zentralsterne in ähnlich großer Entfernung umkreisen“, erklärt Pérez. „In den herkömmlichen Modellen der Planetenentstehung sollten derartige Planeten gar nicht vor Ort entstehen können.“
Der junge Stern Elias 2-27, den ALMA für diese Aufnahmen angepeilt hat, ist Teil einer weit größeren Sternentstehungsregion mit der Bezeichnung Rho Ophiuchi im Sternbild Schlangenträger. Elias 2-27 hat sich erst vor rund einer Million Jahren gebildet. Von diesem Stern war bereits bekannt, dass er von einer Scheibe umgeben ist. Die neuen ALMA-Beobachtungen zeigen Strahlung mit einer Wellenlänge von 1,3 Millimetern. Diese Strahlung geht auf das Vorhandensein von Staubpartikeln zurück, die zwischen einem und zehn Prozent der Gesamtmasse der Scheibe beitragen. Mithilfe dieser Strahlung konnten die Astronomen das erwähnte Spiralmuster von einem Abstand von rund hundert Astronomischen Einheiten zum Zentralstern bis hinaus zu einer Entfernung von 300 Astronomischen Einheiten verfolgen.
Eine Erklärung für die Entstehung dieser Spiralstruktur ist, dass sich in der Scheibe bereits ein Planet gebildet hat. ALMA hat auch ein schmales Band in der Scheibe mit deutlich weniger Staub entdeckt, das freilich nicht groß genug ist, einen Planeten zu beherbergen, der wiederum groß genug wäre, das beobachtete Spiralmuster zu erzeugen. Andererseits kann auch die Gravitation der Scheibe selbst Instabilitäten hervorrufen, die ein solches Spiralmuster erzeugen können. Eingedenk der Gesamtmasse der Scheibe und der Form und Symmetrie des Spiralmusters wird auch diese Möglichkeit von den Autoren für durchaus wahrscheinlich gehalten.
„ALMA-Beobachtungen dieser Art werden zunehmend häufiger und sollten uns mehr und mehr Bilder von inhomogenen Substrukturen in protoplanetaren Scheiben liefern“, sagt Karl Menten vom MPIfR. „Damit sollten wir Astronomen zunehmend in der Lage sein, die Eigenschaften solcher Strukturen genauer zu beschreiben und ihre Rolle für die Planetenentstehung aufzuklären.“
MPIfR / JOL