Spuk mit System
Polytope erlauben bessere Charakterisierung von Verschränkungszuständen.
Die „Verschränkung“ zwischen mehreren Teilchen ist eine grundlegende Eigenart der Quantenphysik. Sind mehr als zwei Teilchen miteinander verschränkt, kann die gegenseitige Beeinflussung verschiedene Formen annehmen. Diese unterschiedlichen Ausprägungen des Verschränkungsphänomens zu verstehen und systematisch zu erfassen, ist eine bislang nur teilweise gelöste Aufgabe. Eine Gruppe von Mathematikern und Physikern rund um Matthias Christandl, Professor am Institut für Theoretische Physik der ETH Zürich, liefert nun einen Beitrag, um Ordnung in diese „spukhafte Fernwirkung“ zu bringen, wie Einstein sie einst nannte. Das Team hat einen Weg gefunden, auf anschauliche Weise einen gegebenen Quantenzustand einer Klasse von möglichen Verschränkungszuständen zuzuweisen. Eine solche Zuweisung ist wichtig, da sich damit unter anderem voraussagen lässt, wie nützlich der Zustand potenziell in praktischen Anwendungen sein kann.
Abb.: Klassen von komplexen Quantenzuständen lassen sich geometrischen Objekten, sogenannten Polytopen, zuordnen. (Bild: A. Eisenhut, ETH Zürich)
Gemeinsam mit Brent Doran, Professor am Departement für Mathematik der ETH Zurich, und David Groß, Professor an der Universität Freiburg im Breisgau, stellen Christandl und sein Doktorand Michael Walter nun eine Methode vor, in der verschiedenen Klassen von Verschränkungszuständen geometrische Objekte, sogenannte Polytope, zugeordnet werden. Die Polytope repräsentieren die „Räume“, welche den Zuständen einer Klasse zur Verfügung stehen. Ob ein bestimmter Zustand zu einem gegebenen Polytop gehört oder nicht, kann durch eine Reihe von Messungen an den einzelnen Teilchen bestimmt werden. Wichtig dabei ist, dass nicht mehrere Teilchen gleichzeitig gemessen werden müssen, wie dies bei anderen Methoden notwendig ist. Diese Beschränkung auf Messungen an einzelnen Teilchen macht den neuen Ansatz effizienter, und gleichzeitig erweiterbar auf größere Systeme.
Die Möglichkeit, Informationen zu Verschränkungszuständen in Systemen mit mehr als ein paar wenigen Teilchen zu erhalten, ist ein zentraler Aspekt dieser Arbeit, erklärt Christandl: „Für drei Teilchen gibt es zwei fundamental verschiedene Arten von Verschränkung, wobei eine im Allgemeinen ‚nützlicher’ ist als die andere. Für vier Teilchen gibt es bereits unendlich viele Möglichkeiten, die Teilchen zu verschränken. Und mit jedem weiteren Teilchen wird die Situation noch komplexer.“ Dieses rapide wachsende Maß an Komplexität erklärt, warum trotz der großen Zahl von Arbeiten, die über Verschränkungszustände geschrieben wurden, nur wenige Systeme mit mehr als einer Handvoll von Teilchen vollständig charakterisiert sind. „Unsere Methode der Verschränkungspolytope hilft, diese Komplexität zu bändigen, indem wir die Zustände in endlich viele Familien einteilen,“ ergänzt Michael Walter.
Quantensysteme mit mehreren Teilchen könnten in zukünftigen Technologien eine wichtige Rolle spielen. Solche Anwendungen reichen von abhörsicherem Übermitteln von Nachrichten, über effiziente Algorithmen zum Lösen von Rechenaufgaben bis hin zu Techniken, die das Auflösungsvermögen von fotolithografischen Methoden verbessern.
Interessant ist die Querverbindung zwischen quantenmechanischen Zuständen und geometrischen Formen auch vom Gesichtspunkt der mathematischen Methoden, die für dieses Projekt entwickelt wurden. Laut Doran sollten diese auch in anderen Bereichen der Mathematik und Physik Anwendung finden, und darüber hinaus in der theoretischen Informatik. „Normalerweise löst es bei uns reinen Mathematikern etwas Unbehagen aus, wenn jemand aufwendige mathematische Methoden für ein ‚angewandtes’ Problem verwenden will, da das konkrete Problem und die Theorie oft zu weit auseinanderliegen“, sagt Doran. „In diesem Projekt aber passen die beiden perfekt zusammen und ich sehe ein großes Potenzial für weitere Projekte dieser Art.“
Die Methode der Verschränkungspolytope ist allerdings mehr als nur ein elegantes mathematisches Konstrukt. Die Forscher haben in ihren Berechnungen gezeigt, dass die Technik auch unter realistischen experimentellen Bedingungen zuverlässig funktionieren sollte. Damit wäre der Weg offen, die neue Methode direkt in denjenigen Systemen einzusetzen, mit denen dereinst die neuartigen Quantentechnologien implementiert werden sollen. Und solche praktische Anwendungen mögen schließlich auch helfen, die Quantenmechanik etwas besser zu verstehen.
ETHZ / DE