Stars und „Protosternchen“
Max-Planck-Forscher nutzen „Hollywood“-Technik für 3D-Karte der Dunkelwolke B68, die Geburtsort eines Sterns niedriger Masse werden könnte.
Sterne werden geboren, wenn Wolken von Gas und Staub unter ihrer eigenen Schwerkraft kollabieren. Die Wolken liefern allerdings nicht nur das Rohmaterial für die Sternentstehung, sondern absorbieren auch einen Großteil des Lichts, das im Wolkeninneren entsteht, und entziehen die entscheidenden Details der Sterngeburt auf diese Weise den Blicken der Astronomen. Diese müssen sich daher einiges einfallen lassen, um die Sternentstehung zu erforschen.
Abb.: Falschfarbenbild der Dunkelwolke Barnard 68: Die scheinbare Form der Wolke ändert sich in Abhängigkeit von der Wellenlänge und deutet auf ungleichmäßige Beleuchtung durch eine äußere Quelle hin. Rechts unten ist in einem kleinen Ausläufer eine eng begrenzte Struktur zusehen. Dies könnte ein Wolkenfragment sein, das gerade mit Barnard 68 kollidiert. (Bild: MPIA/M. Nielbock)
Jetzt haben zwei Gruppen im EPoS-Projekt („Earliest Phases of Star formation“, Leitung: Oliver Krause, MPIA) mit Hilfe des Herschel-Weltraumteleskops der europäischen Weltraumagentur ESA tiefer und genauer als je zuvor in das Innere einiger der Dunkelwolken hineingeblickt, in denen Sterne entstehen – und dabei einiges Neues über Sterngeburten herausgefunden.
Auf der Suche nach dem Ursprung von Sternen mit niedriger Masse (sprich: weniger als dem Doppelten der Masse unserer Sonne) hat sich eine Gruppe von Astronomen unter der Leitung von Markus Nielbock (MPIA) eine der bestuntersuchten potenziellen Sternkinderstuben vorgenommen: die Dunkelwolke Barnard 68 im Sternbild Schlangenträger (lat. Ophiuchus). Die Wissenschaftler machten sich die Fähigkeiten des Weltraumteleskops Herschel zunutze, Aufnahmen in nie erreichter Empfindlichkeit und Detailschärfe im Bereich des Ferninfrarotlichts anzufertigen. Dann wandten sie eine Methode an, die man häufiger als in der Astronomie in Spezialstudios findet, die für Hollywoodfilme computergenerierte Bilder erstellen. So entstand das bislang realistischste 3D-Modell der Dunkelwolke.
Die Methode, die von Ralf Launhardt (MPIA) an die Erfordernisse der Astronomen angepasst wurde, ist das Raytracing (wörtlich »Strahlverfolgung«). Dazu wurde jeder Lichtstrahl, der uns von Barnard 68 erreicht, per Computer virtuell in die Wolke zurückverfolgt; an jedem Ort, den der Strahl passiert, berücksichtigt das Computerprogramm dann, ob dort Licht ausgesandt, absorbiert oder gestreut wird, und welche Wellenlängen das betreffende Licht hat. Addiert man alle diese Beiträge auf, ergibt sich aus einem dreidimensionalen Wolkenmodell das zweidimensionale Bild, das ein Astronom aus der Ferne beobachten kann. Umgekehrt lässt sich die Technik einsetzen, um mit Hilfe vereinfachender Zusatzannahmen von dem Licht verschiedener Wellenlängen, das uns von Barnard 68 erreicht, auf ein Modell der dreidimensionalen Struktur der Wolke, ihrer Dichte- und Temperaturverteilung zu schließen.
Die Ergebnisse haben einiges von dem ins Wanken gebracht, das Astronomen über Barnard 68 zu wissen glaubten. Es ergibt sich ein Bild von Barnard 68 als Wolke, die aus dem Kollaps eines länglichen Filaments entstanden sein dürfte und durch ungleichmäßige Strahlung, die vor allem aus der Scheibenebene unserer Heimatgalaxie stammt, aufgeheizt wird. Die Astronomen fanden außerdem Anzeichen für eine weitere kleine Wolke, die mit Barnard 68 kollidiert und deren Existenz in einer früheren Studie vorausgesagt worden war. Die Kollision könnte den Kollaps von Barnard 68 einleiten, und innerhalb der nächsten Hunderttausende von Jahren könnten darin einer oder mehrere Sterne mit geringer Masse geboren werden.
Verglichen mit anderen Dunkelwolken ist Barnard 68 recht klein. In Wolken dieser Größe werden höchstens einige wenige massearme Sterne entstehen. Zur Erforschung der Entstehung massereicher Sterne hat eine weitere EPoS-Gruppe unter der Leitung von Sarah Ragan (MPIA) 45 deutlich massereichere Dunkelwolken beobachtet. Solche Wolken enthalten zahlreiche „Protosterne“, Sternen-Embryos, aus denen sich im Laufe der Zeit neue Sterne entwickeln. Protosterne waren bereits das Beobachtungsziel früherer Missionen, etwa des NASA-Weltraumteleskops. Mit der PACS-Kamera des Herschel-Teleskops konnten die Forscher um Ragan allerdings deutlich tiefer ins Wolkeninnere vordringen. So gelang es ihnen, die jüngsten und primitivsten derzeit bekannten Protosterne zu finden.
Durch die neuen Beobachtungen wuchs die Zahl der bekannten Protosterne in den betreffenden Wolken von 330 auf knapp 500 an. Am spannendsten ist dabei die Entdeckung eines neuen Typs von Sternenvorläufers: dichtere Regionen mit einer Temperatur von bloßen 15 Grad über dem absoluten Nullpunkt (-258 Grad Celsius), in denen kein Protostern nachzuweisen ist. Dabei dürfte es sich um die frühesten Stadien der Sternentstehung handeln. Den Modellen zufolge entsteht in solchen Regionen auf der astronomisch gesehen sehr kurzen Zeitskala von weniger als Tausend Jahren ein neuer Protostern. Nähere Untersuchungen dieser Regionen dürften die Grundlagen für alle weiteren Studien zur Sternentstehung legen.
MPIA / PH