Stein-Schere-Papier mit Bosonen
Spieletheorie liefert Hinweise, warum diese Quantenteilchen sich so gern in Gruppen zusammenfinden.
Beim Erforschen des Verhaltens von Quantenteilchen erreichen Wissenschaftler schnell die Grenzen der experimentellen Physik. Ab hier geht es mit den Ideen und Analysen theoretischer Physiker weiter. Erwin Frey hat mit seinem Team am Arnold Sommerfeld Center der LMU auf diesem Weg das Verhalten von Bosonen untersucht. Dabei handelt es sich um eine Art von Quantenteilchen, die sich gerne zu Gruppen zusammentun. Mit Hilfe der Spieltheorie konnten die Physiker jetzt erklären, wie es zu dieser Gruppenbildung kommt.
Abb.: Mathematische Methoden geben Aufschluss über die Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen den 50 Kondensat-Zuständen des gezeigten Samples (gelb: isolierte Zustände; blau: Subsystem aus 6 Zuständen; rot & grün: "Stein-Schere-Papier"-Zyklen; Bild: Knebel et al. / NPG)
Die Welt der Quantenteilchen lässt sich in zwei Arten einteilen, Fermionen und Bosonen. Während die Fermionen dem Pauli'schen Ausschlussprinzip unterliegen, sind Bosonen gesellige Kerlchen und können denselben Quantenzustand einnehmen. Auf den absoluten Nullpunkt abgekühlt, können sie sich gar wie ein einziges „Superteilchen“ verhalten, denn dort sind alle im niedrigst möglichen Energiezustand – als Bose-Einstein Kondensat. D1924 vorhergesagt gelang es in den 1990er Jahren erstmals, diese Theorie mit ultrakalten Atomen experimentell zu bestätigen.
Vor kurzem haben jetzt Wissenschaftler die Theorie aufgestellt, Bosonen könnten sich nicht nur in einem einzigen, sondern auch in mehreren Kondensaten zusammenfinden. Dazu müssen sie sich in einem offenen System befinden, in dem ihnen von außen, zum Beispiel durch einen Laser, Energie zugeführt wird, und jedes Teilchen außerdem die Möglichkeit hat, seine Energie an die Umgebung abzugeben. Erwin Frey und sein Team konnten jetzt erklären, warum sich Bosonen in diesen Nichtgleichgewichtssystemen in mehrere „Quasi-Energiezustände“ gruppieren.
Die Münchner Physiker greifen dafür auf eines ihrer Spezialgebiete zurück, die Spieltheorie. Mit dieser mathematischen Methodik untersuchen Wissenschaftler vieler Disziplinen die Wechselwirkung zwischen einzelnen Individuen. Dazu gehören so unterschiedliche Beziehungen und Verhaltensweisen wie die vom Raubtier und seiner Beute oder welche Strategien sich bei „Schere-Stein-Papier“ durchsetzen, das in der Spieltheorie oft als Standardbeispiel dient. Aber auch typische gruppendynamische Prozesse wie Entscheidungsfindungen oder Meinungsbildung lassen sich durch die Spieltheorie beschreiben. Und nicht zuletzt zeigen jetzt Frey und seine Gruppe, dass auch das Verhalten von Quantenteilchen mit Hilfe der Spieltheorie beschrieben werden kann und einem übergeordneten physikalischen Prinzip folgt.
„Hinter unseren komplexen theoretischen Berechnungen versteckt sich ein anschauliches Prinzip“, erklärt Freys Doktorand Johannes Knebel. „Zunächst schwingen alle Bosonen nach ihrem eigenen Schema. Durch das Zusammenspiel von Zu- und Abgabe von Energie finden sich die Bosonen zu mehreren Gruppen zusammen, so wie sich bei einem Spiel mit vielen Strategien am Ende nur die erfolgreichen durchsetzen oder wie sich in einer Diskussion mit zunächst unzähligen Standpunkten einzelne Meinungsbilder herauskristallisieren.“ Mit der Zeit kehrt also eine gewisse Ordnung ein, gekennzeichnet durch die Abnahme der relativen Entropie, die das kollektive Verhalten der Bosonen steuert.
Den Forschern geht es vor allem darum, immer besser zu verstehen, wie Quantenphysik funktioniert. „Eine konkrete Anwendung lässt sich aus unserer Forschung noch nicht ableiten“, betont Frey. „Aber typisch für Grundlagenforschung ist ja auch, dass sie oft ganz unerwartete Ergebnisse und Ideen für neue Entwicklungen liefert. So hat beispielsweise das Verständnis darüber, wie sich Bosonen kollektiv verhalten, in der Vergangenheit bereits dazu geführt, Phänomene wie Suprafluidität zu verstehen und Technologien wie Supraleiter zu entwickeln.“
Es ist daher spannend, ob die Experimentatoren die Vorhersagen der Theoretiker zu Bosonen im Nichtgleichgewicht bestätigen oder widerlegen. Versuche mit ultrakalten Atomen, wie sie die Münchener Gruppe des NIM-Wissenschaftlers Immanuel Bloch durchführt, könnten zu vielversprechenden Kandidaten zum Test der Theorie erwachsen.
LMU / OD