Sternexplosionen und Datenflut
Jahresrückblick Astrophysik, Astronomie und Kosmologie 2018.
Dem Zugpferd der Suche nach Exoplaneten ging 2018 endgültig die Puste aus: Das Weltraumteleskop Kepler der NASA hat keinen Treibstoff mehr und wurde im November offiziell stillgelegt. Natürlich geht die Jagd auf Planeten bei anderen Sternen trotzdem unvermindert weiter – und inzwischen gibt es mit dem Transiting Exoplanet Survey Satellite TESS auch schon eine Nachfolgemission im All, die allerdings vor allem nach Planeten um Sterne in der näheren Sonnenumgebung sucht. Parallel dazu intensiviert sich auch die Untersuchung einzelner Exoplaneten. Exemplarisch dafür ist der Nachweis von Helium in einer erodierenden Exoplaneten-Atmosphäre.
Zwar verstehen Astronomen inzwischen Aufbau und Entwicklung der Sterne recht gut, doch gerade bezüglich der Endstadien der Sternentwicklung gibt es immer noch offene Fragen und überraschende Beobachtungen. So zeigen theoretische Analysen, dass Supernovae bis zu einer Sonnenmasse an Staub produzieren – doch das ließ sich bislang nicht anhand von Beobachtungen überprüfen. Einem Forscherteam aus den USA scheint dies jedoch auf ungewöhnlichem Weg gelungen zu sein, nämlich über die Untersuchung von Staubkörnchen in Meteoriten. Die Staubproduktion müsse, so der Befund, über mehrere Jahre hinweg andauern.
Unterdessen stieß ein internationales Forscherteam – übrigens in Daten des Kepler-Teleskops – auf eine extrem schnell verlaufende Supernova: KSN 2015K erreichte ihre maximale Helligkeit bereits innerhalb von nur 2,2 Tagen. Und schon nach 6,8 Tagen war sie wieder auf die Hälfte des Maximalwerts abgefallen. Vermutlich war der Stern vor seiner Explosion in einen dichten Kokon aus Gas eingehüllt. So verlief die eigentliche Sternexplosion innerhalb einer undurchsichtigen Hülle und blieb unbeobachtbar.
Ein Kokon, allerdings aus heißer, neutronenreicher Materie, spielt möglicherweise auch eine wichtige Rolle bei der Entstehung zumindest eines Teils der rätselhaften Gammastrahlungsausbrüche. Nachfolgebeobachtungen des Gravitationswellenereignisses vom 17. August 2017, das auf die Kollision zweier Neutronensterne zurückgeht, zeigen einen hochrelativistischen Jet am Ort des Geschehens. Wie die Astronomen vermuten, befeuert der Jet zunächst einen ausgedehnten Kokon, kann dann jedoch daraus ausbrechen und sich hochrelativistisch und stark gebündelt ausbreiten.
Gebündelte Materiestrahlen konnten Astronomen bislang bei allen Arten von schwarzen Löchern und Neutronensternen beobachten – außer bei Neutronensternen mit starken Magnetfeldern. Deshalb war es eine Überraschung, als Radiobeobachtungen einen Jet bei einem Pulsar mit einem extrem starken Magnetfeld von mehr als 1012 Gauß zeigten. Das widerlegt die lange gehegte Vorstellung, starke Magnetfelder würden die Entstehung von Jets verhindern.
Bei der Frage, wann und wie die ersten Sterne und die ersten Galaxien genau entstanden sind, tappen die Astronomen noch im sprichwörtlichen Dunkeln. Bislang fehlen Beobachtungen, die einen Einblick in diese entscheidende Phase der kosmischen Entwicklung liefern könnten. Doch das könnte sich mit der nächsten Generation von Instrumenten ändern, wie Beobachtungen mit dem Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array ALMA zeigen, die sich einen als Gravitationslinse wirkenden Galaxienhaufen zunutze machten: Sie zeigen, das in der Galaxie MACS1149-JD1 bereits 250 Millionen Jahre nach dem Urknall die ersten Sterne entstanden. Wenn diese Galaxie keine Ausnahmeerscheinung ist, wäre die Phase der ersten Sternentstehung im Kosmos in Reichweite des James Webb Space Telescope und des Extremely Large Telescope.
Ebenfalls mit ALMA gelang es einem Forscherteam, bei zwei jungen Galaxien etwa 800 Millionen Jahre nach dem Urknall bereits deutliche Hinweise auf eine geordnete Rotation nachzuweisen – Galaxien reifen also schnell. Später entwickeln viele große Scheibengalaxien die typische Spiralstruktur. Dabei spielen, so die Vermutung, umlaufenden Dichtewellen eine wichtige Rolle. Eine Überprüfung dieser Hypothese durch Beobachtungen erwies sich bislang allerdings als schwierig, da die Winkelgeschwindigkeit solcher Dichtewellen nicht direkt mit beobachtbaren Größen wie etwa den stellaren Geschwindigkeiten korreliert ist. Ein Team aus Großbritannien wählte deshalb einen anderen Ansatz: Aus dem Abstand zwischen Sternen unterschiedlichen Alters und der aktuellen Position des Maximums der Dichtewelle sollte sich die Geschwindigkeit der Dichtewelle ableiten lassen. Zumindest für eine besonders detailliert spektroskopierte Galaxie mit ausgeprägter Spiralstruktur ist diese konsistent mit einer Entstehung durch eine quasistationäre Dichtewelle, wie die Astronomen zeigen konnten.
Genaue spektroskopische Daten waren auch der Schlüssel für eine Untersuchung der Zusammenhänge zwischen dem mittleren Sternalter, der stellaren Dynamik und der Galaxienform. Zwischen dem mittleren Sternenalter einer Galaxie und ihrer dreidimensionalen Form besteht, wie sich zeigte, ein erstaunlich starker Zusammenhang: Je älter die Sterne, desto runder – also weniger elliptisch – ist ein Sternsystem. Dieses Ergebnis bestätigt die Vorhersagen der Computersimulationen, nach denen Verschmelzungen entscheidend die Entwicklung von Galaxien beeinflussen.
Die Form und die Entwicklung unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, untersuchen Astronomen seit 2014 mit der ESA-Sonde Gaia: Sie führt eine hochgenaue dreidimensionale optische Durchmusterung des ganzen Himmels durch. Etwa ein Prozent der Sterne unserer Milchstraße werden dabei astrometrisch, photometrisch und spektroskopisch mit bisher unerreichter Genauigkeit kartographisch erfasst. Im April 2018 wurde der zweite Sternenkatalog der Gaia-Mission veröffentlicht und läutete eine neue Epoche der Astronomie ein: Nun stehen Positions- und Helligkeitsdaten für fast 1,7 Milliarden Sterne der Milchstraße zur Verfügung, für über 1,3 Milliarden Sterne auch die Parallaxe, Eigenbewegung und Farbe.
Gaia ist ein Beispiel für die Datenflut, die durch immer neue Instrumente über die Astronomen hereinbricht. Neben den eigentlichen Beobachtungen gewinnt die Suche in den Archivdaten der vielen Großteleskope immer mehr an Bedeutung. Doch die Datenmenge wächst exponentiell, die Anzahl der die Daten auswertenden Astronomen dagegen nicht. Komplett neue Rechenkonzepte sind deshalb nötig. Um diese zu entwickeln, haben sich Wissenschaftler aus der Teilchenphysik, der Hadronen- und Kernphysik sowie der Astroteilchenphysik zu einem fachübergreifenden Verbund zusammengeschlossen, in dessen Rahmen sie neue Computing-Systeme entwickeln wollen. Und auch die Forschungsgruppe „Astroinformatik“ am Heidelberger Institut für theoretische Studien hilft Astronomen, die rasch wachsende Datenmengen mit Methoden aus der Informatik besser zu analysieren. Hierzu benutzen die Wissenschaftler unter anderem Verfahren der künstlichen Intelligenz. Das Ziel: Mit neuen Methoden den Zugang zu den Daten in den Archiven revolutionieren.
Rainer Kayser