04.04.2007

Strömungsmechanisches Update

Ein mit numerischer Strömungssimulation entwickeltes Fagott Anblasrohr hat einen deutlich reduzierten Reibungsbeiwert gegenüber der klassischen Form.



Ein mit numerischer Strömungssimulation entwickeltes Fagott Anblasrohr hat einen deutlich reduzierten Reibungsbeiwert gegenüber der klassischen Form.

Die Geschichte begann recht banal. Roger Grundmann, Professor für Thermofluiddynamik und Angewandte Aerodynamik am Institut für Luft- und Raumfahrttechnik der TU Dresden, beschloss, Fagott spielen zu lernen. Dessen tiefe Töne hatten ihn schon als Kind fasziniert. Von den beiden mit seinem neuen Instrument gelieferten Anblasrohren (nach ihrer Form werden sie „S-Bögen“ genannt) schien einer nicht gut zu funktionieren. Roger Grundmann besah sich das Rohr, bog beherzt daran herum. Na bitte, das klang schon viel besser.

Das Interesse des Strömungsmechanikers war geweckt. Wie beeinflussen eigentlich die charakteristischen Krümmungen des S-Bogens den Schalldruck, die Klangfarben des Instruments? Was Grundmann im Labor maß, war ernüchternd. Der so genannte Reibungsbeiwert der S-Bögen und damit der resultierende Anblasdruck eines klassischen Fagotts sind vergleichsweise hoch. Die mehrfache Krümmung, die dem S-Bogen den Namen gibt, sorgt für ungewollte Luftverwirbelungen und Zentrifugalkräfte – und damit bei Bläsern viel zu oft für einen roten Kopf. Anfängern wie Roger Grundmann, aber auch älteren Berufsmusikern fällt es dadurch schwer, dem Instrument bestimmte Töne zu entlocken.

Gemeinsam mit professionellen Fagottisten entwickelte Roger Grundmann bereits im Jahr 2003 den S-Bogen nach strömungsmechanischen Gesichtspunkten weiter. Der Krümmungspunkt wanderte etwas nach hinten, der Radius wurde kleiner. Der Reibungsbeiwert konnte so um 30 Prozent verringert werden. Ein namhafter Blasinstrumentenbauer interessierte sich für das Rohr und ließ sich inzwischen für die Herstellung gewinnen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft bezuschusste das Projekt und finanzierte einen Musikinstrumentenprüfstand, an dem Klangfarben untersucht und das Ein- und Ausschwingverhalten des Instruments gemessen werden können. Und die Technische Universität Dresden hat ein Patent auf den neuen S-Bogen erhalten.

Abb.: Beim neuen Fagott S-Bogen (oben) wanderte der Krümmungspunkt im Vergleich zur herkömmlichen S-Bogenkontur (unten) etwas nach hinten, der Radius wurde kleiner. Der Reibungsbeiwert konnte so um 30 Prozent verringert werden. (Quelle: Grundmann, TU dresden)

Überraschenderweise waren es die Musiker selbst, die zuerst misstrauisch waren. „Profimusiker ändern nicht von heute auf morgen ihre Spieltechnik. Obwohl das Instrument genauso laut klingt wie mit klassischem S-Bogen, taten sich die Musiker am Anfang eher schwer mit der Entwicklung“, erinnert sich Grundmann. „Dabei können durch den geringeren Druckpunkt sogar mehr Klangfarben erreicht werden.“ Inzwischen greifen mehr und mehr Solisten nicht nur für schwierige, hohe Passagen zum „Grundmann-Bogen“; in mehreren Orchestern, unter anderem der Sächsischen Staatskapelle Dresden, den Landesbühnen Sachsen, haben Musiker ihr Instrument nachgerüstet und loben die Vorteile des neuen S-Bogens.

Unterstützt wird die Forschergruppe um Professor Grundmann bei mehreren laufenden Projekten vom Zentrum für Informationsdienste und Hochleistungsrechnen der Technischen Universität. „Mithilfe der Computation Fluid Dynamics (CFD) können wir zum Beispiel die Strömungsvorgänge im Fagott mit bis zu 100 Millionen Gitterpunkten sehr genau simulieren. Das gesamte Frequenzband, instrumentenspezifische Auslöschungen und Verstärkungen des Tons können im Fern- und im Nahfeld analysiert werden. Dadurch können wir Klangfarben objektiviert beschreiben. Bis zu 128 verschaltete Einzelrechner analysieren die Daten parallel, bisher manchmal monatelang“, erklärt Roger Grundmann.

Mithin scheint kein Instrument mehr vor den Dresdnern sicher zu sein. Mitarbeiter des Instituts entwickelten eine Anblasvorrichtung für eine Blockflöte, mit der untersucht wird, wie der Luftstrom die Obertöne beeinflusst. Neuerdings messen die Wissenschaftler am Waldhorn Druck- und Geschwindigkeitsverteilung des Luftstroms.

Solche Fortschritte, betont Grundmann, seien heute am ehesten durch interdisziplinäres Forschen zu erreichen. „Das Wissen um die strömungsmechanischen Vorgänge beim Fagottspiel hat den Musikinstrumentenbauer inspiriert, und umgekehrt. Unsere Zusammenarbeit ist sehr fruchtbar, und das könnte auch in anderen Bereichen der Universität so sein. In dem neu eingerichteten DFG-Schwerpunktprogramm MetStroem beispielsweise beteiligen wir uns an einem Projekt, an dem Mathematiker, Strömungsmechaniker und Klimaforscher in ganz Deutschland mitarbeiten. Hier wird das Wissen, das wir im Freiland sammeln, am Hochleistungsrechner und im Windkanal simuliert. Nur dadurch, dass Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen ihr Wissen einbringen, können wir etwa verlässliche Aussagen über Orkanschäden an Waldrändern und auf Waldlichtungen treffen.“

Quelle: Technische Universität Dresden

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