23.07.2020 • PhotonikBeschleuniger

Super-Lichtquelle für faszinierende Einblicke ins Atom

Neuartiges Konzept für eine hochintensive Gamma-Strahlenquelle am CERN.

Eine neue Quelle von hoch­intensiven Gamma­strahlen zu entwickeln und dazu die vorhanden Beschleuniger­anlagen am CERN zu nutzen, schlägt die inter­nationale „Gamma Factory Initiative“ vor. Dazu sollen in den SPS- und LHC-Speicher­ringen spezielle Ionen­strahlen zirkulieren, die durch Laserlicht dazu angeregt werden, Photonen zu emittieren. In der gewählten Konstel­lation liegen die Photonen energetisch im Gamma­strahlen-Bereich des elektro­magnetischen Spektrums. Dieser ist für die Spektro­skopie von Atomkernen besonders interessant. Darüber hinaus soll der Gammastrahl eine sehr hohe Intensität aufweisen, die mehrere Größen­ordnungen über den derzeit im Betrieb befind­lichen Anlagen liegt. Eine derart konzipierte Gamma-Fabrik könnte bahn­brechende Experimente in der Spektro­skopie und neue Test­methoden für grund­legende Symmetrien der Natur ermöglichen, so die Forscher.

Abb.: Laserphotonen (rosa Wellen) werden an PSI gestreut, die in einem...
Abb.: Laserphotonen (rosa Wellen) werden an PSI gestreut, die in einem Beschleuniger zirkulieren. Die gestreuten Photonen breiten sich entlang der Ionen­bewegung aus (lila Pfeile) – es entsteht ein intensiver Strahl hoch­energetischer Gamma­strahlen. (Bild: A. Petrenko)

Im Zentrum der Gamma-Fabrik stehen besondere Ionen­strahlen – sie bestehen aus schweren Elementen wie Blei, haben aber fast alle Elektronen in der äußeren Hülle abgestreift. Normaler­weise hat ein Bleiatom 82 Protonen im Kern und 82 Elektronen in der Hülle. Bleiben von diesen nur noch ein oder zwei Elektronen übrig, entstehen „Partially Stripped Ions“, kurz PSI. In der künftigen Gamma-Fabrik zirkulieren sie in einem Hochenergie-Speicherring – wie etwa dem Super Proton Synchrotron SPS oder dem Large Hadron Collider LHC am CERN.

PSI bieten einzigartige Möglich­keiten für die Erforschung verschiedener grund­legender Fragen in der modernen Wissen­schaft. Im Bereich der Atom­physik dienen sie im über­tragenden Sinne als Mini-Labor, um zu unter­suchen, wie sich Systeme mit wenigen Elektronen verhalten, wenn sie starken elektro­magnetischen Feldern ausgesetzt sind – letztere werden im Falle von PSI von den Atom­kernen selbst erzeugt.

Die Hauptidee der Gamma-Fabrik ist es, einen Laser­strahl frontal auf einen beschleunigten PSI-Strahl prallen zu lassen. Im „PSI-Labor“ lassen sich so durch die ein­fallenden Photonen angeregte Zustände erzeugen, indem Elektronen auf höhere Bahnen befördert werden – ein ideales Testsystem, welches detail­lierte atom­spektro­skopische Unter­suchungen ermöglicht. Die mit dem Laser­strahl angeregten PSI emittieren ihrer­seits wiederum Photonen, die in einer Vielzahl von weiteren Experi­menten außerhalb des PSI-Labors eingesetzt werden können. Der hierbei erzeugte Strahl von Gamma­strahlen weist hohe Energien bis zu vier­hundert Mega­elektronen­volt auf, das entspricht einer Wellen­länge von drei Femto­metern.

„Die Gamma-Fabrik, die wir vorschlagen, bietet uns damit gleich zwei Perspek­tiven: Sie ist einer­seits eine sehr intensive Licht­quelle, die hoch­energetische Gamma­strahlen mit einem ganz spezifischen Frequenz­band erzeugt, und gleich­zeitig eine Riesen­ionen­falle, in der wir die im Speicher­ring zirku­lie­renden PSI spektro­skopisch ganz genau unter die Lupe nehmen können“, erläutert Dmitry Budker vom Exzellenz­cluster PRISMA+ der Uni Mainz und dem Helmholtz-Institut Mainz.

Beispiele für physikalische Anwendungen der Primär­strahl­spektro­skopie sind Messungen von Atomparitäts-Verletzungs­effekten in PSI – diese sind eine Folge der schwachen Wechsel­wirkungen zwischen den subatomaren Teilchen – sowie Messungen der Verteilung der Neutronen in den Kernen der PSI. Die sekundären, hoch­energetischen Gamma­strahlen mit exakt kontrol­lierter Polarisation werden beispielsweise in Verbindung mit festen polarisierten Targets verwendet, um die Struktur der Atom­kerne und die für die Astro­physik relevanten Kern­reaktionen zu unter­suchen. Die sekundären Gamma­strahlen können darüber hinaus zur Erzeugung intensiver tertiärer Strahlen, beispiels­weise aus Neutronen, Myonen oder Neutrinos, verwendet werden.

Für einen optimalen Betrieb der Gamma-Fabrik sind eine Reihe von techno­logischen Heraus­forderungen zu bewältigen. „So müssen wir beispiels­weise lernen, ultra­relati­vistische PSI mittels Laser­kühlung zu behandeln, um deren Energie­ausbreitung zu reduzieren und so einen wohl­defi­nierten Strahl zu erhalten“, erläutert Budker. „Während die Laser­kühlung von Ionen bei niedrigeren Energien beispiels­weise an der GSI in Darmstadt unter­sucht wurde, ist sie bei solch hohen Energien wie in der Gamma-Fabrik noch nicht durch­geführt worden.“

Reine Zukunftsmusik ist die Gamma-Fabrik nicht, denn bereits im Juli 2018 vollzog sie am CERN einen großen Schritt von der Idee zur Realität: Der Gamma-Factory-Gruppe gelang es zusammen mit den Beschleunigerexperten des CERN, Strahlen aus wasser­stoff- und helium­ähnlichem Bleiionen mehrere Minuten lang im SPS zirku­lieren zu lassen. Der wasserstoff­ähnliche Strahl wurde weiter in den LHC injiziert, wo er mehrere Stunden weiter zirkulierte. „Der nächste entscheidende Schritt ist das spezielle Proof-of-Principle-Experiment am SPS des CERN durch­zu­führen, das das gesamte Konzept der Gamma-Fabrik validieren soll“, so Budker. Das Konzept der Gamma-Fabrik wird derzeit im Rahmen des CERN-Programms „Physics Beyond Colliders“ untersucht.

JGU / RK

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