22.03.2017

Superflüssig, aber superfest

Superfluidität und Supersolidität lassen sich auch in magnetischen Systemen vereinen.

Ein Material, das flüssig und zugleich fest ist, geht an die Grenzen dessen, was man sich gemeinhin vorzustellen vermag. Gleichwohl wird von Theoretikern seit über fünfzig Jahren vorher­gesagt, dass es solche als supersolid bezeichnete Materialien bzw. Materie­zustände gibt. So waren theoretische Modelle zur Supersolidität Gegenstand intensiver Forschungen, unter anderem durch die Nobel­preisträger Thouless, Anderson und Legget. Möglichkeiten, solch einen exotischen Materie­zustand experimentell zu beobachten oder in einem Material zu realisieren, wurden bis heute allerdings nicht gefunden. Zeitgleich mit zwei internationalen Forschergruppen, die durch die Anwendung von Atomfallen jetzt erfolgreich waren, berichten Physiker aus Augsburg und Dresden über einen von ihnen entdeckten Weg der Realisation von Super­solidität in Spinsystemen bei sehr hohen Magnetfeldern.

Abb.: Darstellung der Spinell-Verbindung MnCr2S4 (Mn: rot, Cr: blau, S: gelb) als Supersolid: Geordnete Chromspins (rot) sind von Manganspins (gelb) umgeben, die die Symmetrie einer Supersolid-Phase haben. (Bild: V. Tsurkan)

Fest, flüssig und gasförmig – das sind die drei klassischen Zustände von Materie, die uns vertraut sind. Dass ein Material zwei dieser Eigenschaften gleichzeitig besitzen könnte, widerspricht unserer Erfahrung und ist nur schwer vorstellbar. Noch unvorstellbarer scheint die Annahme, dass ein Material fest, also kristallin, und zugleich nicht nur flüssig, sondern super­flüssig – also ohne jegliche Viskosität – sein könnte.

Die Physik kennt allerdings superfluides, also superflüssiges Helium, das völlig reibungsfrei durch engste Kapillaren dringen kann. Sie kennt auch supra­leitende Elektronen, die Paare bilden und sich ohne jeden elektrischen Widerstand durch Metalle fortbewegen können. Aber weder Reibungs­freiheit noch das Fehlen jeglichen elektrischen Widerstands sind „normal“. Beide sind prominente Beispiele für das 1924 vorhergesagte Bose-Einstein-Kondensat (BEK), ein makroskopischer Quanten­zustand, der sich mit der klassischen Physik nicht erklären lässt. Supersolidität – ein kristalliner Festkörper, der durch Quanten­phänomene auch superfluide Eigenschaften aufweist, sich also wie eine Flüssigkeit ohne Viskosität verhalten kann – ist ein weiteres Beispiel für ein Bose-Einstein-Kondensat. Deshalb ist Super­solidität ein weltweit aktuelles Thema der Forschung. Die von Antony Legget bereits im Jahre 1970 gestellte Frage „Can a Solid be Superfluid?“ konnte allerdings bis heute experimentell nicht zufrieden­stellend beantwortet werden.

Über lange Zeit hinweg war es die Hoffnung, Supersolidität in ultrakaltem festem Helium zu realisieren. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Als realistische alternative Methode zur Realisierung von Super­solidität wurden einzig lasergekühlte Atomfallen angesehen – eine Methode, bei der die Realisierung von Bose-Einstein-Kondensaten mit einer Anzahl von einigen hundert Atomen angestrebt wird. Und in der Tat konnten jüngst zwei internationale Arbeits­gruppen über die erstmalige Realisierung von Supersolidität auf eben diesem Weg berichten.

Einen ganz neuen, auf magnetischen Spinsystemen beruhenden Weg zur Verwirklichung von Bose-Einstein-Kondensationen bzw. von Phänomenen wie Super­fluidität und Super­solidität sind Forscher des Zentrums für Elektronische Korrelationen und Magnetismus der Universität Augsburg in Kooperation mit Kollegen des Hochfeld­magnetlabors am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf jetzt gegangen – und dies mit Erfolg: Sie beschreiben, wie sie mit der Bose-Einstein-Kondensation von Magnonen – angeregte Spinzustände in einem magnetischen Kristallgitter – kohärente Quanten­zustände erzeugen konnten.

Atomare Spins im magnetischen Kristallgitter besitzen kollektive Anregungszustände von Magnonen. Die Bose-Einstein-Kondensation solcher Magnonen scheint sich nun als ein weiterer möglicher Weg zur Realisation kohärenter Quanten­zustände zu erweisen: In einem mit extrem hohen Magnetfeldern angeregten Spinsystem glauben die Physiker aus Augsburg und Dresden Superfluidät und insbesondere Super­solidität dingfest gemacht zu haben.

Sie wählten für ihre Untersuchungen die Mangan-Chrom-Schwefel-Verbindung MnCr2S4, einen Mangan-Chrom-Spinell, der bei tiefen Temperaturen eine ungewöhnliche Spinordnung zeigt: Im magnetischen Austauschfeld der Chrom-Spins richten sich die Mangan-Spins annähernd antiparallel aus. Die Mangan-Spins wiederum zeigen aufgrund frustrierter Wechsel­wirkungen einen komplexen magnetischen Grundzustand, den man als superfluide Phase charakterisieren kann. In hohen Magnetfeldern lässt sich dieser Zustand sogar in eine supersolide Phase transformieren.

„In Kooperation mit der Gruppe des Kollegen Wosnitza in Dresden haben wir im dortigen Hochfeld-Magnetlabor MnCr2S4-Einkristalle mittels Magnetisierung und Ultra­schall bei tiefen Temperaturen und Magnet­feldern von bis zu 60 Tesla untersucht“, berichtet Alois Loidl, Inhaber des Lehrstuhls für Experimental­physik V am Augsburger Zentrum für Elektronische Korrelationen und Magnetismus. „Bei sehr hohen Magnetfeldern“, so Loidl weiter, „fanden wir in der Probe einen ungewöhnlich robusten magnetischen Zustand, bei dem die Mangan-Spins ideale antiparallele, also antiferromagnetische Ordnung zeigen. In diesem Zustand wird das magnetische Chrom-Austausch­feld durch das extrem hohe von außen angelegte Magnetfeld ideal kompensiert. Die Magnetisierung bleibt in einem Bereich von 25 Tesla absolut konstant.“

Loidls Mitarbeiter Vladimir Tsurkan ergänzt: „Ein derartiges Magnetisierungs­plateau ist äußerst ungewöhnlich, und theoretisch wird vorhergesagt, dass in den daran angrenzenden Phasen Supersolidität vorliegt. Diese Phasen haben wir in der vorliegenden Arbeit nun identifiziert und charakterisiert. Mit dem Ergebnis unserer Untersuchungen an der Mangan-Chrom-Verbindung haben wir jetzt also ein Indiz dafür, dass magnetische Systeme unter extremen Temperatur-, Druck- oder Magnetfeld-Bedingungen als Quanten-Gittermodelle beschrieben werden können. Sie präsentieren sich damit als äußerst interessante Kandidaten zur Realisierung kohärenter Quanten­phänomene.“

U Augsburg / DE

EnergyViews

EnergyViews
Dossier

EnergyViews

Die neuesten Meldungen zu Energieforschung und -technologie von pro-physik.de und Physik in unserer Zeit.

Virtuelle Jobbörse

Virtuelle Jobbörse
Eine Kooperation von Wiley-VCH und der DPG

Virtuelle Jobbörse

Innovative Unternehmen präsentieren hier Karriere- und Beschäftigungsmöglichkeiten in ihren Berufsfeldern.

Die Teilnahme ist kostenfrei – erforderlich ist lediglich eine kurze Vorab-Registrierung.

Meist gelesen

Themen