05.12.2012

Superkühlung im Graphen

Heiße Elektronen werden durch seltene Zweiphononenprozesse schneller gekühlt.

Die ungewöhnlichen Eigenschaften des Graphens, der zweidimensionalen Form des Kohlenstoffs, fordern Experimentatoren und Theoretiker heraus. So war es bislang unklar, wie die Leitungselektronen im Graphen überschüssige Energie an das Atomgitter abgeben. Diese „zweidimensionale“ Energierelaxation muss man jedoch verstehen, wenn man leistungsfähige Photodetektoren oder Bolometer aus Graphen konstruieren will. Jetzt haben zwei Forscherteams experimentell eine Theorie bestätigt, wonach heiße Elektronen ihre Energie am schnellsten durch die – auf den ersten Blick eher unwahrscheinliche – gleichzeitige Emission von zwei Phononen loswerden.

Abb.: Ein heißes Elektron im Graphengitter muss viele einzelne akustische Phononen emittieren, ehe es merklich an Energie verliert (links). Viel schneller kann es Energie abgeben, wenn es unterstützt durch eine Fehlstelle zwei Phononen auf einmal abstrahlt (rechts). (Bild: M. W. Graham et al., Nat. Phys.)

Leitungselektronen in einem Kristall können durch Laserlicht oder mit Hilfe einer elektrischen Spannung sehr stark erhitzt werden, sodass sie viel heißer sind als das Kristallgitter. Ihre überschüssige Energie geben sie ab, indem sie das Kristallgitter zu Schwingungen anregen, wobei sie akustische oder optische Phononen abstrahlen. Im Graphen haben die optischen Phononen jedoch eine sehr hohe Energie von etwa 0,2 Elektronenvolt, die für Elektronen mit einer Temperatur unterhalb von 2300 Kelvin unerreichbar ist. So bleibt ihnen nur die Emission von akustischen Phononen. Die Energie- und Impulserhaltung schränken jedoch diese Form der Energieabgabe so stark ein, dass ein Elektron im Graphen etwa vierzig akustische Phononen abgeben muss, um eine Anfangsenergie von 0,2 Elektronenvolt zu halbieren.

Es scheint, als hätten heiße Elektronen im Graphen ein unüberwindliches Problem, sich schnell abzukühlen. Doch Anfang dieses Jahren fanden Forscher um Leonid Levitov vom MIT einen Ausweg. Ist die Dichte der freien Ladungsträger im Graphen – und damit auch die Fermi-Fläche – hinreichend klein, so spielt die Emission einzelner akustischer Phononen gar nicht mehr die dominierende Rolle bei der Energieabgabe. Stattdessen treten Zweiphononenprozesse in den Vordergrund, die normalweise selten vorkommen. Dabei emittiert ein Elektron, unterstützt von einer Gitterfehlstelle zwei Phononen zugleich. Deren Energien können wesentlich größer sein als die Energie eines einzeln abgestrahlten Phonons.

Wie diese „Superkollisionen“ der heißen Elektronen mit dem Graphengitter deren Energie verringern, hatten Levitov und seine Kollegen bereits berechnet. Demnach gilt für die Rate, mit der die Energie abnimmt: J = A ((Te)3–(Tg)3), wobei Te und Tg die Temperatur der Elektronen bzw. des Gitters sind und A von der Fehlstellenkonzentration und der Ladungsträgerdichte abhängt. Die Relaxationszeit sollte dabei eine bis zehn Picosekunden betragen. Findet die Relaxation hingegen durch Emission einzelner Phononen statt, so erwartet man für J eine T4-Abhängigkeit und eine Relaxationszeit von über 300 Picosekunden. Dass tatsächlich Superkollisionen stattfinden, haben jetzt zwei Forscherteams auf unterschiedliche Weise experimentell bestätigt. Dabei nutzten sie aus, dass sich die Dichte der freien Ladungsträger in der Graphenschicht durch eine elektrische Gate-Spannung so verändern ließ, dass Superkollisionen dominant wurden.

Paul McEuen und seine Mitarbeiter von der Cornell University haben eine Monolage Graphen, die auf einer Siliziumoxidunterlage aufgetragen war, auf zehn Kelvin gekühlt und mit gepulstem Laserlicht bestrahlt. Dadurch wurden die Leitungselektronen im Graphen je nach Leistung P des Laserlichts mehr oder weniger stark aufgeheizt. Welchen Wert die Temperatur der Elektronen dabei erreichte und wie sie wieder abklang, maßen die Forscher anhand des vom Laserpuls verursachten Fotostroms I. Waren die Elektronen sehr heiß (Te >> Tg), so war I proportional zu P2/3. Waren die Elektronen hingegen nur geringfügig erwärmt, so hing I linear von P ab.

Abb.: Die Superkollisionen lassen die Elektronentemperatur Te kubisch von der zugeführten elektrischen Leistung P abhängen, sodass (Te)3/P gegen eine Konstante strebt. Die verschiedenen Kurven entsprechen unterschiedlichen Gate-Spannungen, mit denen die Ladungsträgerdichte variiert wurde. (Bild: A. C. Betz et al., Nat. Phys.

Indem die Forscher das Graphen mit zwei kurz aufeinanderfolgenden Pulsen bestrahlten und dann den Photostrom in Abhängigkeit vom Zeitintervall zwischen den Pulsen maßen, konnten sie die Abklingzeit der Elektronentemperatur messen. Sie nahm mit wachsender Lichtintensität stetig ab und erreichte etwa eine Picosekunde. Nach umfassender Analyse ihrer Ergebnisse konnten McEuen und seine Mitarbeiter die im Rahmen der Superkollisionstheorie gemachten Vorhersagen bestätigen. Demnach kühlten sich die Elektronen tatsächlich sehr effizient durch Superkollisionen ab.

Zu ähnlichen Resultaten kommen auch Bernard Plaçais an der Ecole Normale Supérieure in Paris und seine Mitarbeiter. Sie haben die Elektronen in einer Graphenschicht mit einem durch die Schicht fließenden elektrischen Strom erhitzt und ihre Temperatur anhand des thermischen Rauschens des Stroms bestimmt. Die Elektronentemperatur Te, die sich je nach der zugeführten elektrischen Leistung P einstellte, hing davon ab, wie schnell die Elektronen ihre Wärmeenergie an das Gitter abgeben konnten. Waren die Elektronen viel heißer als das Gitter (Te >> Tg), so ergaben die Messungen für (Te)3/P eine Konstante, wie es die Superkollisionstheorie vorhersagt. Waren die Elektronen nur geringfügig wärmer als das Gitter, so war (Te)4/P konstant – wie man es für die Emission einzelner akustischer Phononen erwartet.

Darüber hinaus haben Plaçais und seine Kollegen auch untersucht, wie die Relaxation der Elektronenenergie von der Dichte der Fehlstellen in der Graphenschicht abhing. Dazu haben sie die Schicht unterschiedlich lange wärmebehandelt. Wie von der Superkollisionstheorie vorhergesagt, änderte sich die oben erwähnte „Konstante“ A linear mit der Fehlstellendichte: Je größer die Unordnung im Graphengitter war, um so schneller konnten die heißen Elektronen ihre überschüssige Energie an das Gitter abgeben. Nachdem man das Verhalten der heißen Elektronen im Graphen so gut versteht, kann man es zur Messung von Wärme und Licht mit Bolometern bzw. Photodetektoren aus Graphen nutzen.

Rainer Scharf

PH

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