Tanzende Polymere
Computersimulation zeigt einzigartige Bewegungen ringförmiger Moleküle.
Mithilfe einer Computersimulation haben die Physiker Maximilian Liebetreu und Christos Likos ein einzigartiges Bewegungsmuster ringförmiger Moleküle beobachtet. Deren unterschiedliche Bewegungen werden in Phasen eingeteilt, wobei die Wissenschafter die Inflationsphase zum ersten Mal beobachten konnten. In dieser Inflationsphase kommt es zum Anschwellen und Eigenstabilisieren der Moleküle.
Einige Polymere treten in der Natur in Form geschlossener Ringe auf, zum Beispiel als Plasmide, ringförmige DNA-Doppelstränge in Bakterien, oder bei sehr langen Proteinketten. Stellen wir uns vor, dass wir solche Objekte in einer Flüssigkeit versenken, die zwischen zwei parallel gerichteten Platten liegt. Zieht man diese Platten nun in entgegengesetzte Richtungen, aber immer noch parallel zueinander auseinander, so spricht man von Scherung des Systems. Unter Scherung weisen Polymere unterschiedliche Bewegungsmodi auf: „Tumbling“ bezeichnet das Schwanken und Flippen solcher Polymere, etwa vergleichbar mit der Bewegung einer in die Luft geschnippten Münze, „Tank-Treading“ bezeichnet eine Drehbewegung des Polymerrings, ähnlich einer Radkette oder rollenden Münze. Beide Effekte werden durch die Spannung der Scherung verursacht. Darüber hinaus werden Ringe unter Scherung in Flussrichtung gestreckt, etwa vergleichbar mit einem in die Länge gezogenen Gummiring. Wie ein Gummiring steht auch das gestreckte Polymer unter Spannung. Diese Drehbewegungen, Streckung sowie Ausrichtung des Polymers galten bisher als einzige Effekte von Scherung auf ringförmige Polymere.
Nun stießen die Wissenschaftler beim Simulieren der Polymere auf eine völlig neue Phase – die „Inflationsphase“. Ab einer gewissen Schergeschwindigkeit konnten sie eine Schwellung nicht nur in Flussrichtung, sondern auch normal darauf beobachten: Der zuvor ganz gestreckte Ring öffnete sich. Außerdem stabilisierte sich der Ring schräg im Raum – das sonst so typische Schwanken und das Tumbling wurden beinahe vollständig unterdrückt. Polymere anderer topologischer Form – beispielsweise lineare Ketten, Sterne, Mikrogele – zeigen dagegen keine derartige Phase. Als die Forscher die Schergeschwindigkeit weiter erhöhten, setzte schließlich wieder Tumbling ein, und das Polymer legte sich wie erwartet in die Flussebene.
Noch deutlicher wird dieser Effekt durch die Betrachtung von Knoten auf dem ringförmigen Polymer. Das kann man sich etwa so vorstellen, dass man einen Knoten in eine Schnur bindet und schließlich die beiden Enden zusammenführt. Der Knoten kann nun nicht mehr gelöst werden, ohne die Schnur zu zerschneiden. Ein solcher Knoten zieht sich unter Scherung fest. Im Kontext der Inflationsphase fanden die Wissenschafter heraus, dass der enggezogene Knoten dann als zusätzlicher Stabilisationsanker dient und auch Tank-Treading unterdrückt.
Diese Entdeckung verdankt das Team einer Simulationsmethode – Multi-Particle Collision Dynamics –, die lokale Wirbel und Strömungen berücksichtigt. Im Fall der ringförmigen Polymere unter Scherung zeigt sich, dass Flüssigkeitsteilchen, nachdem das Polymer gestreckt wird, von den gestreckten Enden und entlang des Polymers reflektiert werden. In Flussrichtung führt dies zu einem Aufeinandertreffen zweier entgegengesetzter Ströme reflektierter Flüssigkeitsteilchen, die nahe am Schwerpunkt des Polymers aufeinandertreffen. Der entstehende Fluss weicht nach den Seiten aus, was zu einer Öffnung des Rings und somit zu einem zusätzlichen Schwellen nicht nur in Fluss-, sondern auch in Vortizitätsrichtung führt – das ist jene Richtung, die normal auf die Flussrichtung und parallel zu den gescherten Platten steht. Das entstehende Flussfeld relativ zur Scherung ist auch für die Selbststabilisierung des Polymers verantwortlich.
Der beobachtete Effekt zeigt, wie wichtig die Berücksichtigung hydrodynamischer Ströme und Wirbel für die Betrachtung von ringförmigen Polymeren ist. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen in zukünftigen Studien zur Trennung von Ringen unterschiedlicher Größe und Polymeren unterschiedlicher Topologie eingesetzt werden.
U. Wien / JOL