07.02.2020

Tanzende Polymere

Computersimulation zeigt einzigartige Bewegungen ringförmiger Moleküle.

Mithilfe einer Computer­simulation haben die Physiker Maximilian Liebetreu und Christos Likos ein einzigartiges Bewegungs­muster ringförmiger Moleküle beobachtet. Deren unterschiedliche Bewegungen werden in Phasen eingeteilt, wobei die Wissenschafter die Inflations­phase zum ersten Mal beobachten konnten. In dieser Inflations­phase kommt es zum Anschwellen und Eigen­stabilisieren der Moleküle. 

Abb.: Flussfeld um das Massen­zentrum eines Polymers unter starker Scherung....
Abb.: Flussfeld um das Massen­zentrum eines Polymers unter starker Scherung. (Bild: M. Liebetreu)

Einige Polymere treten in der Natur in Form geschlossener Ringe auf, zum Beispiel als Plasmide, ringförmige DNA-Doppel­stränge in Bakterien, oder bei sehr langen Proteinketten. Stellen wir uns vor, dass wir solche Objekte in einer Flüssigkeit versenken, die zwischen zwei parallel gerichteten Platten liegt. Zieht man diese Platten nun in entgegen­gesetzte Richtungen, aber immer noch parallel zueinander auseinander, so spricht man von Scherung des Systems. Unter Scherung weisen Polymere unterschiedliche Bewegungs­modi auf: „Tumbling“ bezeichnet das Schwanken und Flippen solcher Polymere, etwa vergleichbar mit der Bewegung einer in die Luft geschnippten Münze, „Tank-Treading“ bezeichnet eine Drehbewegung des Polymer­rings, ähnlich einer Radkette oder rollenden Münze. Beide Effekte werden durch die Spannung der Scherung verursacht. Darüber hinaus werden Ringe unter Scherung in Flussrichtung gestreckt, etwa vergleichbar mit einem in die Länge gezogenen Gummiring. Wie ein Gummiring steht auch das gestreckte Polymer unter Spannung. Diese Dreh­bewegungen, Streckung sowie Ausrichtung des Polymers galten bisher als einzige Effekte von Scherung auf ringförmige Polymere.

Nun stießen die Wissenschaftler beim Simulieren der Polymere auf eine völlig neue Phase – die „Inflations­phase“. Ab einer gewissen Scher­geschwindigkeit konnten sie eine Schwellung nicht nur in Fluss­richtung, sondern auch normal darauf beobachten: Der zuvor ganz gestreckte Ring öffnete sich. Außerdem stabilisierte sich der Ring schräg im Raum – das sonst so typische Schwanken und das Tumbling wurden beinahe vollständig unterdrückt. Polymere anderer topologischer Form – beispiels­weise lineare Ketten, Sterne, Mikrogele – zeigen dagegen keine derartige Phase. Als die Forscher die Scher­geschwindigkeit weiter erhöhten, setzte schließlich wieder Tumbling ein, und das Polymer legte sich wie erwartet in die Flussebene.

Noch deutlicher wird dieser Effekt durch die Betrachtung von Knoten auf dem ring­förmigen Polymer. Das kann man sich etwa so vorstellen, dass man einen Knoten in eine Schnur bindet und schließlich die beiden Enden zusammenführt. Der Knoten kann nun nicht mehr gelöst werden, ohne die Schnur zu zerschneiden. Ein solcher Knoten zieht sich unter Scherung fest. Im Kontext der Inflations­phase fanden die Wissen­schafter heraus, dass der enggezogene Knoten dann als zusätzlicher Stabilisationsanker dient und auch Tank-Treading unterdrückt.

Diese Entdeckung verdankt das Team einer Simulations­methode – Multi-Particle Collision Dynamics –, die lokale Wirbel und Strömungen berücksichtigt. Im Fall der ringförmigen Polymere unter Scherung zeigt sich, dass Flüssigkeits­teilchen, nachdem das Polymer gestreckt wird, von den gestreckten Enden und entlang des Polymers reflektiert werden. In Flussrichtung führt dies zu einem Aufeinander­treffen zweier entgegen­gesetzter Ströme reflektierter Flüssigkeits­teilchen, die nahe am Schwerpunkt des Polymers aufeinander­treffen. Der entstehende Fluss weicht nach den Seiten aus, was zu einer Öffnung des Rings und somit zu einem zusätzlichen Schwellen nicht nur in Fluss-, sondern auch in Vortizitäts­richtung führt – das ist jene Richtung, die normal auf die Flussrichtung und parallel zu den gescherten Platten steht. Das entstehende Flussfeld relativ zur Scherung ist auch für die Selbststabilisierung des Polymers verantwortlich.

Der beobachtete Effekt zeigt, wie wichtig die Berücksichtigung hydro­dynamischer Ströme und Wirbel für die Betrachtung von ringförmigen Polymeren ist. Die gewonnenen Erkennt­nisse sollen in zukünftigen Studien zur Trennung von Ringen unter­schiedlicher Größe und Polymeren unter­schiedlicher Topologie eingesetzt werden.

U. Wien / JOL

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