Tarnen mit künstlicher Tintenfischhaut
Meerestiere dienen als Vorbild für Oberfläche mit einstellbarer Reflektivität im Infrarotbereich.
Da Tintenfische und Oktopusse fast ohne starre Körperteile auskommen, gelten sie als wichtige Inspirationsquelle für Entwickler weicher Maschinen. Doch auch die Haut der Meerestiere hat höchst interessante Eigenschaften und erlaubt es ihnen, aktiv ihre Farbe zu ändern. Eine amerikanische Forschergruppe um Alon Gorodetsky hat diesen Effekt nun vom sichtbaren in den infraroten Spektralbereich übertragen und ein System entwickelt, dessen Reflexionsvermögen mithilfe elektrisch gesteuerter Aktuatoren eingestellt werden kann. Dabei werden reflektierende Bereiche eines weichen Materials zum einen mechanisch gedehnt, um ihre Fläche zu vergrößern. Zum anderen verändert sich während des Dehnens die Oberflächenstruktur des aktiven Bereichs, wodurch sich auch die Reflexionseigenschaften ändern.
Abb.: Schematische Darstellung des Aktuators von oben (oben) und von der Seite (unten).
Durch Anlegen einer Spannung wird der reflektierende Bereich vergrößert und die mikrometergroßen Falten werden geglättet, was eine Verschiebung zwischen gespiegelten und diffusen Reflexionsanteilen bewirkt. (Bild: C. Xu et al.)
Die Haut eines Tintenfisches ist übersät von winzigen Punkten in verschiedenen Farben. Mithilfe sternförmig um diese Chromatophoren angeordneten Muskelzellen ist es den Tieren möglich, die Punkte gezielt zu vergrößern und auch wieder schrumpfen zu lassen, wodurch sich der Farbeindruck der Haut verändert. Bei manchen Tieren sind darüber hinaus auch noch die Bereiche zwischen den Chromatophoren einstellbar. Ihre Haut weist dort eine feine Rippenstruktur auf, die ähnlich wie ein Beugungsgitter funktioniert, dessen „Gitterkonstante“ durch biochemische Signale verändert werden kann. Dadurch verändert sich die Beugungsbedingung und der Bereich erscheint in einer anderen Farbe.
In ihrem Versuch, eine künstliche Haut mit ähnlichen Eigenschaften im Infrarotbereich zu entwickeln, haben Gorodetsky und seine Kollegen diese beiden Effekte nun nicht neben-, sondern übereinander kombiniert. Dafür benutzten sie Aktuatoren, die aus einer Elastomermembran (als Dielektrikum) in einem „Sandwich“ zwischen zwei ebenfalls dehnbaren Elektroden bestehen. Ähnliche Systeme wurden bereits als künstliche Muskeln eingesetzt und wandeln elektrische Anregung in mechanische Bewegung beziehungsweise Verformung um, indem eine Spannung an den Elektroden angelegt wird, die einen elektrostatischem Druck auf das Elastomer bewirkt. Dadurch verringert sich dessen Dicke und gleichzeitig vergrößert sich zum Ausgleich die Fläche der Elektroden.
Im entspannten Zustand wiesen die nun verwendeten Elektroden Durchmesser von einigen Millimetern auf. Bei Anlegen der maximalen Spannung von 3,5 Kilovolt vergrößerte sich deren Fläche um 230 Prozent. Die Ansprechzeit für eine Flächendehnung von 10 auf 90 Prozent betrug dabei etwa 720 Millisekunden, was in etwa der Zeit entspricht, die auch ein Tintenfisch für diesen Vorgang benötigt.
Um die obere Elektrode im infraroten Spektralbereich reflektierend zu machen, dampften die Forscher eine dünne Schicht Aluminium darauf auf. Da das Bedampfen im gestreckten Zustand durchgeführt wurde, bildete sich beim Entspannen der Elektrode ein Netzwerk aus mikrometergroßen Falten. Dieser Vorgang war reversibel, wodurch sich die Rauigkeit der Oberfläche durch die angelegte Spannung gezielt einstellen ließ. Ähnlich wie in den Bereichen zwischen den Chromatophoren auf der Tintenfischhaut ließ sich so die Reflektivität der Oberfläche variieren.
Infrarotspektren im Wellenlängenbereich zwischen drei und 15 Mikrometern zeigten zunächst eine Gesamtreflektivität von 71 Prozent im entspannten Zustand, also von einer Oberfläche mit dichten Falten. Sie setzte sich zusammen aus 23 Prozent spiegelnder und 48 Prozent diffuser Reflexion. Im gedehnten Zustand, also bei geglätteter Oberfläche, stieg die Gesamtreflektivität auf 96 Prozent, wobei der gespiegelte Anteil mit 88 Prozent deutlich zu und der diffuse Anteil mit nurmehr acht Prozent deutlich abnahm. Diese Veränderungen in der Reflektivität blieben auch nach mehreren Hundert Dehnungszyklen voll reversibel.
Der Unterschied der Reflexionseigenschaften im entspannten beziehungsweise gedehnten Zustand wird auch bei der Betrachtung mit einer Infrarotkamera unter einfallender Wärmestrahlung deutlich. So beträgt der Unterschied zwischen den von der Kamera angezeigten scheinbaren Temperaturen der beschichteten Elektrode und dem umgebenden Material im entspannten Zustand nur 3,6 Kelvin. Dagegen ergibt sich aufgrund der relativen Verschiebung der gespiegelten und diffusen Anteile für dieselbe Elektrode im gedehnten Zustand eine scheinbare Temperaturdifferenz von 6,8 Kelvin.
Wie die Forscher in ihrer Studie weiter zeigen, lässt sich dieser Effekt für eine Art Tarnmechanismus nutzen. Dazu erhöhten sie zunächst die Temperatur es gesamten Materials, indem sie es auf einer warmen Oberfläche platzierten und zusätzlich von oben mit Wärme bestrahlten. So gelang es ihnen, eine Konfiguration zu finden, in der die Kamera für die entspannte Elektrode keinen Unterschied in den scheinbaren Temperaturen anzeigte. Die Elektrode (sie hatte in diesem Experiment passenderweise die Form eines Tintenfisches) war also unsichtbar. Durch Anlegen der Spannung wurden die Falten in der Oberfläche geglättet, der gespiegelte Anteil der Reflexion stieg an und die Tintenfisch-Elektrode tauchte im Wärmebild mit einem scheinbaren Temperaturunterschied von zwei Kelvin auf.
Thomas Brandstetter
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