29.03.2018

Tarnen mit künstlicher Tintenfischhaut

Meerestiere dienen als Vorbild für Oberfläche mit einstellbarer Reflektivität im Infrarotbereich.

Da Tintenfische und Oktopusse fast ohne starre Körper­teile auskommen, gelten sie als wichtige Inspirations­quelle für Entwickler weicher Maschinen. Doch auch die Haut der Meerestiere hat höchst interessante Eigen­schaften und erlaubt es ihnen, aktiv ihre Farbe zu ändern. Eine amerikanische Forscher­gruppe um Alon Gorodetsky hat diesen Effekt nun vom sicht­baren in den infra­roten Spektral­bereich über­tragen und ein System entwickelt, dessen Reflexions­vermögen mithilfe elektrisch gesteuerter Aktuatoren eingestellt werden kann. Dabei werden reflektierende Bereiche eines weichen Materials zum einen mechanisch gedehnt, um ihre Fläche zu vergrößern. Zum anderen verändert sich während des Dehnens die Ober­flächen­struktur des aktiven Bereichs, wodurch sich auch die Reflexions­eigenschaften ändern.

Abb.: Schematische Darstellung des Aktuators von oben (oben) und von der Seite (unten).
Durch Anlegen einer Spannung wird der reflektierende Bereich vergrößert und die mikro­meter­großen Falten werden geglättet, was eine Verschiebung zwischen gespiegelten und diffusen Reflexions­anteilen bewirkt. (Bild: C. Xu et al.)

Die Haut eines Tintenfisches ist übersät von winzigen Punkten in verschiedenen Farben. Mithilfe stern­förmig um diese Chromato­phoren ange­ordneten Muskel­zellen ist es den Tieren möglich, die Punkte gezielt zu vergrößern und auch wieder schrumpfen zu lassen, wodurch sich der Farb­eindruck der Haut verändert. Bei manchen Tieren sind darüber hinaus auch noch die Bereiche zwischen den Chromato­phoren einstellbar. Ihre Haut weist dort eine feine Rippen­struktur auf, die ähnlich wie ein Beugungs­gitter funktioniert, dessen „Gitter­konstante“ durch bio­chemische Signale verändert werden kann. Dadurch verändert sich die Beugungs­bedingung und der Bereich erscheint in einer anderen Farbe.

In ihrem Versuch, eine künstliche Haut mit ähnlichen Eigenschaften im Infrarot­bereich zu entwickeln, haben Gorodetsky und seine Kollegen diese beiden Effekte nun nicht neben-, sondern über­einander kombiniert. Dafür benutzten sie Aktuatoren, die aus einer Elastomer­membran (als Dielektrikum) in einem „Sand­wich“ zwischen zwei ebenfalls dehn­baren Elektroden bestehen. Ähnliche Systeme wurden bereits als künstliche Muskeln eingesetzt und wandeln elektrische Anregung in mechanische Bewegung beziehungs­weise Verformung um, indem eine Spannung an den Elektroden angelegt wird, die einen elektro­statischem Druck auf das Elastomer bewirkt. Dadurch verringert sich dessen Dicke und gleich­zeitig vergrößert sich zum Ausgleich die Fläche der Elektroden.

Im entspannten Zustand wiesen die nun verwendeten Elektroden Durch­messer von einigen Milli­metern auf. Bei Anlegen der maximalen Spannung von 3,5 Kilo­volt vergrößerte sich deren Fläche um 230 Prozent. Die Ansprechzeit für eine Flächen­dehnung von 10 auf 90 Prozent betrug dabei etwa 720 Milli­sekunden, was in etwa der Zeit entspricht, die auch ein Tinten­fisch für diesen Vorgang benötigt.

Um die obere Elektrode im infra­roten Spektral­bereich reflektierend zu machen, dampften die Forscher eine dünne Schicht Aluminium darauf auf. Da das Bedampfen im gestreckten Zustand durch­geführt wurde, bildete sich beim Entspannen der Elektrode ein Netzwerk aus mikro­meter­großen Falten. Dieser Vorgang war reversibel, wodurch sich die Rauigkeit der Ober­fläche durch die angelegte Spannung gezielt einstellen ließ. Ähnlich wie in den Bereichen zwischen den Chromato­phoren auf der Tinten­fisch­haut ließ sich so die Reflektivität der Oberfläche variieren.

Infrarotspektren im Wellenlängen­bereich zwischen drei und 15 Mikro­metern zeigten zunächst eine Gesamt­reflektivität von 71 Prozent im entspannten Zustand, also von einer Oberfläche mit dichten Falten. Sie setzte sich zusammen aus 23 Prozent spiegelnder und 48 Prozent diffuser Reflexion. Im gedehnten Zustand, also bei geglätteter Oberfläche, stieg die Gesamt­reflektivität auf 96 Prozent, wobei der gespiegelte Anteil mit 88 Prozent deutlich zu und der diffuse Anteil mit nur­mehr acht Prozent deutlich abnahm. Diese Veränderungen in der Reflektivität blieben auch nach mehreren Hundert Dehnungs­zyklen voll reversibel.

Der Unterschied der Reflexions­eigenschaften im entspannten beziehungsweise gedehnten Zustand wird auch bei der Betrachtung mit einer Infrarot­kamera unter einfallender Wärme­strahlung deutlich. So beträgt der Unter­schied zwischen den von der Kamera angezeigten scheinbaren Temperaturen der beschichteten Elektrode und dem umgebenden Material im entspannten Zustand nur 3,6 Kelvin. Dagegen ergibt sich aufgrund der relativen Verschiebung der gespiegelten und diffusen Anteile für dieselbe Elektrode im gedehnten Zustand eine scheinbare Temperatur­differenz von 6,8 Kelvin.

Wie die Forscher in ihrer Studie weiter zeigen, lässt sich dieser Effekt für eine Art Tarn­mechanismus nutzen. Dazu erhöhten sie zunächst die Temperatur es gesamten Materials, indem sie es auf einer warmen Ober­fläche platzierten und zusätzlich von oben mit Wärme bestrahlten. So gelang es ihnen, eine Konfiguration zu finden, in der die Kamera für die entspannte Elektrode keinen Unterschied in den scheinbaren Temperaturen anzeigte. Die Elektrode (sie hatte in diesem Experiment passender­weise die Form eines Tinten­fisches) war also unsicht­bar. Durch Anlegen der Spannung wurden die Falten in der Oberfläche geglättet, der gespiegelte Anteil der Reflexion stieg an und die Tinten­fisch-Elektrode tauchte im Wärme­bild mit einem scheinbaren Temperatur­unterschied von zwei Kelvin auf.

Thomas Brandstetter

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