29.09.2021

Temperaturmessung per Kolloidkristall

Neuartige Sensoren aus künstlichem Opal können Temperaturen über definierten Zeitraum messen.

Wegen ihrer schillernden Farben gelten Opale seit der Antike als besonders kostbare Edelsteine. Ursache dieses Farbenspiels sind ihre Nanostrukturen. Eine Forschungs­gruppe um Markus Retsch an der Universität Bayreuth hat nach dem Vorbild dieser Strukturen künstliche Kolloid­kristalle hergestellt, die sich für den Bau neuartiger Sensoren eignen. Diese Sensoren dokumentieren, kontinuierlich und für das menschliche Auge sichtbar, die Temperatur in ihrer Umgebung während eines definierten Zeitraums. Sie sind daher maßgeschneidert für die dauerhafte Überwachung temperatur­sensitiver Prozesse.

 

Abb.: Momentaufnahmen zweier Kolloid­kristall-Gradienten unter dem Einfluss...
Abb.: Momentaufnahmen zweier Kolloid­kristall-Gradienten unter dem Einfluss unter­schiedlicher Temperaturen zeigen den zeitlichen Verlauf des Farbverlusts. (Bild: M. Schöttle)

Bereits heute zeichnen sich für die neuen Sensoren attraktive Anwendungs­möglichkeiten ab. „Für den sicheren Betrieb moderner Hoch­leistungs­batterien ist es wichtig, dass sie über viele Betriebs­stunden hinweg ausschließlich moderaten Temperaturen ausgesetzt sind. Kurzzeitige, stark erhöhte Temperaturen können die Sicherheit und die Lebensdauer der Batterien gefährden. Mit Hilfe der neuen Sensoren lässt sich die Einhaltung gleichmäßiger Umgebungs­temperaturen zuverlässig überwachen. Der Sensor ist aufgrund seiner Material­zusammensetzung bereits fertig programmiert: Er arbeitet autonom und kann nicht nachträglich manipuliert werden“, sagt Marius Schöttle, Erstsautor der neuen Veröffentlichung.

Markus Retsch, Inhaber des Lehrstuhls Physikalische Chemie I und Koordinator der neuen Studie, fügt hinzu: „Wir haben hier einen Sensor entwickelt, der gleichzeitig auf Zeit und Temperatur sensitiv reagiert – und zwar ohne dass es dafür einer aufwändigen Elektronik oder spezieller Messgeräte bedarf. Darüber hinaus stellen die von uns synthetisierten künstlichen Kristalle eine neue Materialklasse dar, die für die Grundlagen­forschung sehr interessant ist. Möglicherweise helfen uns diese kolloidalen Gradienten dabei, grundlegend neuen physikalischen Phänomenen auf die Spur zu kommen.“

Opale bestehen aus kugelförmigen Partikeln, die übergeordnete Nanostrukturen bilden. Wechselwirkungen dieser hoch­symmetrischen Strukturen mit sichtbarem Licht lassen die Oberflächen in den verschiedensten Farben schillern. Genauso verhält es sich auch mit den Flügeln von Schmetterlingen oder von manchen Käfern. In den letzten Jahren sind natürliche und künstliche Vertreter dieser Materialklasse immer besser erforscht worden. An der Universität Bayreuth ist das Forschungs­team unter der Leitung von Markus Retsch jetzt der Frage nachgegangen, ob sich nach ähnlichen Bauprinzipien, aber mit kontrollierten Mischungen unter­schiedlicher Partikel nano­strukturierte Materialien herstellen lassen, die technologisch attraktive Eigenschaften aufweisen. Die Vision waren nano­strukturierte Filme, deren physikalische Eigenschaften sich entlang einer Richtung graduell verändern – und zwar aufgrund eines Gradienten, der das Mischungs­verhältnis zweier Partikel­sorten definiert. Dafür haben die Forscher einen experimentellen Aufbau entwickelt, der die Herstellung derartiger gradueller Kolloid­kristalle ermöglicht.

Parallel dazu wurden im Labor zwei Sorten von Partikeln hergestellt, die sich nur in einem Punkt unterscheiden: Die daraus entstehenden Nanostrukturen lösen sich bei verschieden hohen Temperaturen auf, so dass die Oberflächen der Materialien ihre schillernden Farben unwiederbringlich verlieren. Chemisch gesprochen, entsteht durch diese irreversible Struktur­auflösung eine farblose Filmschicht. Aus Partikeln beider Sorten und auf der Basis des neuen experimentellen Aufbaus haben die Forscher Kolloid­kristalle erzeugt. Der Aufbau der Kristalle ist jedes Mal gleich: Innerhalb jedes Kristalls nimmt der Anteil der Partikel, die ihre Strukturen bei höheren Temperaturen verlieren und insofern stabiler sind, nach einer Seite hin kontinuierlich zu. Durch vergleichende Untersuchungen stellte sich heraus: Je größer der Anteil der stabileren Partikel ist, desto langsamer verlaufen die Struktur­auflösungen innerhalb des Kristalls und desto langsamer schreitet der dadurch bedingte Farbverlust voran.

Diese Entdeckung hat das Bayreuther Team nun für ein Feintuning verschiedener Kolloid­kristalle genutzt: Ein Kolloid­kristall, in dem sich der Anteil an stabilen Partikeln graduell ändert, übernimmt jetzt die Funktion eines Sensors: Je höher die Temperatur während eines definierten Zeitraums ist, desto weiter breiten sich die Farbverluste auf dieser Oberfläche nach einer Richtung hin aus. Und je kürzer die Zeiträume während einer gleich­bleibenden Temperatur sind, desto früher bricht dieser Prozess ab. Weil die Farbverluste in jedem Fall irreversibel sind, dokumentiert der Sensor die Höhe einer Umgebungs­temperatur in Abhängigkeit von der Zeit.

U. Bayreuth / DE

 

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