16.07.2010

Topologisch verbotene Kehrtwende

Elektronen in topologischen Oberflächenzuständen lassen sich weder von Störstellen noch von Stufen in einer Kristalloberfläche aufhalten.

Elektronen in topologischen Oberflächenzuständen lassen sich weder von Störstellen noch von Stufen in einer Kristalloberfläche aufhalten.

Treffen die Leitungselektronen in einem Metalldraht auf ein Hindernis wie eine Fehlstelle, so werden sie abgelenkt oder sogar zu einer Kehrtwende gezwungen. Bei tiefen Temperaturen ist die Streuung an Kristallfehlern die Hauptursache für den elektrischen Widerstand. Mit zunehmender Miniaturisierung der elektronischen Schaltkreise machen sich die Streuprozesse immer störender bemerkbar. Doch in bestimmten Materialien treten sogenannte topologische Oberflächenzustände auf, in denen sich die Elektronen nicht so leicht von Hindernissen aus der Bahn werfen lassen. Forscher der Princeton University haben jetzt gezeigt, dass sich die Elektronen dann nicht einmal von Stufen in Kristalloberflächen aufhalten lassen, die normalerweise unüberwindlich sind.

 

 

Abb.: Gestufte Oberfläche eines Antimonkristalls, dessen Elektronen in topologischen Oberflächenzuständen sind und die normalerweise unüberwindlichen Stufen durchqueren können. (Bild: Ali Yazdani et al., Nature)

 

Topologische Oberflächenzustände sind metallisch leitende Zustände an der Oberfläche von einigen nicht oder schlecht leitenden Materialien, in denen die Elektronen eine starke Wechselwirkung zwischen dem Spin- und dem Bahndrehimpuls zeigen. Sie führt dazu, dass der Spinzustand eines Elektrons nicht unabhängig von dessen Bewegungsrichtung ist. So treten je nach Spinrichtung nur elektronische Zustände auf, für die sich das Elektron in eine Raumrichtung bewegen kann, nicht jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Bei einem normalen Metall stehen den Elektronen hingegen beide Bewegungsrichtungen zur Verfügung.

Wenn ein Leitungselektron in einem Metall auf eine nichtmagnetische Fehlstelle im Kristallgitter wie etwa ein Fremdatom trifft, so kann es seine Bewegungsrichtung umkehren und in einen Zustand mit unverändertem Spin, aber entgegengesetzter Bewegungsrichtung übergehen. Einem Elektron in einem topologischen Oberflächenzustand steht diese Möglichkeit nicht offen. Bei der Streuung an einer nichtmagnetischen Fehlstelle ändert sich sein Spinzustand nicht, und die Bewegungsrichtung kann sich nicht umkehren, da dies keinem realen Elektronenzustand entspricht. Das Elektron kann also keine Kehrtwende machen. Das hatten frühere Experimente mit sogenannten topologischen Nichtleitern gezeigt.

Wie ein normaler Nichtleiter so hat auch ein topologischer Nichtleiter eine Bandlücke. Doch zudem besitzt er Oberflächenzustände, deren Energieband die Lücke überbrückt. Diese Zustände sind deshalb leitfähig. Fehlstellen im Material können dieses Energieband zwar stören, es jedoch nicht aufbrechen und damit die Zustände lokalisieren und nichtleitend machen. Das liegt daran, dass das Energieband durch seine topologischen Eigenschaften robust gegen Störungen ist. Es durchläuft die Brillouin-Zone des topologischen Nichtleiters etwa so wie eine Kreislinie, die einen Torus umschlingt und deshalb nicht zu einem Punkt zusammengezogen werden kann.

Die topologischen Oberflächenzustände behalten ihre ungewöhnlichen Eigenschaften sogar bei einer räumlich ausgedehnten Störung der Kristalloberfläche, wie Ali Yazdani und seine Mitarbeiter in Princeton jetzt demonstriert haben. Statt eines topologischen Nichtleiters haben sie bei ihren Experimenten einen Kristall des Halbmetalls Antimon genommen, der auf seiner (111)-Oberfläche ebenfalls topologische Oberflächenzustände besaß. Auf der Oberfläche waren in Abständen von einigen zehn Nanometern parallel ausgerichtete Stufen von der Höhe eines Atoms. Auf den Terrassen zwischen den Stufen konnten sich die Elektronen frei bewegen. Doch sobald sie auf eine Stufe trafen, wurden sie gestreut. Dabei konnte sich die zur Stufe senkrechte Impulskomponente ändern.

Wie sich die Elektronen an den Stufen verhielten, beobachteten die Forscher, indem sie mit einem Rastertunnelmikroskop die Oberflächenzustände ausmaßen. Dabei zeigte es sich, dass die Elektronen in diesen Zuständen zu 35 % die Stufen durchquerten und zu 42 % an ihnen reflektiert wurden. Der Rest wurde in andere Elektronenzustände des Kristalls gestreut. Die Elektronen an der Oberfläche eines normalen Metalls können solche Stufen hingegen nicht überwinden sondern werden absorbiert oder reflektiert. Die topologischen Oberflächenzustände des Antimonkristalls, die den Elektronen eine Kehrtwende verwehrten, ermöglichten es ihnen jedoch, die Stufen zu durchqueren. Auf diese Weise könnte man Elektronen robust gegen Störungen machen und ihre Streuung an Oberflächenstrukturen deutlich vermindern.

RAINER SCHARF


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