07.06.2022

Topologische Phase in Spinketten nachgewiesen

Quantenmechanischer Kniff ermöglicht Vermessung der Haldane-Phase.

Materie tritt in unterschiedlichen Phasen auf, die üblicher­weise ineinander übergehen können. Bei manchen Materialien existieren allerdings Phasen, zwischen denen ein Übergang nicht möglich ist, da sie durch eine bestimmte Form von Symmetrie geschützt sind. Nur durch Aufhebung der Symmetrie ist ein Phasen­übergang möglich. Physiker sprechen in solchen Fällen von topo­lo­gischen Phasen. Die Erforschung solcher Materie­zustände hat in den vergangenen Jahren zu einem tieferen Verständnis der Struktur von Quanten­systemen geführt.

Abb.: Pimonpan Sompet beim Justieren der Frequenz­ver­dopp­lungs­cavity....
Abb.: Pimonpan Sompet beim Justieren der Frequenz­ver­dopp­lungs­cavity. Das hier gene­rierte UV-Licht be­nutzt das Team, um die ver­wen­deten Lithium­atome zu kühlen. (Bild: MPQ)

Bislang waren solche Eigenschaften fast nur für theoretische Modelle und Berechnungen oder durch indirekte Messungen an Festkörpern zugänglich. Doch jetzt ist es einem Forscher­team am MPI für Quantenoptik in Garching gelungen, eine besondere, beispiel­hafte Art von topologischer Phase im Labor zu erzeugen und experi­mentell zu analysieren. Die Wissen­schaftler unter der Leitung von Immanuel Bloch und Timon Hilker schufen eine Haldane-Phase. Sie ist nach dem britischen Physiker Duncan Haldane benannt, der die topo­lo­gischen Phasen von Quanten­systemen erstmals beschrieben hat und dafür 2016 gemeinsam mit zwei weiteren Forschern den Physik-Nobelpreis erhalten hat.

Haldane richtete seinen Blick unter anderem auf die mögliche Existenz einer topo­lo­gischen Phase in einer Kette aus anti­ferro­magne­tischen Spin-1-Teilchen. In einem anti­ferro­magne­tischen Material bevorzugen die Spins in ihrer direkten Umgebung Spins mit einer anderen Drehrichtung. Das kann zu einer perio­dischen Ordnung der Spins führen, von der aber in Spin-1-Systemen bei klassischen Messungen nichts zu sehen ist.

Die theoretische Vorhersage war, dass es trotzdem eine Ordnung gibt, die jedoch verborgen ist. Um sie zu erkennen, müssten alle Spins einzeln und gleich­zeitig vermessen werden – was in Festkörpern nicht möglich ist. Die Forscher am MPQ nutzten künstliche Materialen, bei denen die Spins viel weiter voneinander entfernt sind. Darin stellten sie eine Spin-1-Kette mit den von Haldane beschriebenen Merkmalen her.

Bisher war das nur schwer zu realisieren. Deshalb griff das Team zu einem Trick. „Wir erzeugten eine Spin-1-Kette auf indirekte Weise, indem wir sie aus Spins mit dem Wert ½ aufbauten, von denen wir je zwei addierten“, erklärt Dominik Bourgund vom MPQ. Auf diese Weise entstanden Zellen mit ganzzahligem Spin, die ketten­förmig aufgereiht waren.

Um diese besondere Struktur zu realisieren, nutzte das Team ein Quanten­gas­mikroskop. Mit einer solchen Vorrichtung lassen sich beispiels­weise die magnetischen Eigen­schaften einzelner Atome untersuchen, die zuvor auf bestimmte Weise angeordnet wurden. Die Wissen­schaftler sprechen daher auch von einem Quanten­simulator, mit dem Materie aus ihren elementaren Bausteinen künstlich aufgebaut wird. Dazu nutzen die Forscher stehende Wellen aus Laserlicht, die eine Art Gitter für Atome formen. Dieses Gitter wird dann mithilfe von weiteren Lasern und unzähligen winzigen, beweglichen Spiegeln in die gewünschte Form gebracht.

„Für die Experimente zur topologischen Haldane-Phase brachten wir Atome in ein solches zwei­dimen­sionales optisches Gitter ein“, berichtet Sarah Hirthe vom MPQ. „Im Vakuum und bei einer Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt ordneten sich die Atome dann exakt in der vom Licht vorgegebenen Weise an.“ Die Forscher wählten eine Gitter­struktur, die die Atome zusammen mit ihren Spins in die Gestalt einer Leiter brachten – mit zwei „Holmen“ und dazwischen­liegenden „Sprossen“.

„Die Sprossen dieser Fermi-Hubbard-Leiter verbanden jeweils zwei atomare Spins zu Einheits­zellen mit dem Spin 1“, erklärt Bourgund. „Bei dieser Anordnung orientierten wir uns an einem Konzept, das in der theore­tischen Physik als AKLT-Modell bekannt ist.“

„Der Clou an dem Versuch war, dass wir die Ränder des Systems speziell zugeschnitten haben“, sagt Hirthe. Die beiden Beine der Quanten-Leiter waren um ein Atom gegen­ein­ander verschoben. So ließen sich die halb­zahligen Spins der Atome diagonal versetzt zu Einheits­zellen kombinieren. Die Folge dieser Gestalt: An beiden Enden des Systems „baumelten“ einzelne Spins ohne direkten Partner – im Fachjargon Edge States oder Rand­zustände genannt.

„Solche Spins und ihre magne­tischen Momente können ohne zusätz­lichen Energie­aufwand verschiedene Orientierungen annehmen“, erklärt Bourgund. Dadurch verleihen sie dem System charakte­ristische, auf der besonderen Symmetrie beruhende Eigenschaften – die typischen Kennzeichen der Haldane-Phase. Zum Vergleich schufen die Forscher auch eine triviale topo­logische Phase ohne Rand­zustände.

Um die Merkmale der beiden Phasen zu analysieren, maßen die Wissen­schaftler unter dem Quanten­gas­mikroskop die Magne­ti­sierung sowohl der einzelnen Spins als auch des gesamten Systems aus allen Atomen entlang eines gedanklichen Fadens. Nur so war es möglich, die vorher­gesagte verborgene innere Ordnung zu finden. „Unsere Ergebnisse bestätigen die erwarteten topo­lo­gischen Eigen­schaften sowohl des Gesamt­systems als auch der Rand­zustände“, stellt Hilker fest. „Das zeigt: Wir haben die komplexe Struktur durch ein einfaches System für Messungen zugänglich gemacht.“

Durch ihre Resultate haben die Forscher nicht nur die Basis gelegt, um theoretische Vorhersagen zu topo­lo­gischen Phasen experi­mentell zu überprüfen. Ihre neuen Erkenntnisse könnten künftig auch eine praktische Anwendung finden – in Quanten­computern. Deren Funktion beruht auf Qubits, grund­legenden Rechen­einheiten in Gestalt von Quanten­zuständen. Das Manko bei der technischen Realisierung liegt bislang in deren geringer Stabilität: Verlieren die Qubits ihren Wert, so gehen auch die Daten verloren. Ließen sie sich durch topo­logische Phasen darstellen, die wegen ihrer engen Bindung an eine grund­legende Symmetrie recht robust gegenüber äußeren Stör­ein­flüssen sind, könnte dies das Rechnen mit einem Quanten­computer deutlich verein­fachen.

MPQ / RK

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