Topologische Phase in Spinketten nachgewiesen
Quantenmechanischer Kniff ermöglicht Vermessung der Haldane-Phase.
Materie tritt in unterschiedlichen Phasen auf, die üblicherweise ineinander übergehen können. Bei manchen Materialien existieren allerdings Phasen, zwischen denen ein Übergang nicht möglich ist, da sie durch eine bestimmte Form von Symmetrie geschützt sind. Nur durch Aufhebung der Symmetrie ist ein Phasenübergang möglich. Physiker sprechen in solchen Fällen von topologischen Phasen. Die Erforschung solcher Materiezustände hat in den vergangenen Jahren zu einem tieferen Verständnis der Struktur von Quantensystemen geführt.
Bislang waren solche Eigenschaften fast nur für theoretische Modelle und Berechnungen oder durch indirekte Messungen an Festkörpern zugänglich. Doch jetzt ist es einem Forscherteam am MPI für Quantenoptik in Garching gelungen, eine besondere, beispielhafte Art von topologischer Phase im Labor zu erzeugen und experimentell zu analysieren. Die Wissenschaftler unter der Leitung von Immanuel Bloch und Timon Hilker schufen eine Haldane-Phase. Sie ist nach dem britischen Physiker Duncan Haldane benannt, der die topologischen Phasen von Quantensystemen erstmals beschrieben hat und dafür 2016 gemeinsam mit zwei weiteren Forschern den Physik-Nobelpreis erhalten hat.
Haldane richtete seinen Blick unter anderem auf die mögliche Existenz einer topologischen Phase in einer Kette aus antiferromagnetischen Spin-1-Teilchen. In einem antiferromagnetischen Material bevorzugen die Spins in ihrer direkten Umgebung Spins mit einer anderen Drehrichtung. Das kann zu einer periodischen Ordnung der Spins führen, von der aber in Spin-1-Systemen bei klassischen Messungen nichts zu sehen ist.
Die theoretische Vorhersage war, dass es trotzdem eine Ordnung gibt, die jedoch verborgen ist. Um sie zu erkennen, müssten alle Spins einzeln und gleichzeitig vermessen werden – was in Festkörpern nicht möglich ist. Die Forscher am MPQ nutzten künstliche Materialen, bei denen die Spins viel weiter voneinander entfernt sind. Darin stellten sie eine Spin-1-Kette mit den von Haldane beschriebenen Merkmalen her.
Bisher war das nur schwer zu realisieren. Deshalb griff das Team zu einem Trick. „Wir erzeugten eine Spin-1-Kette auf indirekte Weise, indem wir sie aus Spins mit dem Wert ½ aufbauten, von denen wir je zwei addierten“, erklärt Dominik Bourgund vom MPQ. Auf diese Weise entstanden Zellen mit ganzzahligem Spin, die kettenförmig aufgereiht waren.
Um diese besondere Struktur zu realisieren, nutzte das Team ein Quantengasmikroskop. Mit einer solchen Vorrichtung lassen sich beispielsweise die magnetischen Eigenschaften einzelner Atome untersuchen, die zuvor auf bestimmte Weise angeordnet wurden. Die Wissenschaftler sprechen daher auch von einem Quantensimulator, mit dem Materie aus ihren elementaren Bausteinen künstlich aufgebaut wird. Dazu nutzen die Forscher stehende Wellen aus Laserlicht, die eine Art Gitter für Atome formen. Dieses Gitter wird dann mithilfe von weiteren Lasern und unzähligen winzigen, beweglichen Spiegeln in die gewünschte Form gebracht.
„Für die Experimente zur topologischen Haldane-Phase brachten wir Atome in ein solches zweidimensionales optisches Gitter ein“, berichtet Sarah Hirthe vom MPQ. „Im Vakuum und bei einer Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt ordneten sich die Atome dann exakt in der vom Licht vorgegebenen Weise an.“ Die Forscher wählten eine Gitterstruktur, die die Atome zusammen mit ihren Spins in die Gestalt einer Leiter brachten – mit zwei „Holmen“ und dazwischenliegenden „Sprossen“.
„Die Sprossen dieser Fermi-Hubbard-Leiter verbanden jeweils zwei atomare Spins zu Einheitszellen mit dem Spin 1“, erklärt Bourgund. „Bei dieser Anordnung orientierten wir uns an einem Konzept, das in der theoretischen Physik als AKLT-Modell bekannt ist.“
„Der Clou an dem Versuch war, dass wir die Ränder des Systems speziell zugeschnitten haben“, sagt Hirthe. Die beiden Beine der Quanten-Leiter waren um ein Atom gegeneinander verschoben. So ließen sich die halbzahligen Spins der Atome diagonal versetzt zu Einheitszellen kombinieren. Die Folge dieser Gestalt: An beiden Enden des Systems „baumelten“ einzelne Spins ohne direkten Partner – im Fachjargon Edge States oder Randzustände genannt.
„Solche Spins und ihre magnetischen Momente können ohne zusätzlichen Energieaufwand verschiedene Orientierungen annehmen“, erklärt Bourgund. Dadurch verleihen sie dem System charakteristische, auf der besonderen Symmetrie beruhende Eigenschaften – die typischen Kennzeichen der Haldane-Phase. Zum Vergleich schufen die Forscher auch eine triviale topologische Phase ohne Randzustände.
Um die Merkmale der beiden Phasen zu analysieren, maßen die Wissenschaftler unter dem Quantengasmikroskop die Magnetisierung sowohl der einzelnen Spins als auch des gesamten Systems aus allen Atomen entlang eines gedanklichen Fadens. Nur so war es möglich, die vorhergesagte verborgene innere Ordnung zu finden. „Unsere Ergebnisse bestätigen die erwarteten topologischen Eigenschaften sowohl des Gesamtsystems als auch der Randzustände“, stellt Hilker fest. „Das zeigt: Wir haben die komplexe Struktur durch ein einfaches System für Messungen zugänglich gemacht.“
Durch ihre Resultate haben die Forscher nicht nur die Basis gelegt, um theoretische Vorhersagen zu topologischen Phasen experimentell zu überprüfen. Ihre neuen Erkenntnisse könnten künftig auch eine praktische Anwendung finden – in Quantencomputern. Deren Funktion beruht auf Qubits, grundlegenden Recheneinheiten in Gestalt von Quantenzuständen. Das Manko bei der technischen Realisierung liegt bislang in deren geringer Stabilität: Verlieren die Qubits ihren Wert, so gehen auch die Daten verloren. Ließen sie sich durch topologische Phasen darstellen, die wegen ihrer engen Bindung an eine grundlegende Symmetrie recht robust gegenüber äußeren Störeinflüssen sind, könnte dies das Rechnen mit einem Quantencomputer deutlich vereinfachen.
MPQ / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
P. Sompet et al.: Realizing the symmetry-protected Haldane phase in Fermi–Hubbard ladders, Nature, online 1. Juni 2022; DOI: 10.1038/s41586-022-04688-z - Quanten-Vielteilchensysteme (I. Bloch), Max-Planck-Institut für Quantenoptik, Garching