17.11.2014

Topologisches Haldane-Modell im Quantensimulator

Ultrakalte Kaliumatome in wabenförmigem optischen Gitter aus Laserstrahlen bilden neue Materialklasse.

ETH-Professor Tilman Esslinger und seine Gruppe am Institut für Quanten­elek­tronik unter­suchen künst­liches Graphen. Dessen Waben­struktur besteht nicht aus Kohlen­stoff, sondern aus Licht. Die Forscher richten dazu mehrere Laser­strahlen so aus, dass sich stehende Wellen bilden und zu Sechs­ecken addieren. Dieses optische Gitter legen sie über Kalium­atome, die sie in einer Vakuum­kammer auf Tempe­raturen nahe dem absoluten Nullpunkt abgekühlt hatten. Gefangen in der hexa­gonalen Struktur verhalten sich die Kalium­atome wie die Elektronen in Graphen.

Abb.: Ein Möbiusband – benannt nach August Ferdinand Möbius, geb. 17. November 1790 –, lässt sich nicht ohne Schnitt in ein normales Band trans­formieren. (Bild: G. Jotzu, ETHZ)

„Wir arbeiten mit Atomen in Laserstrahlen, weil wir damit ein System haben, das sich besser kontrollieren und einfacher beobachten lässt als das Material selbst“, erklärt Gregor Jotzu. Da es den Forschern vor allem darum geht, quanten­mecha­nische Wechsel­wirkungen nachzuvollziehen, bezeichnen sie ihr System auch als Quanten­simulator.

Mit Hilfe dieser Testanordnung gelang ihnen jetzt die Realisation einer Idee, die der britische Physiker Duncan Haldane 1988 veröffentlicht hatte. Festk­örper­physiker hätten gehofft, sie könnten Haldanes Modell mit realem Graphen verwirklichen – bisher vergeblich, sagt Esslinger: „Nun gelang uns dies mit einem anderen System. Das ist ein sehr schöner und auch neuer Schritt.“

Haldane hatte eine neue Klasse von Materialien mit ungewöhn­lichen Eigen­schaften vorge­schlagen, die durch deren Topologie bestimmt sind. Mathe­matisch betrachtet haben Objekte die gleiche Topologie, wenn man sie durch stetiges Verformen wie Stauchen oder Ziehen ineinander umformen kann. Braucht es für die Transformation einen Schnitt, sind die Objekte topo­logisch verschieden. So lässt sich eine Möbius­schleife nicht in ein normales Band verwandeln, ohne sie zu zerschneiden und neu zusammen­zufügen.

Im Haldane-Modell hat das betrachtete System nicht mehr die gleiche Topo­logie wie in gewöhnlichen Materi­alien. Um dieses System zu reali­sieren, braucht es eine besondere „Zutat“, einer Symmetrie­brechung der Zeitumkehr. Theore­tisch ließe sich diese im realen Material mit Magnet­feldern realisieren. Allerdings müssten die Magnete dazu kleiner sein als der Abstand von Atomen in einem Festkörper, rund 0,1 Nanometer. Sie müssten demnach extrem präzis platziert sein.

Im Quantensimulator jedoch können die Forscher die Zeit­umkehr mit einem relativ einfachen Trick brechen. „Wir schütteln das ganze System im Kreis“, sagt Jotzu. Dazu setzen die Forscher kleine Piezo­kristalle auf Spiegel, die das Laser­licht reflektieren. Dann lassen sie die Piezo­kristalle vibrieren. „Das ist hörbar wie ein hoher Flötenton“, so der Physiker. Bei der richtigen Frequenz und Stärke fallen die Atome nicht aus dem Laser­gitter, wie man erwarten könnte, sondern bleiben gefangen.

Bewegen die Forscher das System nur auf einer Linie hin und her, verhalten sich die Atome weiterhin normal. Doch beim Schütteln im Kreis passiert es: „Die Teilchen erleben eine verdrehte Welt“, erklärt Esslinger, so wie sich das Fort­bewegen auf einer Möbius­schleife von demjenigen auf einem normalen Band unter­scheiden würde. Die Topologie und damit die Eigen­schaften des Systems haben sich geändert, als wäre es ein völlig anderes, neues Material.

Dass sie das topologische Haldane-Modell experi­mentell realisieren konnten, habe sie überrascht, sagt der ETH-Professor. „Etwas aus der Hüfte geschossen“ sei der Versuch gewesen. Und Esslinger warnt vor voreiligen Schlüssen: „Wir selbst stellen keine neuen Materi­alien her, wir testen nur Konzepte.“ Dabei sind die Experimente mit Laser und ultra­kalten Atomen den Computer­simulationen überlegen, wenn ein System zu komplex für die Berechnungen ist. „Damit können wir die Eigen­schaften von Materi­alien untersuchen, die es noch gar nicht gibt“, sagt Jotzu.

Ob sich das jetzt im Quantensimulator erhaltene Resultat dereinst auf reales Material übertragen lässt, ist noch ungewiss. Doch Ideen gibt es bereits: Würde man auf echtes Graphen zirkum­polari­siertes Licht schicken, könnte das eine ähnliche Wirkung haben, wie wenn man künstliches Graphen im Kreis schüttelt. Diesen Vorschlag hätten zwei japanische Kollegen gemacht, als sie an der ETH zu Besuch waren, erzählt Esslinger. Damit könnte es beispiels­weise künftig möglich werden, mit Licht­steuerung aus einem leitenden Material einen Isolator zu machen und umgekehrt. Die elektro­nischen Anwendungen für ein derartiges System, das besonders schnell reagieren könnte, wären äußerst vielfältig.

ETHZ / OD

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