14.09.2020

Treibhausgas verdüstert Stimmung unter Astronomen

Forscher analysieren sowohl Einfluss auf Beobachtungsqualität als auch forschungsbedingten CO2-Ausstoß.

Die Klimakrise ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Nun berichten Astronomen, auch Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Astronomie, von den Wechselwirkungen zwischen Astronomie und anthropogenem Klimawandel. Sie untersuchten dabei zum einen die Menge der Emissionen fossiler Brennstoffe, die im Forschungsbetrieb des Instituts, aber auch bei Konferenzen und in Observatorien entstehen. Auch die negativen Folgen des menschen­gemachten Klima­wandels für den astronomischen Beobachtungsbetrieb haben sich die Forscher näher angesehen. 
 

Abb.: Das Very Large Telescope in Aktion (Bild: ESO / S. Brunier)
Abb.: Das Very Large Telescope in Aktion (Bild: ESO / S. Brunier)

Der Klimawandel ist ein wichtiges Forschungsthema der Astronomie. Unser Schwesterplanet Venus ist ein deutliches Beispiel für einen extrem starken Treibhauseffekt, in jenem Falle mit lebens­feindlichen Oberflächen­temperaturen von mehr als 460 Grad Celsius. Und die Suche nach Planeten, die andere Sterne als die Sonne umkreisen, in Verbindung mit den unvorstellbar großen Abstandsskalen in der Astronomie, unterstreichen, dass es für uns Menschen keinen „Planeten B“ gibt.

Aber die Astronomen haben noch einen direkteren eigenen Bezug zum irdischen Klimawandel: Ihre Beobachtungen werden durch die Klimakrise beeinflusst, und die Astronomie selbst ist wiederum für CO2-Emissionen verantwortlich, die zur Klimakrise beitragen.

Jetzt hat eine Gruppe von Astronomen sich diese direkte Verbindung zwischen astronomischer Forschung und Klimakrise näher angeschaut. Die Ergebnisse erscheinen in sechs Artikeln in der Zeitschrift Nature Astronomy. Die Idee für die Artikel­serie entstand aus Diskussionen aus Anlass des Treffens „Astronomy for Future“ auf der diesjährigen (virtuellen) Jahres­konferenz der Europäischen Astronomischen Gesellschaft.

Wer Emissionen reduzieren will, muss als erstes wissen, wo sie konkret in welchen Mengen anfallen. In einem der Artikel hat ein Team von Astronomen des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA) in Heidelberg für das MPIA genau solch eine Zusammenstellung vorgenommen und die CO2-Emissionen für das Jahr 2018 erfasst. Sie stellten fest, dass Inter­kontinental­flüge – zur Teilnahme an Konferenzen oder zur Durch­führung von Beobachtungs­programmen an Observatorien in Nord- und Südamerika – und der Strom­verbrauch von Super­computern den weitaus größten Beitrag zu den Emissionen leisten.

Alles in allem kamen sie auf 18 Tonnen Kohlendioxid pro Wissenschaftler allein für Forschungs­aktivitäten. Zum Vergleich: Das ist fast doppelt so viel wie die pro-Kopf-Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland und mehr als zweieinhalb Mal soviel wie das deutsche Klimaziel 2030 mit 6,8 Tonnen pro Person und Jahr.

Knud Jahnke, Gruppenleiter am MPIA und Hauptautor des Artikels, sagt: „Auch wir Astronomen sind für unsere Emissionen durch fossile Brennstoffe verantwortlich. Aber durch persönliche Entscheidungen allein können wir nur einen geringen Beitrag zur Verringerung leisten. Wir müssen daher erst einmal herausfinden, woher die Emissionen stammen. Dann ergibt sich, wie wir auf Institutsebene, auf der Ebene der Gemeinschaft der Astronomen insgesamt oder auf gesamt­gesellschaftlicher Ebene Maßnahmen ergreifen können, die zu einer wesentlichen Verminderung führen.“

Der Artikel liefert auch Empfehlungen, wie astronomische Institute wie das MPIA ihre Emissionen reduzieren könnten. Eine davon ist die Verlagerung von Super­computern an Standorte, an denen Strom überwiegend aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird und die Kühlung einfacher ist – Island ist eine mögliche Wahl. Die andere ist eine drastische Beschränkung der forschungs­bezogenen Flüge.

Der Frage astronomischer Fachkonferenzen, zu denen üblicherweise zahlreiche Teilnehmer mit dem Flugzeug zu ein und demselben Veranstaltungsort anreisen, behandelt ein weiterer der sechs Artikel, bei dem Jahnke Mitautor ist. Der Artikel vergleicht die beiden letzten Jahrestagungen der Europäischen Astronomischen Gesellschaft: Das Treffen 2019 in Lyon, Frankreich, eine herkömmliche Vor-Ort-Konferenz mit mehr als 1200 Teilnehmern, und das Treffen 2020, das aufgrund der weltweiten Pandemie als virtuelle Veranstaltung mit fast 1800 Teilnehmern stattfand.

Dass die Emissionen des Online-Meetings ungleich geringer sind, dürfte niemanden überraschen. Die Zahl selbst vielleicht doch: Die Forscher fanden heraus, dass das Online-Meeting weniger als ein Tausendstel der Kohlen­dioxid­emissionen des herkömmlichen Vor-Ort-Treffens produzierte.

Auch Astronomen hat die Pandemie dazu gezwungen, mit Online-Formaten zu experimentieren. Und während sich für einige Konferenz­formate, wie etwa Plenarvorträge, problemlos Online-Versionen organisieren lassen, gibt es leider noch keinen effektiven Ersatz für die persönliche Vernetzung, die persönlichen Kontakte, die eine traditionelle Konferenz ermöglicht. Leonard Burtscher von der Universität Leiden, Erstautor des Artikels, sagt: „Eine klima­freundliche Lösung könnte darin bestehen, eine Konferenz an mehreren Orten gleichzeitig stattfinden zu lassen, so dass alle Teilnehmer mit dem Zug reisen können. Die Plenar­vorträge würden online stattfinden. Aber an jedem der separaten Konferenz-Orte wären persönliche Kontakte zwischen den Wissenschaftlern möglich.“

Während sich diese beiden Artikel auf die Auswirkungen der astronomischen Forschungs­tätigkeiten auf den Klimawandel konzentrieren, betrachtet ein dritter Artikel das Thema von der anderen Seite: Dort haben die Astronomen das Ausmaß untersucht, in dem der menschen­gemachte Klimawandel die Astronomie beeinträchtigt, genauer gesagt die Qualität der astronomischen Beobachtungen.

Als Untersuchungs­gegenstand wählten sie einen der wissenschaftlich erfolgreichsten modernen Beobachtungs­standorte: das Paranal-Observatorium der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile. Für den Paranal liegt ein umfangreicher Satz von Wetterdaten vor, der in den letzten drei Jahrzehnten von entsprechenden Messgeräten gesammelt wurde. Der Standort Paranal hat dem in den letzten vier Jahrzehnten einen Anstieg der Durchschnitts­temperatur um 1,5 Grad Celsius verzeichnet, was leicht über dem weltweiten Durchschnitts­wert eines Anstiegs von einem Grad seit der vor­industriellen Ära liegt.

Auf technischer Ebene hat der Anstieg zu Schwierigkeiten bei der Kühlung der Teleskope geführt. Die Kuppeln des Very Large Telescope (VLT) am Paranal werden tagsüber auf die zu erwartenden Nacht­temperaturen gekühlt, um Luft-Turbulenzen beim Öffnen der Kuppel bei Sonnenuntergang zu vermeiden. Solche Turbulenzen würden die Beobachtungen stören. Sind die Temperaturen bei Sonnen­untergang wärmer als 16 Grad Celsius, ist eine vollständige Kühlung unmöglich. Das Kühlsystem stößt dann an seine Grenzen. Eine Beeinträchtigung der Beobachtungs­qualität ist in diesen Fällen unvermeidbar. Solche wärmeren Tage sind mit steigender Durchschnitts­temperatur häufiger geworden.

Nicht zuletzt hängt die Beobachtungs­qualität auch von allgemeineren Eigenschaften der Atmosphäre ab. Geringe Luft­feuchtigkeit beispielsweise ist für Infrarot­beobachtungen entscheidend. Paranal ist derzeit einer der trockensten Orte der Erde. Für andere Arten von Beobachtungen spielen Luft­turbulenzen eine Rolle, die das aus dem Weltraum einfallende Licht mittelbar ein wenig ablenken. Paranal liegt unter einer Jetstream-Schicht, deren Stärke mit der Ausprägung von El-Niño-Ereignissen zusammenhängt. Während die verfügbaren Daten bisher keine signifikanten Entwicklungs­trends zeigen, wird erwartet, dass die Stärke von El-Niño-Ereignissen in den nächsten Jahrzehnten mit dem Fortschreiten der Klimakrise zunehmen wird.

Für zukünftige Teleskope wie das Extremely Large Telescope (ELT) mit seinem 39-Meter-Spiegel, das derzeit in Sichtweite vom Paranal gebaut wird, werden die Astronomen diese und andere Effekte berück­sichtigen müssen. Vorsichtshalber sollten sie darauf achten, dass auch ungünstigere Entwicklungen wie ein Anstieg um rund vier Grad Celsius im nächsten Jahrhundert, mit entsprechenden Auswirkungen auf El-Niño-Ereignisse und Wetterlagen mit höherer Luft­feuchtigkeit, bei den Planungen als mögliche Szenarien berück­sichtigt werden.

Mit den jetzt veröffentlichten Artikeln hoffen die Astronomen, innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft nötige Veränderungen anzustoßen. Faustine Cantalloube vom MPIA, Haupt­autorin des Artikels über die Auswirkungen der Klimakrise auf astronomische Beobachtungen, sagt: „Als Astronomen haben wir das große Glück, auf einem faszinierenden Forschungs­gebiet zu arbeiten. Aber mit unserer einzigartigen Perspektive auf das Universum haben wir auch eine Verantwortung dafür, sowohl unsere Kollegen als auch die breite Bevölkerung auf die katastrophalen Folgen des anthropogenen Klimawandels für unseren Planeten und unsere Gesellschaft hinzuweisen.“

Handeln sollten jetzt anhand der veröffentlichten Informationen sowohl die Wissenschaftler als auch all jene, die das Umfeld für wissenschaftliche Forschung schaffen. Die Artikel weisen einen Weg für die nächsten Schritte, wie wir einerseits die astronomische Forschung weiterführen können, die mit ihren einzig­artigen Möglichkeiten den Planeten Erde und unsere Umwelt in einem größeren Zusammenhang betrachtet. Gleichzeitig zeigen sie, wie wir die damit verbundenen Emissionen deutlich reduzieren können.

MPIA / DE

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