11.09.2009

Tunneleffekte in Salzsäure

Nicht nur aus den äußersten, auch aus inneren Orbitalen können Elektronen ins Kontinuum tunneln

Nicht nur aus den äußersten, auch aus inneren Orbitalen können Elektronen ins Kontinuum tunneln.

Der Tunneleffekt eröffnet Elektronen mehr Fluchtwege als bisher gedacht. Vereinbar mit dem Gesetzen der Quantenmechanik konnten bisher die am schwächsten gebundenen Elektronen mit infraroten Laserpulsen aus ihren Orbitalen tunneln. Deutsche und kanadische Physiker entdeckten nun, dass dieser Weg sogar Elektronen auf weiter innen liegenden Umlaufbahnen offensteht. Dieses überraschende Ergebnis könnte nicht zur Verfeinerung quantenmechanischer Molekülmodelle, sondern auch zu einer Optimierung von Rastertunnelmikroskopen führen.

   

 

Abb. 1 und 2: Das elektrische Feld eines Laserpuls verändert das Bindungspotenzial eines HCl-Moleküls. Dabei können die Elektronen von den beiden höchsten besetzten Moleküloribitalen in das Kontinuum tunneln. (Bilder: National Research Council of Canada)

"Wir konnten einen Tunneleffekt von einem niedriger liegenden Zustand in Salzsäure beobachten", schreiben Reinhard Dörner von der Universität Frankfurt und seine kanadischen Kollegen vom Joint Laboratory for Attosecond Science der University of Ottawa. Dazu schossen sie intensive, infrarote Laserpulse (2x1014 Watt/cm2) auf die Salzsäure-Moleküle. Mit einer Wellenlänge von 800 Nanometern reichte deren Energie nicht zu einer direkten Ionisation aus, so dass den Elektronen nur der Weg über den Tunneleffekt übrigblieb. Der Großteil der getunnelten Elektronen stammt – wie erwartet – aus dem höchsten besetzten Molekülorbital (HOMO). Die Bindungsenergie dieses ungepaarten 3p-Orbitals des Chlor-Atoms liegt bei 12,747 Elektronenvolt (eV).

Doch etwa zehn Prozent der Elektronen haben ihren Ursprung in dem nächst tiefer gelegenen Orbital (HOMO-1). Obwohl die Elektronen dieser Umlaufbahn, geformt aus dem 1s-Orbital des Wasserstoffs und einem 3p-Orbital des Chloratoms, eine höhere Ionisationsenergie von 16,265 eV aufweisen, konnten sie vereinzelt durch den Potenzialberg tunneln und in das Kontinuum übergehen.

 Um den Ursprung der unterschiedlichen Elektronen ausmachen zu können, diente den Physikern das Fragmentationsverhalten des Salzsäure-Moleküls. Denn das Tunneln des äußersten HOMO-Elektrons hatte keinen direkten Einfluss auf die ionische Bindung und folglich blieb ein einfach geladenes HCl-Ion zurück. Gelang jedoch dem tiefer gelegenen HOMO-1-Elektron die Flucht, wurde die ionische Bindung stark geschwächt. Die Folge: Kein komplettes HCl-Ion, sondern nur die Bruchstücke konnten die Physiker mit der in Frankfurt entwickelten COLTRIMS-Methode nachweisen (Cold Target Recoil Ion Momentum Spectrometer).

Dieses Experiment zeigt, dass selbst der weitgehend verstandene Tunneleffekt noch für Überraschungen gut ist. Neben dem reinen Erkenntnisgewinn könnte das Tunneln von fester gebundenen Elektronen durchaus Relevanz für technischen Anwendungen haben. Denn die Rastertunnelmikroskopie beruht auf diesem Phänomen und die Messung der entsprechenden Tunnelströme. Diese Analysen könnten nun weiter verfeinert werden.

Jan Oliver Löfken


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