Ultraschnelle Kontrolle von Magnetismus
Anregung von Gitterschwingungen in einem Kristall beeinflusst magnetische Eigenschaften einer atomar dünnen Schicht auf seiner Oberfläche.
Übergangsmetalloxide wie Manganite, Kuprate oder Nickelate haben unter Wissenschaftlern sehr viel Aufmerksamkeit erregt, da sich ihre elektrischen und magnetischen Eigenschaften bereits durch kleinste Veränderungen äußerer Parameter wie Temperatur und elektrische oder magnetische Felder verändert lassen. Aber es gibt auch eine starke Korrelation zwischen der Anordnung der Atome im Kristallgitter und diesen Eigenschaften, so dass gezielte Strukturveränderungen es ermöglichen, den elektronischen und magnetischen Zustand dieser Materialien zu manipulieren.
Abb.: Die magnetische Ordnung, also die antiparallele Anordnung der Spins, im NdNiO3-Film, der auf einem LaAlO3-Substratkristall aufgebracht ist. Ein kurzer mittelinfraroter Laserpuls löst Schwingungen im Substrat aus, dargestellt durch die verschmierten, roten Sauerstoffatome. Die Bewegung der Atome führt zu einem Schmelzen der magnetischen Ordnung im Film, welches an der Grenzfläche zwischen den beiden Materialien beginnt und sich fortschreitend ins Innere des Films ausbreitet. (Bild: J.M. Harms, MPSD)
In den vergangenen Jahren haben Forscher begonnen, Heterostrukturen zu untersuchen, die aus verschiedenen Oxidmaterialien aufgebaut sind. Die Eigenschaften eines atomar dünnen Oxidfilms auf einem Substrat können sich stark von denen des gleichen Materials als Volumenkörper unterscheiden. Das liegt an verschiedenen Grenzflächeneffekten, unter anderem an der mechanischen Verspannung, die zwischen dem Substrat und dem Film entsteht. Es macht Heterostrukturen aus komplexen Materialien zu einem vielseitigen Werkzeug, um Eigenschaften von Materialien und Bauelementen maßzuschneidern. Mithilfe von extrem kurzen Röntgenpulsen eines Freie-Elektronen-Lasers hat nun ein internationales Forscherteam entdeckt, dass die vorhandene magnetische Ordnung in der dünnen Schicht zunächst an ihrer Grenzfläche zum Substrat aufschmilzt und sich dieses Schmelzen auf ultrakurzen Zeitskalen fortschreitend in das Innere des Films ausbreitet.
„Wir haben die Möglichkeit untersucht, die Eigenschaften eines dünnen Films dynamisch zu kontrollieren, indem wir die atomare Struktur des Substrats mit Licht verändert haben“, sagt Andrea Caviglia, der am Kavli Institute of Nanoscience an der TU Delft tätig ist. Bei sehr tiefen Temperaturen ist Neodymnickelat (NdNiO3) ein antiferromagnetischer Isolator, die Spins der Valenzelektronen ordnen sich also in einem antiparallelen Muster an, so dass sich keine makroskopische Magnetisierung ergibt. Oberhalb der Temperatur von 200 K wird das Material ein Metall und gleichzeitig verschwindet die antiferromagnetische Anordnung der Spins. Wenn ein NdNiO3-Film epitaktisch auf ein Lanthanaluminat-Substrat (LaAlO3) aufgetragen wird, führen die leicht unterschiedlichen Gitterkonstanten der beiden Materialien zu einer statischen Verspannung innerhalb des Films, die zu einer Verringerung der Isolator-Metall-Übergangstemperatur von 200 K auf etwa 130 K führt.
Interessanterweise lassen sich die elektrischen Eigenschaften des NdNiO3-Films auf ultraschnellen Zeitskalen verändern, indem Gitterschwingungen im LaAlO3-Substrat angeregt werden. Das hatte bereits eine frühere Untersuchung gezeigt. „In jenem Experiment hat ein Laserpuls mit einer Wellenlänge von 15 Mikrometer, also im mittleren Infrarotbereich, eine Schwingungsmode im Substrat ausgelöst. Im Nickelatfilm haben wir dann eine drastische Veränderung der elektrischen Leitfähigkeit beobachtet, indem wir die Reflektivität der Probe mit einem Terahertz-Puls, das heißt mit einem Puls im Ferninfrarotbereich, vermessen haben“, so Caviglia.
Jetzt untersuchte die Gruppe, welchen Effekt diese Substratanregung auf die magnetischen Eigenschaften des Nickelatfilms hat. Um diese Veränderungen mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung zu messen, verwendete das Team die zeitaufgelöste Röntgenbeugung an der Linac Coherent Light Source (LCLS), einem Freie-Elektronen-Laser am US-Forschungszentrum SLAC in Kalifornien. Die Femtosekunden-Röntgenpulse der LCLS werden von dem Film gebeugt und tragen mit einem Zeitstempel versehene Signaturen der Spin-Anordnung des Materials, welche von den Forschern dann benutzt wurden, um die räumlich-zeitliche magnetische Dynamik zu rekonstruieren.
Zunächst fanden die Wissenschaftler heraus, dass die magnetische Ordnung auf der Zeitskala weniger Pikosekunden schmilzt, also auf derselben Zeitskala wie der bereits früher beobachtete Isolator-Metall-Übergang. Das deutet auf einen Zusammenhang zwischen beiden Prozessen. „Noch bemerkenswerter ist aber die Beobachtung des Beugungsexperimentes, dass das magnetische Schmelzen im Nickelat örtlich begrenzt an der Grenzfläche zum Substrat beginnt und sich von dort, vergleichbar mit einer Welle, in den NdNiO3-Film hinein ausbreitet“, sagte Michael Först vom MPI für Struktur und Dynamik der Materie. „Die hohe Geschwindigkeit, mit der sich diese Wellenfront ausbreitet, legt nahe, dass die Dynamik durch lokale Veränderungen der elektronischen Struktur an der Grenzfläche angetrieben wird.“
Tatsächlich unterstützt ein theoretisches Modell dieses Bild, das die Erzeugung frei beweglicher Ladungsträger an der Heterogrenzfläche durch die Gitterschwingungen des Substrats annimmt. Diese Ladungen bringen wahrscheinlich die antiferromagnetische Ordnung durcheinander, während sie sich in den Film hinein ausbreiten.
MPSD / RK