Tanzende Blasen beim Vakuumzerfall
Quantenmaschine modelliert Vakuumzustände mit 5564 Qubits.
Das Universum könnte in einem falschen Vakuum gefangen sein, bis ein kosmischer Übergang zu einem stabileren echten Vakuum erfolgt. Physikerinnen und Physiker der University of Leeds, des Forschungszentrums Jülich und des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) haben diesen Vakuumzerfall modelliert und gezeigt, wie sich die Blasen des echten Vakuums bilden und interagieren. Die Ergebnisse könnten Aufschluss über die Entstehung des Universums und sein Schicksal in einigen Milliarden Jahren geben.
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Sidney Coleman, der Pionier der Quantenfeldtheorie, schlug vor fast fünfzig Jahren vor, dass das Universum möglicherweise nicht seinen stabilsten Zustand erreicht hat, sondern in einem falschen Vakuum gefangen ist. Demzufolge könnte das Universum, wie wir es kennen, kurz vor dem Übergang in einen noch stabileren, echten Vakuumzustand stehen. Ein sanfter Übergang wird das allerdings sicher nicht sein. Vielmehr könnte es zu einer katastrophalen Veränderung der Struktur des Universums kommen. „Wir sprechen von einem Prozess, durch den das Universum seine Struktur vollständig verändern würde. Die fundamentalen Konstanten könnten sich augenblicklich ändern, und die Welt, wie wir sie kennen, würde wie ein Kartenhaus einstürzen“, sagt Zlatko Papić von der Universität von Leeds.
Den Zeitrahmen vorherzusagen, bleibt jedoch eine Herausforderung, die sich wahrscheinlich über Millionen oder sogar Milliarden von Jahren erstreckt. „Was wir wirklich brauchen, sind kontrollierte Experimente, um diesen Prozess zu beobachten und seine Zeitskalen zu bestimmen“, so Papić. Nun konnte die internationale Forschergruppe diesen Prozess des Vakuumzerfalls modellieren. Durch die Neudefinition unseres Verständnisses der Quantendynamik könnte diese Arbeit dazu beitragen, die Quanteninformatik voranzubringen und somit ihr Potenzial, einige der schwierigsten Probleme im Zusammenhang mit der grundlegenden Physik des Universums zu lösen.
Viele grundlegende Fragen zum Mechanismus des Vakuumzerfalls sind bis heute offen geblieben, zum Beispiel wie sich die Blasen des echten Vakuums bilden, bewegen, interagieren und ausbreiten. Um diesen schwer fassbaren Mechanismus zu verstehen, mussten die Forschenden Strategien entwickeln, um ihn im Labor zu modellieren. Zu diesem Zweck verwendeten sie eine Art Quantencomputer, der für die Lösung komplexer Optimierungsprobleme entwickelt wurde, also für die Suche nach der besten Lösung aus einer Reihe von möglichen Lösungen. Diese Maschine, eine von D-Wave Quantum entwickelte Quantenglühanlage (Englisch: quantum annealer) mit 5564 Qubits, ermöglichte es dem Team, die Vakuumzustände mithilfe von Qubits zu modellieren.
„Indem wir diese 5564 Qubits zunächst in bestimmte Konfigurationen brachten, die das falsche Vakuum darstellen, konnten wir die Bedingungen sorgfältig kontrollieren, um die Bildung von Blasen auszulösen, die das echte Vakuum modellieren“, sagt Jean-Yves Desaules vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA). „Die Blasenbildung ist der erste Schritt des Vakuumzerfalls. Wir freuen uns sehr, dass wir dies in Echtzeit beobachten konnten.“ Die Experimente veränderten die Sichtweise des Teams auf den Mechanismus des Vakuumzerfalls. Im Gegensatz zu typischerweise untersuchten Regelwerken sahen sie, dass große quantisierte Blasen im Wesentlichen in Isolation eingefroren waren.
Die einzige Möglichkeit für solch große Blasen, sich weiterzuentwickeln, ist die Wechselwirkung mit einer benachbarten Blase. Eine der beiden Blasen kann dann schrumpfen, während die andere wächst. Und sobald eine Blase auf eine sehr kleine Größe geschrumpft ist, beginnt sie frei zu „tanzen“. „Unsere Ergebnisse stellen wahrscheinlich ein neues physikalisches Bild der Dynamik des Vakuumzerfalls dar. Wir könnten uns den Mechanismus als ein heterogenes Gas von Blasen vorstellen, in dem die größeren oder schwereren Blasen direkt miteinander interagieren, während die kleineren, leichteren Blasen frei umherhüpfen“, sagt Desaules.
Die Wissenschaftler unterstreichen das Potenzial der Quantenglühanlage für die Lösung realer, praktischer Probleme, die über den Bereich der theoretischen Physik hinausgehen. Sie sagen, ihre Studie zeigt, dass Quantenglühanlagen viel mehr können als die Optimierungsaufgaben, für die sie konzipiert wurden, da sie auch Phänomene im Zusammenhang mit der Dynamik, wie die Blasenbildung, erfassen können. „Diese Durchbrüche verschieben nicht nur die Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern ebnen auch den Weg für zukünftige Technologien, die Bereiche wie Kryptographie, Materialwissenschaften und energieeffizientes Rechnen revolutionieren könnten“, sagt Jaka Vodeb vom Forschungszentrum Jülich.
ISTA / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
J. Vodeb et al.: Stirring the false vacuum via interacting quantized bubbles on a 5,564-qubit quantum annealer, Nat. Phys., online 4. Februar 2025; DOI: 10.1038/s41567-024-02765-w - Quantendynamik und Theorie der kondensierten Materie, Institute of Science and Technology Austria (ISTA), Klosterneuburg