13.11.2003

Universelle Unordnung

Ungeordnete Materialien wie Plastik oder Glas haben überraschend ähnliche elektrische Eigenschaften. Doch die Übereinstimmung geht viel weiter als bisher gedacht.



Plastik, Glas und andere ungeordnete Materialien haben überraschend ähnliche elektrische Eigenschaften. Doch die Übereinstimmungen gehen noch viel weiter als man bisher gedacht hatte, wie Forscher der Uni Würzburg jetzt herausgefunden haben.

Ungeordnete Materialien spielen eine wichtige Rolle in unserem täglichen Leben. Unter ihnen findet man einerseits Isolatoren wie Glas oder Kunststoff, andererseits dotierte Halbleiter vor allem für die Elektronik oder ionische Leiter z. B. für Akkumulatoren und Brennstoffzellen. In ihrer Fähigkeit, einen elektrischen Gleichstrom zu leiten, weisen diese Materialien erhebliche Unterschiede auf. Setzt man sie jedoch zeitlich veränderlichen elektrischen Feldern aus, dann zeigen alle ungeordneten Materialien – ob Isolator, Halbleiter oder Leiter – universelle elektrische Eigenschaften.

Experimente mit ungeordneten Substanzen hatten immer wieder ergeben, dass man deren frequenzabhängige Leitfähigkeiten auch für unterschiedliche Temperaturen so skalieren kann, dass sie auf eine universelle Kurve fallen. Mikroskopische Eigenschaften der Substanzen scheinen dabei so gut wie keine Rolle zu spielen. Es kommt nur darauf an, dass in dem Material irgendeine Form von Unordnung herrscht. So sind in Flüssigkeiten, Gläsern und amorphen Halbleitern die Atome oder Moleküle regellos angeordnet. In dotierten kristallinen oder polykristallinen Halbleitern stören Fremdatome die Regelmäßigkeit. Und in den genannten plastischen Kristallen ist die Orientierung der Moleküle ungeordnet.

Für alle untersuchten ungeordneten Substanzen fand man, dass die frequenzabhängige Leitfähigkeit σ(ω) in einem großen Frequenzbereich bis hinauf zu einigen Megahertz einem einfachen Potenzgesetz folgte: σ(ω) ~ ω n, wobei der Exponent n einen Wert zwischen 0,6 und 1,0 hatte. Ob sich dieses seit langem bekannte „sublineare“ Verhalten auch bei höheren Frequenzen fortsetzt, war zunächst unbekannt.

Auf diese Frage haben jetzt Peter Lunkenheimer und Alois Loidl von der Universität Augsburg bei ihren Leitfähigkeitsmessungen im Giga- und Terahertzbereich eine überraschende Antwort gefunden. Für alle drei untersuchten ungeordneten Substanzen – einen ionischen Leiter, einen elektronischen Halbleiter sowie eine unterkühlte organische Flüssigkeit – änderte sich das Verhalten der Leitfähigkeit, die mit wachsender Frequenz nun schneller als linear zunahm: σ(ω) ~ ω n, wobei der Exponent n je nach Substanz zwischen 1,13 und 1,5 lag. Erst bei noch höheren Frequenzen, im fernen Infrarot, brach das universelle Verhalten ab und es zeigten sich materialtypische Eigenschaften, die auf die Anregung von Phononen zurückgingen.

Um das schon länger bekannte sublineare Verhalten der Leitfähigkeit in ungeordneten Materialien zu erklären, hat man sowohl makroskopische als auch mikroskopische Modelle entwickelt. Ein makroskopisches Modell nimmt vereinfachend an, dass das Material eine orts- aber nicht frequenzabhängige Leitfähigkeit besitzt. Daraus hat man die frequenzabhängige Gesamtleitfähigkeit des Materials berechnet, die ein sublineares Verhalten zeigte. Ähnliche Resultate hat man auch für mikroskopische Modelle gefunden, bei denen die einzelnen Ladungsträger in einem ungeordneten Potential herumhüpfen konnten. Für das von den Augsburger Forschern bei sehr hohen Frequenzen beobachtete superlineare Verhalten der Leitfähigkeit gibt es indes noch keine Erklärung.

Rainer Scharf

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