Universum enthält weniger Materie als gedacht
Verteilung der dunklen Materie mit Hilfe des schwachen Gravitationslinseneffekts beobachtet.
Über wie viel Masse verfügt das Universum und wie verteilt sich die Materie im Raum? Diese Grundfragen der Kosmologie sind entscheidend für die Rekonstruktion der Prozesse seit dem Urknall vor rund 13,8 Milliarden Jahren. Nach dem kosmologischen Standardmodell dehnte sich das Universum immer weiter aus und allmählich bildeten sich Strukturen wie zum Beispiel Galaxienhaufen. Die heutige Verteilung der Materie im Weltraum ist ein wichtiger Anhaltspunkt dafür, wie sich das Universum entwickelt hat. Mit unterschiedlichen Methoden haben Forscher versucht, die Dichte der Materie im Universum und ihre Verteilung zu bestimmen.
Verteilung der Materie im Kosmos: Helle Regionen besitzen die größte Massendichte, dunkle die geringste. Die unsichtbare dunkle Materie ist in rosa wiedergegeben. (Bild: KiDS Collaboration / H. Hildebrandt & B. Giblin / ESO)
Einen neuen Ansatz liefert nun ein internationales Team von Wissenschaftlern. Mit Hilfe des VLT Survey Telescope der Europäischen Südsternwarte in Chile beobachteten die Forscher rund 15 Millionen Galaxien am Himmel. „Dabei interessierte uns, in welche Richtung die Längsachsen der Galaxien zeigen“, erläutert Hendrik Hildebrandt vom Argelander-
Anhand des Gravitationslinseneffekts lässt sich feststellen, wo sich größere Massen in Form von sichtbarer und dunkler Materie im Universum befinden und das Licht ablenken. Kennt man den Grad der Verzerrung in einer bestimmten Region des Universums, kann man auf die Größe der Massen zurückschließen. Die Messungen führten die Wissenschaftler für unterschiedliche Regionen am Himmel durch und erstellten auf diese Weise eine Massenverteilungskarte, die Bereiche hoher und geringer Dichte ausweist.
Die Ergebnisse des Forscherteams sind überraschend: Im Vergleich zu früheren Resultaten anderer Forschungsgruppen enthält das Universum weniger Materie als gedacht. „Die aktuellen Resultate zeigen, dass das kosmische Netz aus dunkler Materie, das rund vier Fünftel der Masse im Universum ausmacht, weniger stark strukturiert ist als bislang geglaubt“, sagt Massimo Viola von der Uni Leiden in den Niederlanden. Die Diskrepanz zwischen den Ergebnissen anderer und der aktuellen Massenbestimmungen könnte der Auftakt für weitere wissenschaftliche Untersuchungen sein. „Unsere Studie wird helfen, das theoretische Modell von der Entwicklung seit dem Urknall zu verfeinern und unser Verständnis vom modernen Universum zu verbessern“, sagt Hildebrandt.
RFWU / RK