29.02.2008

Unterschätzte Experten

Verbrecher können nur mit handfesten Beweisen überführt werden. Physiker am Kriminaltechnischen Institut des BKA entwickeln zu diesem Zweck immer bessere Methoden.

Unterschätzte Experten

Verbrecher können nur mit handfesten Beweisen überführt werden. Physiker am Kriminaltechnischen Institut des BKA entwickeln zu diesem Zweck immer bessere Methoden.

Berlin (dpa) ­ Kratzer am Tresor, abgefräste Waffennummern oder gefälschte Autokennzeichen: So mancher Ganove ärgert sich, dass er die Physiker unter den Kriminaltechnikern unterschätzt hat. Denn auch ohne Fingerabdrücke oder DNA-Analysen gibt es Möglichkeiten, Täter mit handfesten Beweisen zu überführen. Es sind physikalische Methoden, auf die Uneingeweihte kaum kommen. Einige Beispiele hat Horst Katterwe, Physiker am Kriminaltechnischen Institut des Bundeskriminalamts (BKA), auf dem größten europäischen Physikerkongress in Berlin (bis 29. Februar) vorgestellt.

Ein Geheimnis sind die Analysemethoden der BKA-Physiker in Wiesbaden nicht. Doch sie sind selten ein großes Thema, auch nicht im Fernsehkrimi. «Das überrascht auch so manchen Täter, was wir alles nachweisen können», sagt Katterwe. Einmal hat er den Beleg dafür geliefert, dass in einem Fall von Kinderpornografie ein Polaroidfoto mit einer bestimmten Kamera geschossen wurde. «Derartige Kameras hinterlassen charakteristische Spuren auf der Oberfläche des Bildes», sagt er. Ein Physiker kann diese Spuren lesen und zuordnen. Auf die weiteren Ermittlungen hat Katterwe dann keinen Einfluss. Doch er hat ein Puzzleteil geliefert - vielleicht ein entscheidendes.

Wenn die Physiker des BKA Waffen untersuchen, geht es nicht nur um Läufe oder Projektile. Ein Waffenschieber, der sorgfältig die Nummer aus einer Pistole fräste und eine andere hineinstanzte, hat schlechte Chancen. Die Experten können feststellen, ob es eine andere Nummer gab ­ und auch wie sie aussah. «Beim Fräsen wird nicht nur die Oberfläche beschädigt, sondern auch das Metallinnere», erläutert Katterwe. Eine Folge seien zum Beispiel Kristallgitterfehler, die das Auge gar nicht wahrnehmen könne.

Ein Erhitzen der verdächtigen Metallflächen oder auch ein Belegen mit Magnetfeldern lasse den Schwindel auffliegen. Das sei angewandte Materialphysik, die auch so manchen Kollegen aus der Grundlagenforschung zum Staunen bringe. Sogar bei Kunststoffen, beispielsweise bei teurer Elektronik aus Hehlerware, funktioniert diese Kriminaltechnik. Und wenn bei einem wertvollen gestohlenen Schmuckstück zuvor ein Name eingraviert war, können Katterwe und seine Kollegen ihn entdecken. Ihre Aufträge bekommen die BKA-Physiker in der Regel über die Bundesanwaltschaft. Doch auch Polizeidienststellen, Gerichte oder Landeskriminalämter können Beweisstücke in Wiesbaden untersuchen lassen.

Einbrecher haben bei den BKA-Physikern ebenfalls schlechte Karten. Wird bei einem Beschuldigten ein Werkzeug gefunden, kann Katterwe mit einem Rasterelektronenmikroskop nachweisen, ob es haargenau zum Kratzer am Tresor passt ­ oder eben nicht. «Das schönste in diesem Beruf ist, wenn man eindeutige Aussagen machen kann», sagt der Physiker. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen können einen Tatverdächtigen auch entlasten.

Es sei eine andere Art zu denken, die sich Physiker in der Kriminalistik angewöhnten, sagt Katterwe. Ein Physiker denke kausal. Zum Beispiel: Es hat geregnet. Darum ist die Straße nass. Er aber müsse anders denken, sozusagen retrokausal: Die Straße ist nass. Hat es geregnet? Oder kann es noch eine andere Ursache dafür geben?

Katterwe liest selten Krimis und auch der «Tatort» im Fernsehen begeistert ihn wenig. Er steht lieber im Labor und prüft, ob ein Autofahrer bei einem Unfall in der Dämmerung das Licht angeschaltet hatte. Bruchstellen an beschädigten Scheinwerfern sehen anders aus, wenn vorher durch Licht Wärme erzeugt wurde. «Die Fädchen in den Glühbirnen brechen auf unterschiedliche Weise», erläutert Katterwe.

Auch gefälschte Autokennzeichen sind kein Problem. Die Physiker können anhand der Prägetechnik prüfen, ob sie zum Beispiel in einer verdächtigen Werkstatt hergestellt wurden. In Zusammenarbeit mit den Chemikern lassen sich kopierte Erpresserbriefe durch eine Analyse der Tonerpartikel einem bestimmten Gerät zuordnen. Manchmal müssen die BKA-Physiker noch andere Spezialisten zurate ziehen, denn heute gibt es Digitalfotos statt Polaroidbilder. Bei digitalen Bildern aber muss Katterwe passen, auch im Fall von Kinderpornografie. «Da müssen dann unsere Informatiker ran», sagt er.

Ulrike von Leszczynski, dpa

Weitere Infos:

  • Patrick Voss-de Haan, Horst Katterwe und Ulrich Simmross, Indiziensuche im Labor, Physik Journal, September 2003, S. 35 (den Link finden Sie oben rechts neben der Überschrift)

EnergyViews

EnergyViews
Dossier

EnergyViews

Die neuesten Meldungen zu Energieforschung und -technologie von pro-physik.de und Physik in unserer Zeit.

Virtuelle Jobbörse

Virtuelle Jobbörse
Eine Kooperation von Wiley-VCH und der DPG

Virtuelle Jobbörse

Innovative Unternehmen präsentieren hier Karriere- und Beschäftigungsmöglichkeiten in ihren Berufsfeldern.

Die Teilnahme ist kostenfrei – erforderlich ist lediglich eine kurze Vorab-Registrierung.

Meist gelesen

Themen