10.10.2024

Verborgene Details in jungen Sternensystemen

Beobachtungen zeigen erstmals Drehimpuls abführende Winde in protoplanetarischen Scheiben.

Scheiben aus Gas und Staub um junge Sterne sind Brutstätten, aus denen Planetensysteme wie unser Sonnensystem entstehen. Ein internationales Astronomenteam hat bei Beobachtungen mit dem James Webb Space Telescope neue Details über Gasströme entdeckt, die diese Scheiben im Laufe der Zeit formen und gestalten. Die beobachtete verschachtelte Struktur dieser Ströme bestätigt einen seit Langem theoretisch angenommenen Mechanismus, der es dem Stern ermöglicht, durch das Abzapfen von Scheibenmaterial zu wachsen.

Abb.: Künstlerische Darstellung einer planetenbildenden Scheibe, die einen...
Abb.: Künstlerische Darstellung einer planetenbildenden Scheibe, die einen jungen Stern umgibt.
Quelle: NAOJ

Insbesondere konnte das Team Scheibenwinde in noch nie dagewesenem Detailreichtum nachzeichnen. Diese Winde sind Gasströme, die von der planetenbildenden Scheibe in den Weltraum hinausblasen. Sie werden hauptsächlich durch Magnetfelder angetrieben und können sich in nur einer Sekunde über Dutzende Kilometer ausbreiten. Ein weiterer wichtiger Prozess, er in einer protoplanetaren Scheibe abläuft, ist, wenn der Stern Materie aus seiner umgebenden Scheibe akkretiert.

„Wie ein Stern Masse ansammelt, hat einen großen Einfluss darauf, wie sich die umgebende Scheibe im Laufe der Zeit entwickelt, einschließlich der Art und Weise, wie sich später Planeten bilden“, so Ilaria Pascucci vom Lunar and Planetary Laboratory der University of Arizona. „Die genauen Mechanismen, die dabei zum Tragen kommen, sind bislang nicht verstanden, aber wir glauben, dass Winde, die von Magnetfeldern über den größten Teil der Scheibenoberfläche angetrieben werden, eine essenzielle Rolle spielen könnten.“

Junge Sterne wachsen, indem sie Gas aus der umgebenden Scheibe anziehen, aber damit dies geschehen kann, muss das Gas zunächst einen Teil seiner Widerstandsfähigkeit gegen Geschwindigkeitsänderungen verlieren. Andernfalls würde das Gas den Stern ständig umkreisen und niemals auf ihn herunterfallen. Wie dieser Verlust des Drehimpulses geschieht, ist schwer zu bestimmen.

Damit Akkretion stattfindet, muss Gas über die Scheibe hinweg den Drehimpuls verlieren. Dennoch können sich Astrophysiker derzeit nicht einigen, wie genau dies geschieht. In den letzten Jahren haben sich magnetisch angetriebene Scheibenwinde als wesentliche Akteure herausgestellt, die Gas von der Scheibenoberfläche wegleiten – und damit auch den Drehimpuls – und es dem übrig gebliebenen Gas ermöglichen, langsamer zu werden, sich nach innen zu bewegen und schließlich auf den Stern zu fallen. Da auch andere Prozesse die protoplanetaren Scheiben formen, ist es von entscheidender Bedeutung, zwischen den verschiedenen Phänomenen unterscheiden zu können.

Während das Magnetfeld des Sterns Material am inneren Rand der Scheibe in einem als X-Wind bezeichneten Phänomen nach außen drückt, werden die äußeren Teile der Scheibe durch intensives Sternenlicht abgetragen, was zu sogenannten thermischen Winden führt, die mit viel geringeren Geschwindigkeiten wehen. Die hohe Empfindlichkeit und Auflösung des JWST waren ideal geeignet, um zwischen dem magnetfeldgetriebenen Wind, dem thermischen Wind und dem X-Wind zu unterscheiden.

Ein entscheidendes Merkmal, das die magnetisch angetriebenen von den X-Winden unterscheidet, ist, dass sie sich weiter außen befinden und sich über größere Regionen erstrecken, einschließlich der Zone mit den inneren Gesteinsplaneten unseres Sonnensystems – etwa zwischen Erde und Mars. Diese Winde erstrecken sich auch weiter oberhalb der Scheibe als thermische Winde und erreichen die hundertfache Entfernung zwischen Erde und Sonne.

„Wir hatten bereits anhand interferometrischer Beobachtungen im Radiowellenlängenbereich Hinweise auf einen solchen Wind gefunden“, betont der Dmitry Semenov vom MPI für Astronomie. Diese Beobachtungen konnten jedoch nicht die gesamte Struktur des Scheibenwinds untersuchen, geschweige denn detailliert abbilden. Insbesondere die verschachtelte Struktur der verschiedenen Windkomponenten, ein Kennzeichen dieser Scheibenwinde, lag außerhalb der Möglichkeiten der Beobachtungen. Im Gegensatz dazu haben die neuen JWST-Beobachtungen diese Struktur zweifelsfrei aufgedeckt. Die beobachtete Morphologie entspricht den Erwartungen an einen magnetisch angetriebenen Scheibenwind.

„Unsere Beobachtungen deuten stark darauf hin, dass wir die ersten detaillierten Bilder der Winde erhalten haben, die den Drehimpuls abführen und das seit Langem bestehende Problem der Entstehung von Sternen und Planetensystemen lösen können“, sagt Pascucci. Für ihre Studie wählten die Forscher vier protoplanetare Scheibensysteme aus, die von der Erde aus alle von der Seite betrachtet werden. Durch ihre Ausrichtung konnten Staub und Gas in der Scheibe als Blende fungieren und einen Teil des Lichts des hellen Zentralsterns abschwächen, das sonst die Winde überstrahlt hätte.

Die Beobachtungen mit dem JWST offenbarten eine komplexe, dreidimensionale Struktur eines zentralen Jets, der in einer kegelförmigen Hülle aus Winden eingebettet ist, die aus immer größeren Abständen in der Scheibe stammen, ähnlich einer Zwiebelschalenstruktur. Laut den Forschern war eine wichtige neue Erkenntnis der sich wiederholende Befund eines ausgeprägten zentralen Lochs in den Kegeln, das durch molekulare Winde in jeder der vier Scheiben gebildet wird.

Als Nächstes möchte das Team um Pascucci diese Beobachtungen auf weitere protoplanetare Scheiben ausweiten, um besser zu verstehen, wie häufig die beobachteten Scheibenwindstrukturen im Universum vorkommen und wie sie sich entwickeln. „Wir glauben, dass sie weitverbreitet sein könnten, aber bei vier Objekten ist das schwer zu sagen“, erläutert Pascucci. „Wir wollen mit dem JWST eine größere Stichprobe erhalten und dann auch sehen, ob wir Veränderungen in diesen Winden feststellen können, wenn sich Sterne bilden und Planeten entstehen.“

MPIA / RK

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