Verdanken wir das Leben auf der Erde kosmischem Staub?
Staub aus dem All könnte die präbiotische Chemie in Gang gesetzt und am Laufen gehalten haben.
Bevor es Leben auf der Erde gab, brauchte es die Chemie, welche aus den chemischen Elementen Stickstoff, Schwefel, Kohlenstoff und Phosphor organische Moleküle bildete. Damit die entsprechenden chemischen Reaktionen starten und aufrechterhalten bleiben konnten, brauchte es diese Elemente im Überfluss – und einen ständigen Nachschub. Auf der Erde selbst waren und sind diese jedoch Mangelware. Tatsächlich waren die elementaren Bausteine des Lebens so selten, dass chemische Reaktionen sich schnell erschöpft hätten, wenn sie denn überhaupt in Gang gekommen wären. Auch geologische Prozesse wie Erosion und Verwitterung des irdischen Ausgangsgesteins konnten nicht für ausreichenden Nachschub sorgen, da die Erdkruste schlicht zu wenig dieser Elemente enthielt. Dennoch entwickelte sich in den ersten 500 Millionen Jahren der Erdgeschichte eine präbiotische Chemie, die organische Moleküle wie die RNA, DNA, Fettsäuren oder Proteine hervorbrachte, auf denen alles Leben beruht.
Woher kamen Schwefel, Phosphor, Stick- und Kohlenstoff in der benötigten Menge? Craig Walton von der ETH Zürich ist davon überzeugt, dass diese Elemente vor allem durch kosmischen Staub auf die Erde gelangt sind. Dieser Staub entsteht im Weltraum, zum Beispiel, wenn Asteroiden miteinander kollidieren. Auch heute noch fallen jährlich etwa 30.000 Tonnen Staub aus dem All auf die Erde. In der Frühzeit der Erde dagegen war der Staubregen mit jährlichen Millionen Tonnen viel grösser. Vor allem aber enthalten die Staubteilchen viel Stickstoff, Kohlenstoff, Schwefel und Phosphor. Sie hätten also das Potenzial dazu, eine chemische Kaskade in Gang zu setzen. Dagegen spricht allerdings, dass der Staub weit verstreut niedergeht und lokal in sehr kleinen Mengen vorhanden ist.
„Wenn man aber Transportprozesse einbezieht, sieht die Sache anders aus“, erläutert Walton. Wind, Regen oder Flüsse sammeln den kosmischen Staub großräumig ein und lagern ihn konzentriert an bestimmten Orten ab. Um herauszufinden, ob kosmischer Staub eine mögliche Starthilfe und Quelle für präbiotische Chemie sein könnte, hat Walton zusammen mit Kollegen der University of Cambridge in Großbritannien ein Modell entwickelt. Damit simulierten die Forscher, wie viel kosmischer Staub in den ersten 500 Millionen Jahren der Erdgeschichte auf die Erde niederging und an welchen Orten er sich auf der Erdoberfläche angesammelt haben könnte.
Die Simulationen zeigen, dass es auf der frühen Erde Orte mit einer extrem hohen Konzentration an kosmischem Staub gegeben haben könnte. Und dass ständig Nachschub aus dem All kam. Allerdings nahm der Staubregen nach der Entstehung der Erde schnell und stark ab: Nach 500 Millionen Jahren war der Staubfluss um eine Größenordnung kleiner als im Jahr Null. Gelegentliche Ausschläge nach oben führen die Forscher auf Asteroiden zurück, die auseinanderbrachen und einen Staubschweif zur Erde schickten.
Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Erde Millionen von Jahren von einem Magmaozean bedeckt war, was Transport und Ablagerung von kosmischem Staub für lange Zeit verhindert hätte. „Neuere Forschung hat jedoch Hinweise darauf gefunden, dass sich die Erdoberfläche sehr rasch abgekühlt und verfestigt hat und sich große Eisschilde gebildet haben“, sagt Walton. Diese Eisschilde könnten den Simulationen zufolge die beste Umgebung für die Ansammlung von kosmischem Staub gewesen sein. In Kryokonit-Löchern – Schmelzlöchern auf der Gletscheroberfläche – sammelten sich nicht nur Sedimente, sondern auch die Staubkörner aus dem All.
Aus den Staubpartikeln lösten sich mit der Zeit die entsprechenden Elemente heraus. Sobald deren Konzentration im Gletscherwasser einen kritischen Schwellenwert erreichte, setzten von selbst chemische Reaktionen ein, die zur Bildung der organischen Moleküle am Ursprung des Lebens führten.
Dass auch bei eisigen Temperaturen, wie sie in den Schmelzlöchern herrschen, chemische Prozesse in Gang kommen, ist durchaus möglich. „Kälte schadet der organischen Chemie nicht, im Gegenteil. Reaktionen laufen bei niedrigen Temperaturen selektiver und spezifischer ab als bei hohen“, so Walton. Andere Forscher haben im Labor gezeigt, dass sich in solchen Schmelzwasser-Ursuppen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt spontan einfache ringförmige Ribonukleinsäuren bilden, die sich selbst vervielfältigen. Ein Schwachpunkt in der Argumentation könnte sein, dass sich bei tiefen Temperaturen, die zum Aufbau der organischen Moleküle benötigten Elemente nur sehr langsam aus den Staubteilchen lösen.
Die Theorie, die Walton vertritt, ist in der Wissenschaft nicht unumstritten. „Diese Studie wird sicherlich eine kontroverse wissenschaftliche Debatte auslösen“, ist der Forscher überzeugt. „Und sie wird neue Ideen über den Ursprung des Lebens hervorbringen.“ In einem nächsten Schritt will er seine Theorie experimentell überprüfen. Im Labor wird er in großen Reaktionsgefässen die Bedingungen nachstellen, die in den urzeitlichen Schmelzlöchern geherrscht haben könnten. Er wird dabei die Anfangsbedingungen so einstellen, wie sie vor vier Milliarden Jahren in einem Kryokonit-Loch vermutlich vorkamen – und dann abwarten, ob sich chemische Reaktionen entwickeln, die biologisch relevante Moleküle hervorbringen.
ETH Zürich / RK