26.06.2020

Verdrehte Schichten mit exotischen Effekten

Übergangsmetalldichalcogenid vielversprechend zum Studium exotischer korrelierter Phänomene wie der Hochtemperatur-Supraleitung.

Zweidimensionale Quanten­materialien sind seit einigen Jahren eine Plattform für die Realisierung neuartiger korrelierter und topologischer Phasen der Materie. Nun berichtet ein internationales Forscher­team aus Deutschland, den Vereinigten Staaten, China und Japan, dass das aus einer verdrehten Doppelschicht bestehende Übergangs­metall­dichalcogenid WSe2 die Realisierung exotischer korrelierter Phänomene, einschließlich der Hoch­temperatur-Supraleitung und korrelierter Isolatoren, ermöglicht – und zwar auf kontrollierte Weise und ohne die geometrischen Einschränkungen, die bei verdrehtem, doppel­schichtigem Graphen (Twisted-Bilayer-Graphen) auftreten. 

Abb.: Schema der verdrehten Doppel­schicht, bei der eine korrelierte...
Abb.: Schema der verdrehten Doppel­schicht, bei der eine korrelierte Isolator­phase und ein möglicher supra­leitender Übergang in einem relativ großen Bereich kleiner Verdrehungs­winkel entstehen. (Bild: J. Harms, MPSD)

Auf der Suche nach Supraleitern, die Elektrizität widerstandslos transportieren, erforschen viele Wissenschaftler zwei­dimensionale Materialien, um ein besseres Verständnis der Hoch­temperatur-Supraleitung sowie anderer exotischer Material­phasen zu erlangen. Viele aus nur einer Atomlage bestehenden Substanzen können überraschende neue Eigenschaften entwickeln, wenn sie aufeinandergelegt werden. 

Eine der einfachsten und interessantesten Methoden ist es, zwei Schichten desselben Materials mit einer leichten Drehung zu stapeln. Je nach dem Verdrehungswinkel löst diese Schichtung bemerkenswerte Veränderungen in den elektronischen Material­eigenschaften aus. Twisted-Bilayer-Graphen kann beispielsweise bei einer überraschend hohen Temperatur supraleitende Eigenschaften entwickeln – eine Eigenschaft, die es in seinem Normalzustand nicht besitzt. 

Bisherige Studien zeigen, dass die niederenergetischen elektronischen Zustände in Twisted-Bilayer-Graphen stark lokalisiert sind und ihre kinetische Energieskala deutlich gedämpft wird. Dadurch gewinnen die Elektron-Elektron-Korrelationen an Bedeutung, so dass das System bei geringer Dotierung in Mott-ähnliche Isolator- und Supra­leiter­phasen getrieben wird, deren Phasen­diagramme denen der Hochtemperatur-Supraleiter ähneln. Twisted-Bilayer-Graphen bietet daher eine vielversprechende Plattform für die Untersuchung exotischer korrelierter Phänomene, einschließlich der Hoch­temperatur-Supraleitung. Seine einfache Struktur und leichte Zugänglichkeit sind weitere Vorteile. 

Dennoch hat Twisted-Bilayer-Graphen auch seine Grenzen. Die starke Unterdrückung der kinetischen Energieskala erfolgt aufgrund der speziellen elektronischen Struktur nur bei bestimmten Verdrehungen – den magischen Winkeln – ab etwa 1,1 Grad. Dies ist eine Herausforderung für die experimentelle Umsetzung unter realen Labor­bedingungen und schränkt die Abstimmbarkeit der Studie ein. 

Das internationale Forschungsteam vom Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie (MPSD), der RWTH Aachen, der Columbia University, des Center for Computational Quantum Physics am Flatiron Institute (beide USA), der Nanjing University in China und des National Institute for Materials Science in Japan wollte die Eigenschaften dieser atomar dünnen Materialien neu betrachten. Die Wissenschaftler berichten, dass ähnliche Phänomene bei dem verdrehten, doppelschichtigen Übergangs­metall­dichalkogenid WSe2 auftreten können, und zwar ohne die starken Einschränkungen der magischen Winkel.

Das Team maß die Transport­eigenschaften der verdrehten Doppelschicht bei niedrigen Temperaturen mit variierenden externen Magnet- und Verschiebungs­feldern. Sie fanden die Signaturen der korrelierten Isolator­phasen in Proben mit Verdrehungs­winkeln zwischen 4 und 5,1 Grad. Diese korrelierten Phasen sind in hohem Maße mit Verdrehungs­winkeln und externen Verschiebungs­feldern abstimmbar, die im Sinne eines effektiven Hubbard-Modells auf einem zweidimensionalen Dreiecks­gitter rationalisiert werden können. 

In der Probe mit einem Verdrehungs­winkel von 5,1 Grad werden bei einer Temperatur unter drei Kelvin Null-Widerstands­taschen in der Nähe der korrelierten Isolatorphase beobachtet, was auf einen möglichen Übergang in einen supraleitenden Zustand hinweist. Diese neuen Erkenntnisse der Experimental­gruppen von Cory Dean und Abhay Pasupathy an der Columbia University wurden durch umfangreiche erste Prinzipien-Berechnungen und Modellierungen von Lede Xian und Ángel Rubio in der Theorie­abteilung des MPSD, sowie von Martin Claassen am Flatiron-Institut der Simons Foundation und Dante Kennes an der RWTH Aachen erläutert.

Diese Studie zeigt, dass WSe2  eine hochgradig flexible Plattform für die Entwicklung elektronischer Band­strukturen ist. Das Material erlaubt die detaillierte Untersuchung stark korrelierter Phänomene, die sonst unzugänglich bleiben würden, und bietet großes experimentelles und theoretisches Potenzial. Insbesondere ermöglicht das System eine einzigartige abstimmbare Festkörper-Realisierung eines Ein-Band-Hubbard-Modells auf einem Dreiecks­system, bei dem Bandbreite und Dotierung unabhängig voneinander variiert werden können. 

„Daher stellt WSe2  ein vielversprechendes alternatives Material für die Erforschung der Supra­leitung und anderer exotischer Phänomene wie Exziton­kondensate, Spin­flüssigkeiten und magnetische Ordnung dar“, erklärt der Direktor der MPSD-Theorie­abteilung, Ángel Rubio. „Es eröffnet neue Möglichkeiten zur Unter­suchung des Zusammen­spiels zwischen starken Inter­aktionen und Frustration.“

MPSD / DE

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