12.11.2014

Verschobene Perlenschnur

Virtuelle Photonen sorgen für kooperative Lamb-Verschiebung über Mikrometer.

Eine der wichtigsten Entdeckungen für die Entwicklung der Quanten­elektro­dynamik war der Effekt der Lamb-Verschiebung. Willis Eugene Lamb und Robert Curtis Retherford hatten 1947 eine relative Verschiebung des 2s1/2 und 2p1/2-Zustandes beim Wasser­stoff­atom beobachtet. Laut der Dirac-Theorie hätte eine solche Verschiebung nicht auftreten dürfen; sie fand aber nach Berechnungen Hans Bethes und später mit der QED eine schlüssige Erklärung. Der Effekt verdankt sich dem Austausch virtueller Photonen durch dasselbe Atom, also der Selbst­wechsel­wirkung mit dem eigenen Strah­lungs­feld. Lamb erhielt 1955 für seine Entdeckung den Nobelpreis.

Abb. 1: Virtuelle Photonen verknüpfen auch Atome, die weiter auseinander liegen als die Resonanzwellenlänge. (Bild: O. Schwartz, Weizmann I.)

Wenn mehr Atome involviert sind, werden auch die Wechsel­wirkungen komplexer und es kommt zu kollektiven Effekten – so etwa bei der 1954 von Robert Dicke entdeckten Super­radianz. Bei ihr nimmt die Anzahl der emittierten Photonen über­propor­tional zu, wenn sich viele Atome in einem Volumen aufhalten, das klein ist gegenüber der Wellenlänge der emittierten Photonen. Dies liegt daran, dass die spontan emittierten virtuellen Photonen sich konstruktiv überlagern können und sich die Atome auf diese Weise wechsel­seitig zur Emission anregen. Aus diesem Grund steigt die Intensität des abgestrahlten Lichts nicht proportional zur Teilchen­zahl, sondern mit deren Quadrat. Dank der Super­radianz sind mittler­weile Laser möglich, die prinzipiell eine um mehrere Größen­ordnungen höhere Stabilität im Vergleich zu gebräuch­lichen optischen Lasern erlauben.

Während der starke Effekt der Superradianz sich nicht allzu lange nach der Entwicklung des Lasers bestätigen und ausnutzen ließ, ist die mit ihm verwandte koope­rative Lamb-Verschiebung deutlich schwieriger nachzuweisen. Auch diese beruht auf dem Austausch virtueller Photonen zwischen mehreren Atomen, ist jedoch sehr viel schwächer und deshalb noch wenig erforscht. Bei der kooperativen Lamb-Verschiebung tauschen identische Atome virtuelle Photonen aus, analog zur gewöhnlichen Lamb-Verschiebung bei einem einzelnen Atom. Diese resonante Dipol-Dipol-Wechsel­wirkung führt allerdings nur zu winzigen Verschiebungen der Energie­niveaus und geht deshalb schnell in störenden Wechsel­wirkungen von Gasen oder Feststoffen unter.

Einem Team um Dan Oron und Roee Ozeri vom Weizmann Institute of Science im israelischen Rehovot ist es nun jedoch gelungen, die koope­rative Lamb-Verschiebung über die erstaun­liche Distanz von mehreren Mikrometern nachzuweisen. Hierzu sperrten sie Strontium-Ionen in eine lineare Paul-Falle und reihten zwischen zwei und acht dieser Ionen in einem Abstand von einigen Mikrometern hintereinander auf.

Die Forscher untersuchten den Übergang 5s1/2 ↔ 5p1/2 der einfach ionisierten Strontium-Atome. Bereits im Zwei-Ionen-System gibt es 16 verschiedene Zustände: vier Grund­zustände, acht einfach angeregte und vier doppelt angeregte Zustände. Die resonante Dipol-Dipol-Wechsel­wirkung zwischen den einfachen angeregten Zuständen hebt die Entartung zwischen ihren Energie­niveaus auf und sorgt für eine kleine kooperative Verschiebung. Bei mehr Ionen gestaltet sich die Analyse dement­sprechend komplexer.

Abb. 2: Zwei oder mehr Strontium-Ionen befinden sich im Zentrum einer linearen Paul-Falle. Ein linear polarisierter Strahl illuminiert sie gleich­förmig. Das Streu­licht wird mit einem Photo­multiplier ausgelesen. (Bild: Z. Meir et al.)

Der Nachweis dieses Effekts gestaltete sich jedoch schwierig. Bei einem Abstand von fünf Mikro­metern zwischen den einzelnen Ionen ist die koope­rative Lamb-Verschie­bung gerade einmal stark genug, um die Übergänge um rund 30 bis 60 Kilohertz nach oben oder unten zu verschieben. Dies liegt deutlich innerhalb der natürlichen Linien­breite von gut 21 Megahertz. Damit lässt sich der Effekt nicht einfach spektro­skopisch nachweisen. Die Wissen­schaftler machten sich jedoch zunutze, dass sich eine relative Verschiebung des Linien­zentrums präzise messen lässt, falls man das Resonanz­spektrum mit hinreichend hohem Signal-Rausch-Verhältnis bestimmen kann.

Mit einer ausgeklügelten Prozedur gelang es den Forschern, eine mittlere statistische Ungenauigkeit von 2,2 Kilohertz zu erreichen, rund vier Größen­ordnungen unterhalb der natürlichen Linien­breite. Damit konnten die Forscher die zunehmend komplexen Strukturen in der Energie­verteilung von zwei bis zu acht Ionen bestimmen und die theoretischen Vorhersagen der koope­rativen Lamb-Verschiebung gut reproduzieren. Das ist der erste Nachweis der kooperativen Lamb-Verschiebung bei einem derart ausgedehnten System. Bisher war sie nur von deutlich kleineren Systemen bekannt, bei denen Nahfeld- die Fernfeld-Effekte überwiegen.

Um andere Effekte auszu­schließen, änderten die Wissen­schaftler auch die Polari­sation des Auslese­strahls. Beim Wechsel zu paralleler Polaristion verschwand die Verschiebung, wie von der Theorie gefordert. Damit öffnen sich neue Möglich­keiten, diesen Effekt von Vakuum­fluktua­tionen auf atomare Kollektive auszunutzen. Die Forscher gehen davon aus, dass die kooperative Lamb-Verschiebung sich nicht zuletzt für optische Präzisions­experimente als hilfreich erweisen wird.

Dirk Eidemüller

OD

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