Verschränkung verringert Unschärfe
Experimentelle Bestätigung der verallgemeinerten Heisenbergschen Unschärferelation für verschränkte Systeme.
Ort und Impuls eines quantenmechanischen Teilchens können nicht gleichzeitig scharf bestimmt werden. Diese Aussage der Heisenbergschen Unschärferelation lässt sich auf andere Paare von Observablen verallgemeinern. Führt man jedoch Messungen an einzelnen Teilchen durch, die jeweils mit einem anderen Teilchen verschränkt sind, so ist die Unschärferelation in ihrer bisherigen Form verletzt. Es gilt eine erst kürzlich aufgestellte Ungleichung, die Experimente in Kanada und China jetzt bestätigten.
Abb.: Die Unbestimmtheit der Polarisation von polarisationsverschränkten Photonen liegt deutlich unter dem Wert, den die herkömmliche Unschärferelation vorgibt. (R. Prevedel et al., N. Phys.)
Die bekannte Unschärferelation für zwei Observable Q und P besagt, dass das Produkt der Varianzen von Q und P größer oder gleich dem halben Erwartungswert des Kommutators von Q und P ist: ΔQ ΔP ≥ ½ |(QP - PQ)|. Dabei ist z. B. ΔQ = (Q2–Q2)½. Dies gilt aber nur, wenn der Quantenzustand, mit dem die Erwartungswerte gebildet werden, im Definitionsbereich von Q und P liegt. (Das ist z. B. nicht der Fall für einen Winkel θ, den konjugierten Impuls p = -i d/dθ und die Impulseigenfunktion exp(-im θ). In diesem Fall ist die Unschärferelation Δθ Δp ≥ ½ verletzt, da Δp = 0 und Δθ endlich ist.)
Der physikalische Inhalt der bekannten Unschärferelation wird deutlich, wenn Alice eine große Zahl von Teilchen im gleichen aber (mit obigen Einschränkungen) beliebigen Quantenzustand präpariert. Für je eine Hälfte der Teilchen misst Alice die Observable Q bzw. P. Aus den Messwerten berechnet sie die Varianzen ΔQ und ΔP, deren Produkt nie kleiner ist, als es die rechte Seite der Unschärferelation angibt. Da an jedem Teilchen nur eine Messung durchgeführt wird, hat die Unschärferelation nichts damit zu tun, dass sich aufeinanderfolgende unverträgliche Messungen stören.
Kennt Bob den Quantenzustand des Teilchens, so gibt die Unschärferelation an, wie gut er das Ergebnis einer von Alice durchgeführten Messung vorhersagen kann. Ist das Teilchen A in einem verschränkten Zustand mit einem zweiten Teilchen B, auf das Bob Zugriff hat, so kann er das Ergebnis der von Alice gemachten Messung genauer vorhersagen, indem er sein Teilchen einer Messung unterzieht. Sind die Teilchen maximal verschränkt und führt Bob an seinem Teilchen dieselbe Messung (Q oder P) durch wie Alice an ihrem, so erhält er dasselbe Ergebnis wie Alice. Bobs Vorhersagen für die Ergebnisse der Q- und P-Messungen von Alice haben in diesem Fall verschwindende Varianzen.
Vor einem Jahr hatten Renato Renner von der ETH Zürich und seine Kollegen eine neue Unschärferelation aufgestellt, die berücksichtigt, dass Zustandsverschränkungen die Unbestimmtheit vermindern. Dazu gingen sie von der „entropischen“ Form der Unschärferelation aus, die auf der Shannon-Entropie H der Messungen aufbaut: H(Q) + H(P) ≥ log C. Findet man das in einem bestimmten Anfangszustand präparierte Teilchen etwa mit der Wahrscheinlichkeit wm im m-ten Eigenzustand von Q, so ist H(Q) = –Σ n wn log2(wn), wobei über alle Eigenzustände summiert wird. H(Q) ist ein Maß für das Nichtwissen vom Ausgang einer Q-Messung. C hängt nur von Q und P ab.
Hat Bob Zugriff auf das Teilchen B, das mit dem Teilchen A in einem verschränkten Zustand ist, so ändert sich sein Nichtwissen vom Ausgang der Messungen, was durch die bedingten Entropien H(Q|B) und H(P|B) ausgedrückt wird. Die Unschärferelation lautet nun: H(Q|B) + H(P|B) ≥ log2(C) + S(A|B), wobei S(A|B) eine bedingte Quantenentropie ist, die nur für verschränkte Zustände negativ ist. Wenn beide Teilchen einen d-dimensionalen Zustandsraum haben und maximal verschränkt sind, so ist S(A|B) = -log2(d), womit sich H(Q|B) + H(P|B) und somit das Nichtwissen merklich reduziert.
Robert Prevedel und seine Kollegen von der University of Waterloo in Kanada sowie Forscher um Chuan-Feng Li von der University of Science and Technology of China in Hefei haben die neu Unschärferelation mit Paaren von polarisationsverschränkten Photonen überprüft. Die beiden Photonen eines Paares hatten den einstellbaren Zustand cos θ |HAHB + sin θ |VAVB, wobei H und V die horizontale bzw. vertikale Polarisation bezeichnen. Photon A passierte einen Strahlteiler, an dem sich mit 50 % Wahrscheinlichkeit entschied, ob die Polarisation in horizontal-vertikaler (Q) oder in diagonaler (P) Richtung gemessen wurde.
Photon B durchlief eine 50 bzw. 100 m lange Glasfaser, die als Photonenspeicher diente. Nachdem Alice ihre Q- oder P-Messung am Photon A abgeschlossen hatte, konnte Bob am gespeicherten Photon nun ebenfalls eine Q- bzw. P-Messung durchführen. Beide Forschergruppen haben die linke Seite der neuen Unschärferelation, also H(Q|B) + H(P|B) experimentell bestimmt und dabei festgestellt, dass sie deutlich unter der herkömmlichen Schranke log2(C) liegt. Die Differenz stimmte gut mit der Quantenentropie S(A|B) überein, die die Forscher durch Zustandstomographie an verschränkten Photonenpaaren ermittelten.
Beide Gruppen weisen darauf hin, dass man die Verletzung der herkömmlichen Unbestimmtheitsrelation benutzen kann, um eine Verschränkung der Teilchen nachzuweisen, an denen die Messungen durchgeführt wurden. Am besten funktioniert das Verfahren, wenn man komplementäre Observable misst.
Rainer Scharf