Versteckte Ordnung
Neue Theorie mit einem elektronischen Spinor-Modell könnte das seit mehr als 25 Jahren ungeklärte Rätsel des Uranrutheniumsilizids erklären.
Ein Phasenübergang von Uranrutheniumsilizid URu2Si2 zählt schon ein Vierteljahrhundert zu den großen Rätseln der Festkörperphysik. Denn dieses Metall zeigt tiefgekühlt auf minus 255 Grad Celsius typische Anzeichen eines Phasenübergangs. Nur ändert sich dabei weder – wie eigentlich erwartet – die Kristallstruktur noch die Anordnung der Atome. Die Auflösung dieses Rätsels könnten nun amerikanische Wissenschaftler mit einem neuen Modell für die Wechselwirkung von Ionen und Elektronen in diesem Material gefunden haben. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Theorie – sofern bestätigt – auch zu einer besseren Erklärung von Hochtemperatursupraleitern führen könnte.
1985 berichteten niederländische Physiker von der Universität Leiden erstmals über einen Übergang der supraleitenden und magnetischen Eigenschaften bei tiefgekühltem Uranrutheniumsilizid. Seitdem wurden dutzende Theorien entwickelt, die die sprunghafte Abnahme der Entropie unterhalb von 17,5 Kelvin mit einer Art „versteckten Ordnung“ erklären wollen. In den meisten Fälle mussten diese Ansätze aber schon bald wieder verworfen werden und eine schlüssige Lösung stand seitdem aus. Diese Wissenslücke könnte das nun entwickelte Modell von Piers Coleman und seinen Kollegen von der Rutgers University in Piscataway stopfen. Sie fanden heraus, dass sich im Einklang mit geltenden Regeln der Festkörperphysik durchaus eine für einen Phasenübergang nötige Ordnung ausbilden kann ohne dafür Anzeichen in der Kristallstruktur sehen zu müssen.
So könnten laut Coleman und Kollegen die im metallischen Kristall enthaltenen Uranionen mit relativ freien und mobilen Elektronen im 5f-Orbital eine spezielle Kopplung eingehen. Den dabei entstehenden Verbund, der den magnetischen Spin von Uranion und Elektron miteinander koppelt, lässt sich als Spinor beschreiben. Diese Spinoren bilden – vergleichbar mit den magnetischen Spins in speziellen Kupraten – eine antiferromagnetische Anordnung mit gleichmäßig entgegengesetzten Spins. Genau diese elektronischen Strukturen reichen aus, um die Entropieabnahme während des Phasenwechsels von Uranrutheniumsilizid zu erklären. Im Unterschied zum konventionellem Magnetismus, der in einigen Metallen die Symmetrie der Zeitumkehrinvariand verletzt, zeige dieses Verhalten nach Aussage der Autoren sogar eine doppelte Symmetrieverletzung. Das bedeutet im Festkörpermodell, dass bei doppelter Anwendung von Zeitumkehroperationen die Symmetrie nicht wieder hergestellt werden könne.
Da Uranrutheniumsilizid zur großen Gruppe der stark korrelierten Elektronensysteme zählt, ist es nicht auszuschließen, dass dieses Modell auch auf andere Materialien ausgeweitet und ein besseres Verständnis liefern könnte. Dazu zählen etwa Hochtemperatur-Supraleiter. Ob die neue Erklärung dauerhaft Bestand hat, lässt sich bisher nicht völlig zweifelsfrei absehen. Sicher ist jedoch, dass viele Physiker nun das neue Modell auf seine Stärken und Schwächen untersuchen werden, um unter das jahrzehntealte Rätsel bald einen Schlussstrich ziehen zu können.
Jan Oliver Löfken
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